AfD

»Von Ausnahmen kann keine Rede sein«

Gideon Botsch über Antisemitismus in der Partei und Forderungen nach einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz

von Philipp Peyman Engel  13.09.2018 15:18 Uhr

Gideon Botsch, Politikwissenschaftler am Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam Foto: Karla Fritze

Gideon Botsch über Antisemitismus in der Partei und Forderungen nach einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz

von Philipp Peyman Engel  13.09.2018 15:18 Uhr

Herr Botsch, die AfD fällt regelmäßig mit rassistischen und antisemitischen Aussagen auf. Sollte die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Man kann die Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch den Verfassungsschutz prinzipiell ablehnen – wenn man das aber nicht tut, gibt es viele Gründe für eine Beobachtung.

Welche wären das?
Öffentlich zugängliche Quellen zeigen: In der AfD sind auf allen Ebenen rechtsextreme Tendenzen von großem Einfluss. Das gilt ideologisch-programmatisch, strategisch und auch in personeller Hinsicht. Strömungen, Gliederungen und mehrere Landesverbände werden von rechtsextremen Positionen dominiert.

Stellt die AfD für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eine Gefahr dar?
Programmatisch orientiert sich die AfD an einem Staatsmodell, das in starker Spannung steht zur repräsentativen pluralistischen Demokratie. Die Stärkung plebiszitärer Elemente geht hier so weit, dass parlamentarisches Regieren im Sinne des Grundgesetzes nicht mehr möglich wäre – und entsprechend gestaltet sich ja auch die Praxis in den Parlamenten, die vor allem auf Obstruktion orientiert ist. Programmatisch setzt sie weitere Elemente unserer Verfassung unter Druck, nicht zuletzt die für die Juden in Deutschland bedeutsamen Grundsätze der Religions- und Bekenntnisfreiheit. Außerdem rufen führende Repräsentanten ganz offen und durchaus aggressiv-kämpferisch zum Umsturz des politischen Systems auf.

Die AfD gibt sich gerne philosemitisch. Judenfeindliche Aussagen gibt es in der Partei aber zur Genüge. Sind das Ausnahmen oder die Regel?
Die AfD ist eine politische Sammlungspartei und Arm einer breiteren politischen Bewegung. Hier wie dort haben antisemitische Kräfte einigen Einfluss, entsprechende Denkstrukturen sind nachweislich in der AfD-Anhängerschaft überproportional verbreitet. Von Ausnahmen kann keine Rede sein.

Ist die AfD eine antisemitische Partei?
Die AfD mobilisiert Judenhass nicht offen – das würde ihr auch eher schaden. Gewisse Andeutungen halten den fundamental antisemitischen Teil ihrer Anhänger bei der Stange, und je mehr sie sich radikalisiert, desto öfter tritt Judenfeindschaft zutage. Manche Motive – zum Beispiel die Idee, Einwanderung diene einem Plan zum »Austausch« der Bevölkerung – lassen antisemitische Denkmuster erkennen.

Auf Landesebene sprechen sich manche Verfassungsschutzchefs für eine Beobachtung aus, viele sind aber auch dagegen. Spielen dabei politische Erwägungen eine Rolle?
Darüber kann ich nur spekulieren. Wenn aber die AfD aufgrund politischer Opportunität nicht beobachtet wird, andere Gruppierungen aber sehr wohl, kann dies eine einseitige Diskriminierung bedeuten. Es wäre aber naiv zu glauben, dass politische Erwägungen keine Rolle spielen.

Gibt es Gründe, die gegen eine Beobachtung sprechen?
Die Beobachtung einer Partei bedeutet einen erheblichen Eingriff des Staates in die politische Meinungs- und Willensbildung. Eine Materialsammlung, die vorab klärt, ob eine Beobachtung angezeigt und gesetzeskonform ist, könnte hier helfen und würde einer Vorverurteilung vorbeugen.

Unabhängig von einer etwaigen Beobachtung sollte die Partei argumentativ herausgefordert werden, meinen viele Politiker. Wie kann das gelingen?
Ich verstehe nicht, was damit gemeint ist. Die Argumente der AfD sind schwach, ihre Sprechweise ist nicht auf Diskurs und Deliberation angelegt. Wie wollen Sie da argumentieren?

Weshalb ist die AfD Ihrer Ansicht nach dann so stark geworden?
Dafür gibt es viele Gründe, und es liegt ja auch im internationalen Trend, in Europa und darüber hinaus. Allerdings werden die Themen, die der AfD nützen, überproportional auf der Tagesordnung gehalten, und ihr wird dabei unverständlich viel Raum eingeräumt. Ob man den Erfolg der Partei nun rückgängig machen kann? Ich glaube nicht. Aber der Einfluss demokratie- und fremdenfeindlicher sowie antisemitischer Tendenzen lässt sich durchaus wieder eindämmen.

Inwiefern?
Ich merke deutlich, dass viele – vor allem jüngere – Menschen die öffentlichen Hassreden leid sind. Und auch die Beschränkung auf ein einziges Thema, das die wirklich gravierenden gesellschaftlichen Herausforderungen überdeckt, ermüdet.

Es ist oft die Rede davon, dass unsere Gegenwart der Weimarer Republik gleicht. Was ist an diesem Vergleich dran?
Ich halte nicht viel davon. Zum Beispiel: Der Nationalsozialismus war eine »junge« Bewegung, seine Anhänger blickten sehr selbstbewusst in die Zukunft. Prägend für die heutigen radikalnationalistischen Bewegungen sind eher ältere Jahrgänge, die wehmütig einer idealisierten Vergangenheit nachtrauern.

Der Gespräch mit dem Politikwissenschaftler am Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam führte Philipp Peyman Engel.

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