Das Verfahren gegen Jan-Robert von Renesse, Richter am Landessozialgericht in Essen, wurde auf den 19. April vertagt. Auf Anregung des Richterdienstgerichtes wollen von Renesse und das NRW-Justizministerium die Zeit nutzen, um sich »gütlich zu einigen«.
Das Land wirft von Renesse vor, in einem Schreiben an den Bundestagspräsidenten abfällig über die Arbeit des Sozialgerichts in Zusammenhang mit der Bewilligung von Renten für ehemalige Ghettoarbeiter geäußert zu haben. Unter anderem, so lautet ein Vorwurf, habe von Renesse den Eindruck erweckt, jüdische Ghettoarbeiter hätten in Nordrhein-Westfalen beim Versuch, ihre Ansprüche einzuklagen, kein rechtstaatliches Verfahren bekommen.
Zeugen Von Renesse kämpfte wie kein anderer deutscher Richter dafür, dass ehemalige Ghettoarbeiter die Rente bekamen, für die sie auch Beiträge gezahlt hatten. Und er entschied nicht einfach nach Aktenlage, sondern ließ Zeugen vor Gericht auftreten und sichtete Beweise. Jan-Robert von Renesse tat schlicht das, was ein guter Richter tun sollte: Er informierte sich umfassend, bevor er ein Urteil fällte.
Und er beließ es nicht bei seiner Arbeit im Gerichtssaal, sondern trug dazu bei, dass sich die Gesetze ändern: Renesse sorgte mit einer Petition dafür, dass der Bundestag 2014 beschloss, ehemaligen Ghettoarbeitern eine rückwirkende Auszahlung der Rente zu ermöglichen. Das Leben Tausender ehemaliger Ghettoarbeiter, zwei Drittel von ihnen leben heute in Israel, wurde dadurch verbessert, auch wenn die Regelung für die allermeisten Betroffenen um viele Jahre zu spät kam.
Dienstherr Doch von Renesse erhielt für seine Arbeit und sein Engagement kein Lob. Im Gegenteil. Sein Dienstherr, das Justizministerium des von Rot-Grün regierten Landes Nordrhein-Westfalen, strengte eine Klage vor dem Richterdienstgericht in Düsseldorf gegen ihn an. Richterdienstgerichte überprüfen dienstrechtliche Vergehen von Richtern und können Strafen verhängen, die bis zur Entfernung aus dem Dienst und der Aberkennung aller Pensionsansprüche gehen.
Der Grund für das Verfahren: Renesse wird unterstellt, durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit den Ruf der Richterschaft beschädigt zu haben. Vorgeworfen wird ihm vor allem, dass er in der Begründung seiner Petition die Arbeit der Richter kritisiert hatte, die bis 2009 alle Rentenansprüche von Ghettoarbeitern verworfen hatten. »Ein solches Verhalten«, räumt von Renesse ein, »wäre gegenüber meinem Arbeitgeber illoyal, wenn ich nicht intern auf die Mängel aufmerksam gemacht hätte, doch das habe ich immer wieder getan.«
Das Justizministerium hat gegen von Renesse eine Strafe von 5000 Euro beantragt. Zu dem Verfahren äußern mochte sich das Ministerium auf Anfrage dieser Zeitung ebenso wenig wie das Landgericht Düsseldorf, bei dem das Richterdienstgericht angesiedelt ist. »Ich gehe davon aus, verurteilt zu werden«, sagt von Renesse. »Der Corpsgeist unter den Richtern ist groß, und Kritik aus den eigenen Reihen ist nicht erwünscht. Das wird als Selbstbeschmutzung gesehen. Argumente spielen da kaum eine Rolle.«
Jan-Robert von Renesse hoffte darauf, dass das Gericht nicht schon nach dem ersten Prozesstag ein Urteil fällt, sondern sich mit den Fakten auseinandersetzt.
Zentralrat Der Zentralrat der Juden hat sich in dieser Sache schriftlich an die Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, Hannelore Kraft, gewandt. Dabei betont Zentralratspräsident Josef Schuster die Verdienste von Richter von Renesse, der mit seinem Einsatz nicht nur die Thematik der Ghettorenten ins öffentliche Bewusstsein gebracht habe. »Durch seine Arbeit hat er zahlreichen Schoa-Überlebenden auch einen Teil ihrer Würde zurückgegeben.
Insbesondere nach der zunächst sehr restriktiven und bürokratischen Auftragsbearbeitung durch die zuständigen Rentenversicherungsträger«, heißt es in dem Schreiben. Mit seinem Einsatz habe Richter von Renesse den Menschen, die die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte persönlich durchlebt haben, ein faires Verfahren ermöglicht und ihnen nicht zuletzt in einem gewissen Maße auch Vertrauen in das deutsche Rechtssystem zurückgegeben.
Ohne sich in ein internes Disziplinarverfahren einmischen zu wollen, sei es dennoch ein besonderes Bedürfnis, dies in Erinnerung zu bringen. Der Zentralrat bedauere es sehr, dass der Richter durch sein beispielhaftes Verhalten nun einer derartigen Situation ausgesetzt sei, und bitte, seine großen Verdienste bei einer Beurteilung zu berücksichtigen, schreibt Schuster.
Unterstützung kommt auch aus Israel. Die ehemalige Knessetabgeordnete Colette Avital sagte unserer Zeitung, dass sie als Vorsitzende der Dachorganisation der Schoa-Überlebenden zu diesem Vorgang nicht schweigen könne. Sie habe sich bereits an den deutschen Botschafter in Tel Aviv, Clemens von Goetze, gewandt. Bei einem persönlichen Treffen habe sie ihm verdeutlicht, dass das Verfahren dem Ansehen der Bundesrepublik schade.
Unterschriften Im Internet laufe eine Unterschriftenaktion zur Unterstützung des Richters, der sich bereits mehr als 1200 Israelis, darunter zahlreiche Schoa-Überlebende, angeschlossen haben. Avital wollte die Liste am Mittwoch an Ministerpräsidentin Kraft senden. Auch habe sie mit von Renesse telefoniert, der sich bei ihr für die Solidarität bedankt, aber ausdrücklich nichts verlangt oder erbeten habe. »Man sollte dem Richter für sein Handeln danken und ihn nicht beschuldigen. Ohne die Unabhängigkeit der deutschen Justiz infrage stellen zu wollen, möchte ich betonen, dass Herrn von Renesse hier Unrecht widerfährt«, sagt Avital.
Normalerweise finden Verfahren vor Richterdienstgerichten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In Düsseldorf war das auf Antrag von Jan-Robert von Renesse anders. Der Umgang des deutschen Staates mit einem Richter, der sich dafür einsetzt, dass NS-Opfer die Renten bekommen, die ihnen zusteht, findet internationale Beachtung.