Die Bundesregierung hat auf ihrer Kabinettsitzung am Dienstagvormittag beschlossen, dass die Renten für die sogenannten Ghettoarbeiter rückwirkend bis 1997 nachgezahlt werden sollen. Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag das Gesetz verabschieden.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte: »Es ist gut, dass diese mittlerweile hochbetagten, vom Leben gezeichneten Menschen nun ihre Rente für die Arbeit im Ghetto auch von Juli 1997 an erhalten können – und zwar schnell und unbürokratisch. Es ist wichtig, dass wir nach langen Jahren eine einvernehmliche Lösung für alle gefunden haben.«
rückwirkung Im Kern besagt der Beschluss, dass jüdische Ghettoarbeiter die ihnen zustehenden Renten auch dann in voller Höhe erhalten, wenn sie ihre Anträge nach 2009 gestellt haben. Auch die sogenannte Vierjahresregelung des deutschen Rentenrechts, die besagt, dass Rentenansprüche nur nur vier Jahre rückwirkend geltend gemacht werden können, ist für diese Personengruppe aufgehoben. Die Renten werden nun neu berechnet.
Ende Februar hatten bei den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen beide Seiten die jetzt anstehende Regelung beraten. Ministerin Nahles hatte angekündigt, möglichst schnell zu einer Lösung zu kommen. Noch in der früheren Legislaturperiode hatte der Bundestag mit der damaligen Mehrheit von CDU/CSU und FDP eine Lösung, wie sie jetzt verabschiedet werden soll, abgelehnt.
Geste Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, begrüßt den Kabinettsbeschluss: »Das Leid, das diese mittlerweile hochbetagten Menschen erfahren haben, lässt sich mit nachträglich gezahlter Rente nicht wiedergutmachen. Doch bisher wurden die früheren Ghetto-Arbeiter mit bürokratischen Vorschriften abkanzelt. Jetzt werden sie endlich mit ihren Biografien ernst genommen und würdig behandelt. Die neue Renten-Regelung ist eine Geste der Menschlichkeit.«
Nun gehe es um die zügige Umsetzung, »um den hochbetagten, letzten Überlebenden des Holocausts die Hilfe, auf die sie vielfach dringend angewiesen sind, wirklich rasch zukommen zu lassen«, so Graumann.
Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland, sagte: »Über Jahre hinweg hatte die Claims Conference immer wieder gefordert, den Ghettoarbeiter die ihnen zustehenden Leistungen der Rentenversicherung bis 1997 rückwirkend zu zahlen, auf die sie so lange warten mussten«, sagte Mahlo und betonte, dass auf Bitten der Claims Conference dieser Punkt in die Koalitionsvereinbarungen aufgenommen worden sei.
In Anbetracht des fortgeschrittenen Alters der Anspruchsberechtigten und der langen Wartezeiten fordert die Claims Conference nun den Bundestag auf, »die von Ministerin Nahles eingebrachte Gesetzesänderung zum ZRBG ohne weiteren Aufschub zu verabschieden«, so Mahlo.
Jost Rebentisch, Sprecher des Bundesverbandes Information & Beratung für NS-Verfolgte, meint: »Eine gute Lösung, die viel zu spät kommt, ist immer noch besser als gar keine Lösung.« Rebentisch verweist gleichzeitig darauf, dass Tausende Antragsteller in der Zwischenzeit verstorben sind. »Für sie kommt, die auf Gerechtigkeit gehofft hatten, kommt diese gute Lösung aber leider zu spät.«
opposition Unterstützung findet das Vorhaben auch bei den Oppositionsparteien. Volker Beck (Grüne) erklärt: »Wir freuen uns, dass sich diese Rot-Grün-Rote Forderung endlich auch in der Union durchsetzen konnte. CDU und CSU haben viel zu lange auf Zeit gespielt, gebremst und blockiert.« Er fordert jetzt eine schnelle Umsetzung und bedauert zugleich, dass die Regierung sich weigere, »dass eine Forderung, die aus der Mitte des Hauses übernommen wurde, als fraktionsübergreifendes Gesetz beschlossen werden soll«.
Ulla Jelpke (Linke) zeigte sich »erleichtert, dass sich jetzt endlich eine Lösung abzeichnet, den Überlebenden der Ghettos ihre Rentenansprüche in vollem Umfang auszuzahlen. Die bisherigen Verzögerungen sind durch nichts zu entschuldigen. Tausende von Betroffenen sind in den letzten Jahren gestorben«.
Volker Beck erwähnte noch, dass weiterhin »ein großes Fragezeichen bei der Alterversorgung jüdischer Kontingentflüchtlinge« bleibe. »Hier muss in dieser Wahlperiode eine Lösung gefunden werden«, sagte der Grünen-Politiker.