Am Revers seines dunklen Anzugs trägt Viktor Eichner eine gelbe Schleife. »Die erinnert an die israelischen Geiseln, die noch immer festgehalten werden«, sagt der 31-Jährige. Aus der aktuellen Politik hält er sich eigentlich heraus, aber der Angriff der Hamas auf Israel beeinflusst die Arbeit des jungen Ungarn massiv. »Der 7. Oktober hat viele meiner Projekte zerschlagen.« Denn Eichner vertritt den Jüdischen Weltkongress (WJC) beim Heiligen Stuhl.
Die Beziehungen zur katholischen Kirche seien für das Judentum sehr wichtig, betont Eichner. »Es gibt bei den Katholiken ein tiefes Verständnis über die jüdische Identität und Religion. Das wollen wir nutzen, um weitere Partnerschaften zu knüpfen.« So laufen in der am 18. Oktober eröffneten Vatikan-Vertretung des weltweiten Judentums, wenige Gehminuten vom Petersdom entfernt, viele Fäden zusammen.
Schon Eichners erste Papstaudienz an Tag zwölf des Nahost-Kriegs war davon überschattet: WJC-Präsident Ronald Lauder und seine Delegation baten Franziskus um Fürsprache zur Freilassung der Geiseln. »Es war trotz allem ein großartiges Gespräch, weil wir spürten, dass der Papst sehr tief mit uns fühlt«, erinnert sich Eichner.
Katholische Multiplikatoren
Bei seiner Arbeit sucht er vor allem Kontakt zur nächsten Generation katholischer Multiplikatoren: junge Priester, Ordensleute, Seminaristen und Studierende, so der Diplomat, der aus einer säkularen jüdischen Familie in Budapest stammt. »Aber ich will auch einfach das Positive des Judentums bekannter machen.«
Zum Beispiel bei sogenannten »Model Shabat Dinners«, die er zusammen mit seiner Frau, einer jungen Modedesignerin, zu Hause organisiert: »Die Gäste sollen unsere Tradition kennenlernen: die Speisen am Schabbat, koscheres Kochen - und dass da nichts Geheimnisvolles oder Seltsames passiert«, sagt Eichner, der neben Ungarisch auch Englisch, Italienisch und Hebräisch spricht.
Nach vier Jahren unter anderem als Unternehmensberater in Tel Aviv ging er gerne für den Jüdischen Weltkongress nach Rom. »Die allermeisten der mehr als 100 jüdischen Gemeinschaften weltweit leben in Frieden und enger Partnerschaft mit ihrer Umgebung und anderen Religionen«, sagt Eichner. »Aber die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell sich das wandeln kann.« Umso wichtiger seien verlässliche Partnerschaften über Grenzen hinaus.
Vorbildliches Deutschland
Deutschland, zuletzt das einzige Land Europas, in dem die Zahl der Juden wächst, findet er vorbildlich. Natürlich komme das Plus auch durch Migranten aus Russland und der Ukraine. Aber auch, weil Bundesregierung und Gesellschaft Verständnis dafür hätten, dass jüdisches Leben geschützt werden muss.
Ähnlich sei es beim Thema Antisemitismus: Studien zeigen einen weltweiten Anstieg von bis zu 500 Prozent seit dem 7. Oktober. »Deutschland ist da keine Ausnahme, aber auf niedrigerem Niveau.«
In seiner neuen Heimat Italien, wo von rund 60 Millionen Einwohnern etwa 30.000 Juden sind, fühle er sich sicher. »Ich sehe allerdings auch nicht jüdisch aus. Freunde von mir tragen nicht mehr öffentlich die Kippa oder entfernen die jüdische Schriftkapsel Mesusa von der Haustür - aus Angst.«
»Besatzer« und »Opfer«
Ihn überrasche es nicht, dass Antisemitismus heute nicht zwingend aus rechtsextremen Ecken komme, sondern auch aus liberalen bis linken Milieus. Dazu tragen aus Sicht Eichners auch manche Zuwanderer aus islamisch geprägten Staaten bei. Ihr Hass richte sich nicht nur gegen Juden, sondern generell gegen demokratische und liberale Werte.
Damit ändere sich fatalerweise auch die Sicht auf den Nahostkonflikt: Die Formel vom »Besatzer« Israel und den Palästinensern als »Opfer« sei inzwischen Mainstream. »Der Jüdische Weltkongress hat eine Resolution zur Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet, bei der Israelis und Palästinenser in Frieden leben können. Aber diese Idee scheint in weiterer Ferne als je zuvor.«
Bei seiner Arbeit mit dem Vatikan hat Eichner für 2025 nicht nur das Heilige Jahr im Auge, sondern auch den 60. Jahrestag von »Nostra Aetate«: Mit dem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) hatte die katholische Kirche ihr jahrhundertelang belastetes Verhältnis zum Judentum auf eine neue Basis gestellt.
Interreligiöse Initiativen
Die jüdische Antwort darauf ist das Dokument »Kishreinu« (»Unser Weg«). Aus diesen meist abstrakten Thesen sollen weiter konkrete interreligiöse Initiativen wachsen, sagt Eichner. Unterstützt wird er dabei vom päpstlichen »Ökumeneminister« Kardinal Kurt Koch und seinem Team.
Wenn Viktor Eichner einen Wunsch frei hätte? »Den Krieg sofort beenden und die Geiseln befreien beziehungsweise ihre Leichen den Familien zurückgeben«, sagt er ohne Zögern.
»Dieser Krieg ist schrecklich, auf beiden Seiten gibt es viele Tote und viel Leid. Und er verhindert auch wichtige Projekte, etwa für Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben«, so der junge Diplomat. »Wir sollten einander zuhören, kennenlernen, und dann gemeinsam Ideen für eine bessere Welt entwickeln.«