Berlin

Verfassungsschutz stuft BDS-Bewegung als Verdachtsfall ein

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte am Dienstag zusammen mit Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang den Verfassungsschutzbericht vor Foto: picture alliance/dpa

Die Sicherheitslage in Deutschland ist und bleibt angespannt. Das sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2023. Die Demokratie sei stark, stehe aber unter erheblichem Druck: »Wir müssen uns inneren Bedrohungen durch Extremismus ebenso entschieden entgegenstellen wie den äußeren Bedrohungen vor allem durch das russische Regime und dessen massive hybride Bedrohung«, so Faeser.

Auch die Eskalation im Nahen Osten nach dem Terror der Hamas gegen Israel wirke sich in Deutschland aus. Ein drastischer Anstieg von antisemitischen Straftaten sei dabei zu verzeichnen. Während im Oktober 2022 noch 208 antisemitische Straftaten verzeichnet wurden, waren es im Oktober darauf bereits 1342. 406 davon stammen aus dem Bereich Rechtsextremismus, 266 aus dem Bereich religiöser Ideologien und 18 aus dem linksextremen Spektrum.

»Wir müssen die Spirale, dass Eskalationen im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass bei uns führen, unbedingt durchbrechen«, sagte die SPD-Politikerin. Zugleich versicherte Faeser: »Die Sicherheitsbehörden reagieren mit sehr hoher Wachsamkeit auf die jüngsten Entwicklungen und gehen aktiv gegen jede Art von antiisraelischer und antisemitischer Hetze vor.« Der Nahostkonflikt habe »wie ein Brandbeschleuniger« auf den Antisemitismus in Deutschland gewirkt, betonte Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Sonderkapitel zum 7. Oktober

Erstmals enthält der Verfassungsschutzbericht ein Sonderkapitel zu den Auswirkungen des Nahostkonflikts und zum Antisemitismus. Darin wird festgestellt, dass verschiedene extremistische Akteure den Konflikt nutzten, um zu Hass und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden oder den Staat Israel aufzurufen oder dessen Existenzrecht zu verneinen.

In dem Kapitel wird auch dargestellt, wie verschiedene extremistische Strömungen auf die Massaker vom 7. Oktober blicken. Darin wird deutlich: Antisemitismus ist der Kitt, der Extremisten zusammenhält.

Säkulare Extremisten wie der mittlerweile verbotene Verein Samidoun (eine Vorfeldorganisation der Palästinensischen Befreiuungsfront) organisierten israelfeindliche Demos, ebenso wie Islamisten und Rechts- und Linksextremisten. Unterschiede gibt es in der Auslegung des Antisemitismus.

Während Samidoun, die BDS-Bewegung (die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt wird) und Linksextremisten ihren Antisemitismus unter dem Deckmantel des »Antizionismus« und »Anti-Imperialismus« verschleiern, leben deutsche und türkische Rechtsextremisten ihren Antisemitismus offen aus.

Dem Verfassungsschutz zufolge würden Rechtsextreme die Massaker der Hamas jedoch vor allem mit Blick auf die innenpolitischen Auswirkungen thematisieren. So verbreiteten Vertreter der Partei »Die Heimat« (früher NPD) die These, Israel habe den Terrorangriff selbst inszeniert oder zumindest absichtlich zugelassen haben, um den Krieg gegen die Hamas zu rechtfertigen und einen Flüchtlingsstrom nach Europa zu provozieren.

Bei den sogenannten »Deligitimierern des Staates«, also der verschwörungstheoretischen Szene von Corona-Leugnern bis zu Reichsbürgern, finden sich noch krudere Theorien. Dort verbreitet sich dem Verfassungsschutz zufolge die Erzählung, dass Israel die Angriffe der Hamas inszeniert oder zugelassen habe, um sich im Südosten der Ukraine neu zu gründen. Fünf Millionen Israelis sollen in die teilweise entvölkerten Landstriche hinter der Front zu den russisch besetzten Gebieten umgesiedelt werden, glauben die Verschwörungstheoretiker. Die Aktion werde von einer kriminellen jüdischen Geheimgesellschaft vorbereitet, nämlich der khasarischen Mafia, die wiederum von der Bankiersfamilie der Rothschilds kontrolliert und finanziert werde. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist Jude und sei deshalb in die Aktion involviert.

BDS erstmals Verdachtsfall

Brisant: Der Verfassungsschutz hat zum ersten Mal die BDS-Bewegung als extremistischen Verdachtsfall eingestuft. Die Bewegung, die nicht nur israelische Künstler, Wissenschaftler und Produkte boykottiert, sondern auch Deinvestitionen und Sanktionen gegen Israel fordert, weise »Bezüge zum säkularen palästinensischen Extremismus«, so die Verfassungsschützer.

Deutschland im Fokus des islamistischen Terrors

Europa und damit auch Deutschland stünden im Fokus dschihadistischer Organisationen, hieß es bei der Vorstellung des Berichts. Das islamistische Personenpotenzial bewege sich mit rund 27.000 Personen weiterhin auf hohem Niveau. In diesem Bereich gehe die größte Gefahr von radikalisierten Einzeltätern und Kleinstgruppen aus.

Bundesinnenministerin Faeser sagte: »Wir haben die islamistische Szene im Visier.« Die Sicherheitsbehörden hätten auch in den vergangenen Monaten mehrfach frühzeitig zugeschlagen, um Anschlagspläne zu verhindern. Gleichzeitig habe man zahlreiche Gesetzesverschärfungen vorgenommen, um gegen Islamisten viel härter als unter früheren Regierungen vorzugehen. »Wir haben dafür gesorgt, dass keiner mehr den deutschen Pass bekommen kann, der durch Judenhass und Islamismus auffällt«. Islamisten ohne deutschen Pass können jetzt sehr viel schneller abgeschoben werden, so Faeser. Und Islamisten mit deutschem Pass müsse der Rechtsstaat strafrechtlich konsequent verfolgen. »Wir bleiben im Kampf gegen Islamismus äußerst wachsam und handeln international wie national eng vernetzt«, so Faeser.

Die Bundesinnenministerin verwies auch auf Entwicklungen im Bereich des Rechtsextremismus. Hier sei die Zahl der Straftaten im Jahr 2023 um fast ein Viertel auf rund 920.000 angestiegen. Ebenfalls seien die Gewalttaten in diesem Bereich ebenfalls erneut gestiegen. Auch sei im Rechtsextremismus das Personenpotenzial weiter angewachsen und liege bei 40.600. Ebenfalls sei der Anteil der gewaltorientierten Rechtsextremisten auf 14.500 gestiegen. ddk/nko

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