Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage desolat. Rund sechs Millionen europäische Juden waren ermordet worden, Überlebende des Holocaust oft traumatisiert und orientierungslos. Wer Verfolgung oder Konzentrationslager erlebt hatte, befand sich oft fern der Heimat.
Und umgekehrt: Aus Deutschland geflohene Juden harrten im Exil aus. Zurück nach Deutschland? Beziehungsweise dort bleiben? Für viele Juden war das völlig unvorstellbar - im Land selbst, aber oft auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft weltweit. Dennoch wagte eine ganze Reihe von Juden diesen Schritt.
ANFÄNGE 1945 wurden nach Angaben des Zentralrats der Juden in Deutschland 51 jüdische Gemeinden wiedergegründet - ein Jahr später gab es schon 67. Und: Kurz nach Kriegsende hatte sich das Zentralkomitee der befreiten Juden in der amerikanischen Zone zusammengefunden.
Auch in anderen Besatzungszonen gab es vergleichbare Gruppen. Am 19. Juli 1950 dann gründete sich in Frankfurt der Zentralrat der Juden in Deutschland - heute vor 70 Jahren. Er war damals zunächst als Vertretung der Interessen von Juden bis zu deren Auswanderung gedacht, etwa nach Übersee oder in den erst kurz zuvor gegründeten Staat Israel.
Zur konstituierenden Sitzung waren Delegierte der jüdischen Gemeinden in den vier Besatzungszonen gekommen. Als der Zentralrat gegründet wurde, lebten den Angaben zufolge rund 15.000 Juden in Deutschland.
»DISPLACED PERSONS« Hinzu kamen Menschen, die wegen der NS-Verfolgung ins Ausland geflohen und dann wieder zurück nach Deutschland gegangen waren. Dazu noch die »Displaced Persons«: rund 200.000 Juden aus Osteuropa, die nicht mehr in ihre alte Heimat zurückkehren konnten oder wollten, und deren Zahl noch anstieg.
Doch im Laufe der Zeit »stabilisierte sich das Provisorium«, sagt der heutige Zentralratspräsident Josef Schuster. In den Nachkriegsjahren blieb die Zahl der Gemeinden in der Bundesrepublik laut Zentralrat relativ konstant: Etwa 26.000 Juden bildeten rund 50 Gemeinden. In der DDR lebten offiziellen Angaben zufolge knapp 500 Juden in fünf Gemeinden.
Oft wird im Zusammenhang mit jüdischem Leben in Deutschland das Bild der Koffer gebraucht: Während Juden zunächst sprichwörtlich auf gepackten Koffern saßen und ihrer Auswanderung entgegensahen, packte eine nicht kleine Anzahl diese Koffer irgendwann dann doch aus. Schuster betont: »Es dauerte in Deutschland zwei Jahrzehnte, bis Überlegungen zum Auswandern in den Hintergrund rückten.«
WECHSEL Eine wichtige Rolle habe dabei Werner Nachmann gespielt, der von 1969 bis 1988 an der Spitze des Zentralrats stand und sich in den 1970er-Jahren klar zu jüdischem Leben in Deutschland bekannt habe. »Bis dahin wurde man eher schief angeguckt, wenn man sagte, man wolle als Jude in Deutschland leben«, so Schuster. Es sei dann zu Änderungen in den Zielen des Zentralrats gekommen, der heute die Interessen von Juden, religiös oder säkular, etwa gegenüber der Politik vertritt.
Während Juden zunächst sprichwörtlich auf gepackten Koffern saßen und ihrer Auswanderung entgegensahen, packte eine nicht kleine Anzahl diese Koffer irgendwann dann doch aus.
In den 1990er-Jahren waren es Zuzug und Integration von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die die Zahl der Juden und Gemeinden im wiedervereinigten Deutschland ansteigen ließ und ein großes Thema des Zentralrats wurde. 1990 wurden außerdem die fünf Gemeinden aus der DDR in den Zentralrat aufgenommen.
Und ein ganz aktuelles Thema: Jüngst hatte der Bundestag den Weg für jüdische Militärrabbiner in der Bundeswehr freigemacht - ein historischer Beschluss für eine Institution, die älter als die Schoa ist.
BEDEUTSAM Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete kürzlich den Zentralrat als »bedeutsame Stimme«. Er sei dankbar, dass sich jüdisches Leben in Deutschland »in seiner ganzen Vielfalt« entwickelt habe. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, würdigte die jüdischen Stimmen, die einen »wesentlichen Anteil an der Entwicklung einer demokratischen Kultur« in Deutschland hätten.
Die Präsidenten des Zentralrats sind in der Regel weit über die jüdische Community hinaus prägend für den gesellschaftspolitischen Diskurs.
Seit 1999 ist die Verwaltung des Zentralrats in Berlin. Im Moment gehören ihm 105 jüdische Gemeinden mit rund 95.000 Mitgliedern an. Auch die Präsidenten des Zentralrats sind in der Regel weit über die jüdische Community hinaus prägend für den gesellschaftspolitischen Diskurs und das Engagement gegen Antisemitismus gewesen, man denke etwa an Heinz Galinski, Ignatz Bubis, Charlotte Knobloch oder der aktuelle Präsident Josef Schuster.
Schuster war 2018 in eine zweite Amtszeit gewählt worden. Er lebt in Würzburg. Auch seine Eltern waren nach Deutschland zurückgekehrt: 1956 aus Haifa, wo Schuster zwei Jahre zuvor geboren worden war.