In mehreren Bundesländern wurde am Sonntag an die Befreiung von NS-Konzentrationslagern durch die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs gedacht. Doch das Gedenken konnte wegen der Corona-Pandemie nicht wie geplant mit großen Festakten stattfinden. In der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen in Niedersachsen kamen statt 5.000 Gästen nur rund ein Dutzend Menschen für eine Erinnerungsfeier zusammen. An die Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen in Brandenburg wurde online und mit einem ökumenischen TV-Gottesdienst erinnert.
AUSSENMINISTER Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) riefen zur anhaltenden Erinnerung an die Gräueltaten der NS-Zeit auf. In einer am Sonntag verbreiteten Videobotschaft zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnerte Maas daran, dass dort mehr als 20.000 Menschen ums Leben kamen: »Würde man für jeden eine Schweigeminute abhalten, bliebe es zwei Wochen lang still. Aber der Kampf gegen das Vergessen darf nicht still sein.«
Kulturstaatsministerin Grütters erklärte: »Dass wir Seite an Seite zurückdenken an das unermessliche Leid, das im April 1945 mit der Befreiung der Konzentrationslager für alle Welt sichtbar wurde, ist wichtiger denn je.« Sie sei »unendlich traurig«, dass das Erinnern wegen der Coronavirus-Pandemie in diesem Jahr nur digital stattfinden könne.
Der Rabbiner Andreas Nachama erinnerte in einem ökumenischen Fernsehgottesdienst an seinen Vater Estrongo Nachama, der den Todesmarsch der Häftlinge des KZ Sachsenhausen überlebt hatte. Oft werde gefragt, wo Gott in dieser Zeit gewesen sei. »Mein Vater fragte oft, wo war der Mensch in dieser Zeit«, sagte Nachama.
BERGEN-BELSEN In Bergen-Belsen begingen Vertreter aus Landespolitik, jüdischen Gemeinden und der KZ-Gedenkstätte am Sonntag einen stillen Festakt. »Bergen-Belsen ist und bleibt eine offene Wunde unserer Geschichte«, sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der einzigen Rede. Mit Blick über die niedersächsische Heidelandschaft, die weite Teile des Geländes bedeckt, erinnerte er an das Bild, das sich den Befreiern am 15. April 1945 bot. »Mehr als 60.000 Häftlinge fanden die britischen Soldaten damals vor, die meisten von ihnen dem Tode näher als dem Leben und viele Tausend von ihnen verstarben noch in den Tagen danach.«
ÜBERLEBENDE Die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch beschrieb die Situation so: »Nichts als Leichen, Leichen, Leichen«, sagt sie in einer Videobotschaft, die auf der Internetseite der Gedenkstätte veröffentlicht wurde: »Belsen war einzigartig, es war kein Vernichtungslager, hier gab es keine Gaskammern, in Belsen ist man ganz einfach krepiert», sagt die Cellistin aus London. Die 94-Jährige hätte eigentlich die Hauptrede bei der Gedenkfeier halten sollen, zu der 120 Überlebende des Lagers erwartet worden waren.
Die große Gedenkfeier wurde in das kommende Jahr verlegt. Für die Überlebenden sei das eine sehr große Enttäuschung, sagte Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner. Sie hätten den Jahrestag der Befreiung gern am historischen Ort verbracht. Zudem handle es sich um hochbetagte Menschen, die nicht wüssten, ob sie im kommenden Jahr noch reisefähig seien. »Oder ob sie überhaupt noch leben.« epd