Studie

»Verantwortung für das Jetzt«

Stephan Grünewald über die Generation Z, ihren Umgang mit der NS-Zeit und Geschichtsvermittlung

von Katrin Richter  12.02.2022 18:15 Uhr

Stephan Grünewald Foto: imago images / APress

Stephan Grünewald über die Generation Z, ihren Umgang mit der NS-Zeit und Geschichtsvermittlung

von Katrin Richter  12.02.2022 18:15 Uhr

Herr Grünewald, laut Ihrer Studie »Mutprobe NS-Zeit: unheimliche Faszination und hohe Sensibilität der Gen Z« interessieren sich Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren wieder mehr für die NS-Zeit. Ist das ein überraschendes Ergebnis?
In dieser Deutlichkeit, ja. Einer der wesentlichen Gründe ist, dass sie – im Vergleich zu den früheren Generationen – einen unbeschwerteren Zugang finden, weil sie sich persönlich nicht mehr schuldig fühlen. In der Regel kennen sie niemanden, der in die NS-Gräueltaten verwickelt war. Sie spüren eine Verantwortung für das Jetzt, aber nicht für die Vergangenheit.

Wie bewerten Jugendliche die NS-Zeit?
Sie erleben sie als diametrales Gegenbild zu ihrer eigenen Lebenswelt. Sie wachsen in einer Demokratie auf, die durch eine multioptionale Bereitstellungskultur geprägt ist. Die Ungeheuerlichkeit der NS-Zeit führt bei jungen Leuten mitunter zu einer Art Angstfaszination. Man blickt in einen Abgrund und stellt sich die Frage: Wie hätte ich damals agiert?

Was ist diese »unheimliche Faszination«?
Es ist ganz wichtig, diese Faszination, der vor 80 Jahren ein ganzes Volk erlegen ist, nicht zu tabuisieren. Sie hat weniger mit den Gräueltaten als mit dem Gleichschritt, mit dem Führerprinzip zu tun. Für Jugendliche ist es ein wichtiger Lernprozess, zu spüren: Es gibt auch in mir eine Seite, die davon erst einmal angelockt wird. Aber dann erleben viele einen Immunisierungsprozess: »Wenn ich verfolge, wohin das führt, bin ich gefeit, diesen Ideologien zu folgen.«

23 Prozent der Befragten finden das Thema »zu komplex«. Welche Schlüsse lassen sich für den Geschichtsunterricht daraus ziehen?
Es sollte kein isoliertes Faktenwissen vermittelt, sondern ein Bezug zur Lebenswelt der jungen Leute hergestellt werden. Dadurch können sie feine Antennen entwickeln, was heute in puncto Rassismus, Ausgrenzung, Verschwörungstheorien schiefläuft.

In der Studie heißt es, dass sich Jugendliche einen »snackable content« wünschen. Wie kann der realisiert werden?
Die Häppchen sollten nicht klein sein, es muss klar werden: Das hilft, mich selbst und meine eigenen Widersprüche zu verstehen. Viele Befragte nannten das Projekt über den Instagram-Account von Anne Frank oder das Hologramm von Anita Lasker-Wallfisch. Die jungen Leute wollen die Opferperspektive nachvollziehen, aber auch verstehen, was in den Tätern vorgegangen ist und wie man so menschenverachtend agieren kann.

Wie nehmen Jugendliche den zunehmenden Antisemitismus wahr?
Sie realisieren gesamtgesellschaftlich, dass es einen stärkeren Rassismus, dass es eine stärkere Aggressionsbereitschaft gibt. Die Gen Z subsumiert Antisemitismus eher unter Rassismus.

Mit dem Mitbegründer des rheingold-Instituts sprach Katrin Richter.

Appell

Reißt euch zusammen!

Die Parteien der demokratischen Mitte müssen in der Migrationspolitik endlich Kompromisse eingehen – alles andere stärkt die Extremisten

von Ayala Goldmann  05.02.2025

Debatte

Auschwitz-Überlebender appelliert an Merz: »Bleiben Sie Mensch«

Merz solle das »menschenfeindliche« Gesetz nicht weiter behandeln

 05.02.2025

Düsseldorf

Mehr als 4500 antisemitische Straftaten im vergangenen Jahr

Judenhass ist in Deutschland verbreitet. Das zeigt sich erneut in einer erschreckend hohen Zahl von Straftaten

 05.02.2025

Kommentar

Historischer Tabubruch? Einreißen der Brandmauer?

Friedrich Merz und die Verschärfung der Migrationspolitik: Eine Einordnung von JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  05.02.2025 Aktualisiert

Riad

Saudi-Arabien bekräftigt Unterstützung für Palästinenser

Mithilfe der USA will Israel sein Verhältnis zur Führung in Riad normalisieren. Doch die Saudis stellen Bedingungen

 05.02.2025

Washington D.C.

Netanjahu berät über Verhandlungen mit der Hamas

Die Verhandlungen über die zweite Phase des Geisel-Deals hätte schon am Montag beginnen sollen

 04.02.2025

Kommentar

Hoffen wir, dass Donald Trump einen Plan hat

Der US-Präsident will den Gazastreifen besetzen und hätte nichts dagegen, wenn Israel Teile des Westjordanlands annektieren würde. Was will er damit bezwecken?

von Nils Kottmann  05.02.2025 Aktualisiert

Interview

»Es wäre zu schwer, um es weiterhin an meiner Jacke zu tragen«

Der Schoa-Überlebende Albrecht Weinberg möchte sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben - aus Protest gegenüber dem Antrag der Unionsfraktion zur Asylpolitik

von Christine Schmitt  04.02.2025

Kassel

Kunsthochschule zeigt Terror-verherrlichende Ausstellung

Die Hochschule bot einem Mann eine Plattform, der einen Hamas-Terroristen zum »Superhelden« erklärte. Jüdische Studenten sind entsetzt

von Imanuel Marcus  04.02.2025