Es sollte ein klares Zeichen sein, dass Judenhass in öffentlichen Räumen nichts verloren hat: Vor vier Jahren beschloss der Münchener Stadtrat einmütig, der gegen Israel gerichteten Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) fortan keine städtischen Räumlichkeiten für Veranstaltungen mehr zur Verfügung zu stellen.
Doch nach längerem juristischen Hin und Her gab das zuständige Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nun einem BDS-nahen Kläger recht. Die Beschränkung des Widmungsumfangs einer kommunalen öffentlichen Einrichtung, die deren Nutzung »allein aufgrund der Befassung mit einem bestimmten Thema« ausschließe, verletze das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, urteilte das Gericht vergangene Woche.
Die Stadt München habe in unzulässiger Weise in den Schutzbereich des Grundrechts eingegriffen, weil sie den Ausschluss von der Nutzung öffentlicher Einrichtungen an eine »zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur BDS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen und Themen geknüpft« habe.
HETZE Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), zeigte sich enttäuscht über das Urteil. »Ich bin keine Juristin, und ich verstehe, dass man die Meinungsfreiheit als hohes Gut einstuft. Aber auch die kann bekanntlich missbraucht werden – zum Beispiel, wie im Fall der BDS-Kampagne, um gegen Israel zu hetzen.« Das Argument, dies müsse in städtischen Sälen erlaubt sein, hält sie für absurd. »Wenn so etwas gegen den Willen der Stadt ausgerechnet hier, in der ehemaligen ›Hauptstadt der Bewegung‹ der Nazis, zugelassen werden muss, dann schlucke ich schon.«
Bei BDS-Veranstaltungen werde mit Israel regelmäßig »ein mit Deutschland befreundetes Land mit Hass überzogen«, sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Sie sei dem Stadtrat »äußert dankbar«, dass er 2017 von sich aus und fraktionsübergreifend beschlossen habe, diesem Treiben nicht einfach weiter zuzusehen, so die IKG-Präsidentin. Sie hoffe, dass sich die Politik der Sache trotz der juristischen Niederlage in Leipzig nochmals annehmen werde. »Die übergeordneten Stellen müssen etwas unternehmen, auch wenn das vielleicht rechtlich nicht einfach ist. Hier geht es nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern auch und ganz konkret um den Schutz jüdischen Lebens«, betonte Knobloch.
»Hier geht es nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern auch und ganz konkret um den Schutz jüdischen Lebens.«
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch
Dieser Ansicht ist auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Er könne schwer einschätzen, ob es angesichts des Urteils noch möglich sei, ein Saalverbot für BDS-Veranstaltungen auf eine solide rechtliche Grundlage zu stellen. Es gebe aber einen Konsens der Politik, dass BDS als antisemitisch einzustufen sei, so Reiter mit Verweis auf eine Entschließung des Bundestags vom Mai 2019.
Er ruft die Landes- und Bundespolitik daher auf, gangbare Alternativen zu prüfen. Man müsse jedoch erst die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten. Die in der Pressemitteilung enthaltenen Sätze seien allerdings so eindeutig, dass der Stadt vorerst wohl »die Hände gebunden« seien.
VERFASSUNGSSCHUTZ Auch die frühere Bundesjustizministerin und jetzige Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kann die Kritik an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nachvollziehen. Sie ist aber skeptisch, was eine gesetzliche Regelung des Problems anbelangt. »Ein Ansatzpunkt für künftige Fälle ist die Widmung von Räumen. Sie kann auf bestimmte Zwecke begrenzt werden, aber nach der Entscheidung nicht auf bestimmte Themen«, so die FDP-Politikerin.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) teilte auf Anfrage mit, er begrüße es ausdrücklich, wenn rechtliche Handlungsspielräume voll ausgeschöpft würden, um antisemitischen Bestrebungen entgegenzutreten. »Selbstverständlich wird die BDS-Bewegung vom Verfassungsschutz fortlaufend auf Anhaltspunkte für extremistische sowie gegen das Diskriminierungsverbot und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Bestrebungen überprüft.«
Die bisherige Rechtsprechung lasse aus verfassungsrechtlichen Gründen allerdings keinen Spielraum, um »den Zugang zu gemeindlichen Einrichtungen zwischen erwünschten und nicht erwünschten, aber strafrechtlich nicht relevanten Veranstaltungen zu unterscheiden«, so Herrmann.
SCHIEFLAGE Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, schmerzt das Urteil. »Die Meinungsfreiheit gehört zu unseren Grundrechten, und das ist gut so. Allerdings ist Antisemitismus keine Meinung«, sagte Schuster dieser Zeitung. Der Bundestagsbeschluss gegen BDS dürfe nicht nur »Papiertiger« bleiben. Er hofft nun, »dass Bund und Länder einen Weg finden, damit die BDS-Initiative zumindest in öffentlichen Räumen keine Plattform erhält«.
Es gehe nicht nur um BDS, sondern um die Haltung zu Israel insgesamt. »Hier ist in Deutschland vielerorts eine Schieflage eingetreten. Daher wäre es zum Beispiel wichtig, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz um das Merkmal ›Nationalität‹ zu ergänzen, damit etwa ein Israeli hier nicht deshalb straflos diskriminiert werden kann, weil er Israeli ist. Staatliche Unterstützung sollten auch Hochschulen finden, wenn sie gegen BDS vorgehen wollen«, fordert der Zentralratspräsident.
BDS dürfe nicht unterschätzt werden. Gerade im Kunst- und Kulturbetrieb und unter Intellektuellen habe die Kampagne viele Anhänger, sagte Schuster.
KRITIKER Im Dezember 2020 hatte die »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« deutscher Kulturschaffender einen Aufruf lanciert. Darin wurde suggeriert, die (nichtbindende) Anti-BDS-Resolution des Bundestages richte Schaden in der internationalen Kulturarbeit an. Das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist deshalb Wasser auf die Mühlen der Kritiker.
»Antisemitismus ist keine Meinung.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Einer von ihnen, der grüne Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin, schrieb auf Twitter: »Ein klares Urteil und eine Ohrfeige für einen törichten Beschluss des Bundestages.« Nachfragen der Jüdischen Allgemeinen dazu wollte Trittin nicht beantworten, verwies aber auf die Erklärung grüner Abgeordneter vom Mai 2019, mit der sie ihr Nein zur Entschließung des Parlaments gegen BDS begründeten. Kritik an Auftreten und Zielen der BDS-Bewegung sei durchaus berechtigt, ihre pauschale Einstufung als »antisemitisch« aber falsch, argumentierten Trittin und einige seiner Fraktionskollegen, darunter die heutige Kulturstaatsministerin Claudia Roth.
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, bezeichnete die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung hingegen als »antisemitisch«. Der Jüdischen Allgemeinen sagte er: »Es ist unerträglich, wenn der Staat Anhängern dieser Bewegung Räume zur Verfügung stellen muss. Bund und Länder müssen angesichts des Leipziger Urteils jetzt genau prüfen, ob und wie ein Anmiete-Verbot für solche Antisemiten gesetzlich geregelt werden kann.«
PRÜFUNG Neben München ist auch die Stadt Frankfurt vom Leipziger Urteil betroffen. Nach Verkündung des Richterspruchs hob die städtische Saalbau GmbH das bestehende Vermietungsverbot für BDS-Veranstaltungen auf. Saalbau-Geschäftsführer Frank Junker sagte der Jüdischen Allgemeinen, er bedaure dies, das Urteil lasse ihm aber »keine andere Wahl«. Man habe in der Vergangenheit konsequent darauf geachtet, städtische Räumlichkeiten nicht für BDS-Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. »Diese Linie können wir jetzt nicht mehr aufrechterhalten«, so der Jurist.
Politiker im Frankfurter Römer haben dennoch angekündigt, das Urteil erst einmal zu prüfen. Die Kulturdezernentin der Stadt, Ina Hartwig (SPD), sagte der »Frankfurter Rundschau«, die BDS-Kampagne lasse Bezüge zum Antisemitismus erkennen. Man werde deshalb überlegen, wie im Einzelfall Veranstaltungen verhindert werden könnten, vor allem, wenn es potenziell »zu strafbaren Handlungen wie Volksverhetzung, Beleidigung und ähnlichen Tatbeständen kommt«.