Bundestagswahl

»Reden wir Tachles, Herr Scholz!«

Im Gespräch: Journalistin Ilanit Spinner mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz Foto: ZR

Es ist ein Vorhaben zur Bundestagswahl, das ebenso ambitioniert wie vielsprechend ist. An insgesamt fünf Sonntagen wird die Journalistin Ilanit Spinner in Gesprächen mit den Spitzenkandidaten der demokratischen Parteien (die AfD wird als nichtdemokratische Partei also nicht dabei sein) der Frage nachgehen, wie koscher ihre Wahlprogramme sind.

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Heute nun startete der Zentralrat der Juden in Deutschland auf seinem YouTube-Kanal die Serie »Tachles Arena«. Zum Auftakt kam SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Die zentralen Fragen: Wie stehen die demokratischen Parteien und ihre Spitzenkandidaten zum Judentum, zu Israel, wie koscher sind ihre Programme? Fragen, die in der politischen Debatte sonst eher eine untergeordnete Rolle spielen. Mit der heute begonnenen Reihe des Zentralrats sollen Juden und am Thema interessierte Zuschauer einen ersten Überblick erhalten. 

Der erste Gast war nun Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der SPD. Bevor die Journalistin Ilanit Spinner begann, Scholz zu interviewen, wurde der Politiker von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats, begrüßt. Der wollte wissen, ob Olaf Scholz zur Zeit seines Abiturs Kontakt zu anderen jüdischen Jugendlichen gehabt hatte und welche Rolle das Judentum in seiner Schulzeit spielte.

Nach der Begrüßung ging es für Scholz im Gespräch mit Ilanit Spinner zur Sache. Die machte deutlich, dass »Tachles« nicht nur der Titel der Reihe ist, sondern Programm.

Jüdische Freunde hatte Scholz nicht, wie dieser ausführte, aber im Gegensatz zur Schulzeit von Schuster in Würzburg war die Schoa ein wichtiges Thema am Hamburger Gymnasium von Scholz, auf dem es viele engagierte Lehrer gegeben hatte: »Die Schule, auf der ich war, hat sich viel Mühe gegeben.«

Einmal privat und zwei Mal mit sozialistischen Jugendorganisationen habe er dann Israel bereist, erinnerte sich Scholz. Dabei sei ihm klar geworden, in welcher Gefahr Israel sich stets befindet: »Wenn man da war, weiß man, dass das Land nicht groß ist.« 

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Nach der Begrüßung ging es für Scholz im Gespräch mit Ilanit Spinner zur Sache. Die machte deutlich, dass »Tachles« nicht nur der Titel der Reihe ist, sondern Programm. 45 Minuten lang wurde Scholz mit Fragen konfrontiert, die – wie es sich für guten Journalismus gehört – für ihn nicht immer angenehm waren. Spinner konfrontierte den Kanzlerkandidaten der SPD mit Aussagen über die antisemitischen Ausschreitungen im Mai, die oft als Folge eines vor allem aus der muslimischen Welt importierten Antisemitismus dargestellt wurden. Dabei sei der Antisemitismus doch auch in der Breite der Gesellschaft verankert, so Spinner.

»Muss man nicht alle Formen des Antisemitismus benennen und bekämpfen?«, fragte sie Scholz. Der sagte, es sei bequem, einzelne Gruppen zu identifizieren. »Und so bequem darf man es sich nicht machen.« Man müsse genau hinschauen. Der Antisemitismus sei eine Bedrohung, die aus vielen verschiedenen Richtungen komme. »Ich bin froh, dass viele Jüdinnen und Juden Vertrauen in unser Land haben, obwohl Synagogen und jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen.«

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Spinner zeigte dann an einem eindrücklichen Beispiel, dass das Vertrauen so groß wie von Scholz behauptet nicht sein kann. Sie berichtete exemplarisch von einer 19-jährigen Jüdin, für die es normal ist, dass man keine Halskette mit einem Davidstern oder andere jüdische Symbole in der Öffentlichkeit tragen kann.

Scholz fand das bedrückend und erklärte, man habe eine gemeinsame Verantwortung dafür, dass sich das ändere. Ansonsten gelte, dass Vertrauen sich dadurch zeige, dass Juden in diesem Land leben. Einig waren sich beide, was das Demokratiefördergesetz betrifft, das die SPD durchsetzen wollte, um zivilgesellschaftliche Gruppen fördern zu können, die sich auch gegen Antisemitismus einsetzen. In der Regierung sei man sich am Ende langer Diskussionen einig gewesen, es wäre dann aber im Bundestag an Vorbehalten der Union gescheitert. Scholz versprach, ein solches Gesetz durchzubringen, wenn er Kanzler werden sollte. 

Mit der Einigkeit war es dann schnell vorbei, als es um das Thema Israel ging.

In einigen Bereichen hätte die Koalition von SPD und CDU allerdings auch gemeinsam gute Arbeit geleistet. Gesetze gegen Beleidigung und Hasskriminalität wären verschärft worden. Als Beleidigung gelte nun nicht mehr nur das, was in der Öffentlichkeit gesagt worden ist, sondern auch, was in einem Brief oder einer geschlossenen Online-Gruppe verbreitet wurde.

Als Ilanit Spinner ein weiteres Mal auf die antisemitischen Demonstrationen im Mai zu sprechen kam und berichtete, dass dort auf Arabisch judenfeindliche Parolen gerufen worden sind und die Polizei es nicht bemerkt hatte, weil keiner der Beamten Arabisch verstand, hatte sie Scholz auf ihrer Seite: »Die Polizei muss gestärkt werden und in der Lage sein, Dinge zu verstehen, die in anderen Sprachen gerufen werden.« 

Wie kann es sein, dass die Jugend der Fatah die Schwesterorganisation der Jusos ist und Deutschland bei den Vereinten Nationen häufig israelfeindlichen Resolutionen zustimmt?

Mit der Einigkeit war es dann schnell vorbei, als es um das Thema Israel ging. Scholz betonte, dass auch für ihn die Sicherheit Israels Teil der Staatsräson Deutschlands ist und er dafür sei, im Rahmen der deutsch-israelischen Sicherheitspartnerschaft Waffen an Israel zu liefern. Aber als Spinner ihn danach fragte, wie es sein könne, dass die Jugend der Fatah die Schwesterorganisation der Jusos sei und Deutschland bei den Vereinten Nationen häufig Resolutionen zustimme, die sich gegen Israel wenden, reagierte der Sozialdemokrat schmallippig.

Die Jusos seien für das Existenzrecht Israels, und er hoffe auf eine Friedenslösung im Nahen Osten im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung: »Der Frieden muss dauerhaft selbsttragend sein.«

Gegen Ende der Sendung kamen dann Juden zu Wort, die dem Aufruf des Zentralrats gefolgt waren, Fragen via Video an Scholz zu stellen. Grigory Rabiniovich fragte Scholz, wann der versprochene Härtefonds komme. Vielen Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion würde im Alter die Grundsicherung drohen, weil die Berufsabschlüsse der Kontingentflüchtlinge im Gegensatz zu den Aussiedlern nicht anerkannt worden sind. Sie hätten keine Chance gehabt, in ihren erlernten Berufen zu arbeiten.

»Chai ist nicht irgendein Wort. Es steht für Lebensfreude. Wird es irgendwann möglich sein, dass Juden diese Lebenslust ausleben können, ohne Angst zu haben?«

Scholz antwortete, die Verhandlungen mit den Ländern würden andauern, aber er habe im Bundeshaushalt für das Jahr 2022 Geld für den Fonds eingestellt: »Ich hoffe, wir bekommen das in diesem Jahr noch hin, vielleicht noch vor der Bundestagswahl.« 

Der Arzt Grischa Judanin wollte von Scholz wissen, warum bei Prüfungsterminen keine Rücksicht auf jüdische Feiertage genommen werden würde. Er hätte sein Staatsexamen ein Jahr später machen müssen, weil er nicht bereit gewesen sei, sich an Jom Kippur prüfen zu lassen. Scholz hatte von diesem Problem noch nie gehört, war sich aber sicher, dass es sich lösen lasse.  

Zum Schluss sprach Spinner Scholz auf eine Briefmarke an, die aus Anlass der Feiern zum 1700-jährigen Jubiläum jüdischen Lebens in Deutschland erschienen war und auf der groß das Wort »Chai« zu lesen ist: »Chai ist nicht irgendein Wort, das Wort steht für Lebensfreude. Wird es irgendwann möglich sein, dass Juden diese Lebenslust ausleben können, ohne Angst zu haben?«

Scholz antwortete: »Ich hoffe es.« Und versprach, seinen Beitrag zu leisten, dass das gelingt.

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