Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) war endgültig: Drei in Berlin geplante Kundgebungen – laut Anmeldern »anlässlich des 74. Jahrestages der Vertreibung der Palästinenser*innen aus ihrer Heimat« – blieben verboten.
Das Gericht hatte sich der Einschätzung der zuständigen Behörde angeschlossen, wonach »zu erwartende Gewalttätigkeiten sowie volksverhetzende und antisemitische Äußerungen« die Untersagung rechtfertigen. Mit einer ähnlichen Begründung war bereits am 29. April eine gegen Israel gerichtete Demonstration verboten worden.
Damit geht Berlin einen Sonderweg. Denn andernorts durften vergleichbare Demonstrationen stattfinden. In Frankfurt am Main wurde eine Versammlung zwar untersagt, das Verwaltungsgericht hob die Verfügung aber wieder auf. Weitere Städte, etwa Freiburg, hatten ein Verbot gar nicht erst erwogen.
bewusstsein Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, lobt im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen den »Mut der Behörden« in Berlin. Dass man dort so bestimmt handele, führt Klein auf ein »gewachsenes Bewusstsein bei den Verantwortlichen« zurück sowie darauf, dass propalästinensische Demonstrationen in Berlin in der Vergangenheit besonders gewalttätig ausfielen.
Im April war es bei mehreren israelfeindlichen Kundgebungen zu antisemitischen Zwischenfällen sowie Gewalt gegen Polizeibeamte und Pressevertreter gekommen.
So war es im April bei mehreren israelfeindlichen Kundgebungen zu antisemitischen Zwischenfällen sowie Gewalt gegen Polizeibeamte und Pressevertreter gekommen. Bereits im vergangenen Jahr waren propalästinensische Versammlungen eskaliert. Der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn beobachtet seit einigen Jahren eine »erhebliche Verschärfung« israelfeindlicher Proteste. Immer öfter richteten sie sich »ausdrücklich gegen Jüdinnen und Juden«.
Die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht Berlin, hatte die Aufrechterhaltung des Demonstrationsverbots unter anderem damit begründet, dass die angemeldeten Kundgebungen mit vorangegangenen »bezüglich des Mottos sowie des Teilnehmenden- und Organisatorenkreises deutliche Ähnlichkeiten« aufwiesen. In Öffentlichkeit und Politik stieß dieser Beschluss, den das OVG bekräftigte, auf unterschiedliche Reaktionen.
gewalt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte: »Auf diesen Demonstrationen wird zu Gewalt gegen Israelis aufgerufen.« Viele Parolen seien antisemitisch. »Daher waren die Verbote angemessen.«
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Wir müssen als Rechtsstaat sehr konsequent eingreifen, wenn Islamisten antisemitische und israelfeindliche Parolen brüllen oder es bei solchen Demonstrationen zu Gewalttaten kommt.«
Es sei wichtig, »hiergegen alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Hetze und Gewalt schon im Vorfeld zu verhindern«. Komme es dennoch zu Straftaten, müssten die Täter »die Konsequenzen deutlich zu spüren bekommen« und »antisemitische Motive zu schärferen Strafen führen«. Auch »in allen muslimischen Communitys muss klar sein«, dass Antisemitismus nicht geduldet werde.
»Wir müssen als Rechtsstaat sehr konsequent eingreifen.«
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Die Antisemitismusbeauftragte der FDP-Bundestagsfraktion, Linda Teuteberg, sagte dieser Zeitung, Versammlungsverbote könnten »aus guten Gründen nur Ultima Ratio sein«. Im vorliegenden Fall seien sie aber »gut begründet und verhältnismäßig«. Ihre grüne Parlamentskollegin Marlene Schönberger, die in ihrer Fraktion für die Bekämpfung von Antisemitismus zuständig ist, betonte, es müsse »stets im Einzelfall geprüft, abgewogen und verhältnismäßig entschieden werden«. Aber auch Schönberger glaubt, dass als letzter Schritt Verbote möglich sein sollten.
Das Versammlungsrecht liegt weitgehend in der Kompetenz der Länder. Berlins Innensenatorin Iris Spranger wollte sich gegenüber der Jüdischen Allgemeinen nicht direkt zu den Demonstrationsverboten äußern. Eine Sprecherin erklärte aber, es sei »wichtig und richtig, dass die Versammlungsbehörde der Polizei Berlin absehbare Straftaten bei Versammlungen im Vorfeld durch Auflagen und Verbote verhindert«.
Der Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, Kai Wegner (CDU), begrüßte auf Anfrage die Verbote. Die Demonstrationsfreiheit sei wichtig, die Grenze müsse aber bei »antisemitischer Hetze« gezogen werden.
verbotsschwelle Dagegen lehnt Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, die Verfügungen ab. Die zur Debatte stehenden Demonstrationen hätten zwar ein »Antisemitismusproblem«, die Polizei hätte in diesem Fall aber auch zu milderen Mitteln greifen können. Schrader befürchtet, dass sich die »Schwelle für Verbote« weiter senke und schließlich alle treffe, »die für ihre politischen Ziele auf die Straße gehen«.
Auch der Verwaltungsjurist Clemens Arzt hegt Vorbehalte gegen die behördliche Untersagung der Proteste. »In den Jahren und Jahrzehnten vor Corona hat die Rechtsprechung solche Vorabverbote fast durchgängig beanstandet«, meint der Jurist, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin lehrt. Anstelle eines Verbots der Demonstrationen hätte er »Auflagen zu Parolen und Transparenten« sowie »konsequentes Einschreiten« bei Straftaten für ausreichend und den Schutz der Versammlungsfreiheit als angemessen erachtet.
»Auf diesen Demonstrationen wird zu Gewalt gegen Israelis aufgerufen.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Sein Kollege Ulrich Battis sieht das anders. »Nach dem Grundgesetz sind Versammlungen nur friedlich und ohne Waffen erlaubt«, so der emeritierte Professor für Verwaltungsrecht dieser Zeitung. Die Prognose der Berliner Polizei, dass die Proteste unfriedlich verlaufen wären, sei »nicht aus der Luft gegriffen«. Sie beruhe vielmehr auf Erfahrungen mit vergangenen Protesten. Eine Einschätzung, die auch das Verwaltungsgericht teilt: »Mildere Mittel« als ein Verbot seien angesichts der zu erwartenden Ausschreitungen »nicht in Betracht« gekommen.
Struktur Der Gründer des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA), Levi Salomon, glaubt zudem, dass Gewalt und Antisemitismus bei den Kundgebungen in Berlin nicht nur von Einzelpersonen ausgingen. Dort sei es »fast ausnahmslos zu Antisemitismus und Israelhass« gekommen. Das Problem sei »strukturell«, betont Salomon, der seit mehr als 20 Jahren extremistische Demonstrationen beobachtet: »Die Verbote waren überfällig.«
Mit ihrem abgewiesenen Einspruch beim Berliner Oberverwaltungsgericht haben die Anmelder der verbotenen Kundgebungen den regulären Rechtsweg ausgeschöpft. Ihnen bleibt jetzt noch die Möglichkeit, Verfassungsklage einzureichen. Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein würde eine höchstrichterliche Entscheidung in diesem Fall sogar begrüßen: »Dann hätten wir auch für die Zukunft Klarheit.«