Standpunkt

Uralte Klischees

Die Bezeichnung des Berliner Holocaust-Mahnmals als »Denkmal der Schande« findet Historiker Wolfgang Reinhard »in der Sache zutreffend«. Foto: picture alliance / Jens Kalaene/dpa

Uralte Judenklischees neu verpackt: Die in Deutschland und der Welt dominante Holocaust-Erinnerungs»kultur« wäre ein in den 60er-Jahren begonnenes, israelisch-jüdisch-amerikanisches Mach- und Machtwerk. Scheinwissenschaftlich überpinselt, bietet der Historiker Wolfgang Reinhard dieses Zerrbild in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe vom 10. Januar). Er ist ein vielfach bepreister und eigentlich ernst zu nehmender Historiker.

Reinhards Unbehagen an der total versteinten deutschen Erinnerungs»kultur« ist prinzipiell nachvollziehbar und notwendig, denn: Jedes Komma und jede Tonschwingung jeder deutschen Gedenkrede ist in der Tat vorhersehbar. Reinhard aber will das Kind mit dem Bade ausschütten und plädiert in einer geradezu unmenschlich zynischen Sprache, oft vermischt mit antisemitischen Klischees, für ein »Recht auf Vergessen«. Als Faktum, nicht aber als Recht und selten genug als Gnade (für das Opfer!) kann es Vergessen geben.

leid Reinhard zitiert Elie Wiesel: »Jude sein heißt, sich zu erinnern.« Richtig, aber dieses Erinnern gilt »den« Juden nicht nur in Bezug auf Deutschland, sondern auf in rund 3000 Jahren erfahrenes Leid. Ist es etwa nicht natürlich, dass sich Opfer und deren Nachfahren des Erlittenen erinnern – nicht nur Juden?

Der jüdischen Erinnerungskultur gehe es »weniger um die Realität … als um ihre Deutung und Wahrnehmung«.

Der jüdischen Erinnerungskultur gehe es »weniger um die Realität … als um ihre Deutung und Wahrnehmung«. Unzählige Judenvertreibungen seit dem Mittelalter, Inquisition, Auschwitz – alles keine Realität? Den Holocaust bezeichnet Reinhard als »Chiffre« und »Mythos«. Die sechs Millionen ein »Mythos«? Der Holocaust habe sich »aus einer zufälligen Häufung tragischer Einzelschicksale in eine einzigartige, identitätsstiftende Leitvorstellung des jüdischen Gedächtnisses« verwandelt. Millionenfaches Judenmorden als »Vorstellung« und »zufällig«? Gab es nie die mörderische Strategie der »Endlösung«?

Den Juden sei Erinnerung »heilige Pflicht«, das deutsche Gedächtnis »musste pflichtgemäße Erinnerungskultur jüdischer Art überhaupt erst lernen«. Und weiter schamlos: Deutschland gedenke auf »jüdische Art«. Folgerichtig unterscheidet er »deutsche Täter und jüdische Opfer«. Waren die ermordeten jüdischen Deutschen keine Deutschen?

»blutgeld« Den Weg zum »Wiedergutmachungsabkommen« von 1952 verwandelt der Historiker in ein Märchen: Das »neue Israel brauchte dringend Geld, das neue Deutschland ebenso dringend politische Anerkennung«. Heißt: Israel hätte das Blut der Opfer versilbert. Zugleich erwähnt Reinhard »wütenden« Widerstand vieler Israelis gegen jenes Abkommen. Eben weil sie kein »Blutgeld« wollten.

Reinhard plädiert in einer geradezu unmenschlich zynischen Sprache für ein »Recht auf Vergessen«.

Jenes Abkommen wäre Ergebnis amerikanischen Drucks auf Bonn gewesen. Tatsächlich drängten die USA nach dem Ausbruch des Korea-Krieges seit 1950 zur bundesdeutschen (Wieder-)Bewaffnung. Die gleichzeitige finanzielle Wiedergutmachung an Israel und »die« Juden schien Washington unbezahlbar. Amerikanischer Druck?

Mit dem Prozess gegen Adolf Eichmann, einen der Hauptverantwortlichen für den sechsmillionenfachen Judenmord, hätte Israels Premier Ben Gurion das »politische Gedächtnis wieder in die Hand« bekommen. Lies: Ben Gurion war der »Führer«, dem alle nach kurzer Unterbrechung folgten.

eichmann-prozess Das kann nur jemand schreiben, der die stets aufmüpfigen Israelis, ihre Geschichte und Politik nicht kennt. Mit dem Eichmann-Prozess hätte Israels Generalstaatsanwalt Gideon Hausner »eine nationale Legende« erschaffen wollen. Die Zeugenaussagen wären »ohne viel Bezug zum Angeklagten« gewesen. Wieder: der Holocaust nicht als Realität, sondern »Legende«.

Den US-Juden wäre es seit den 60er-Jahren gelungen, »Amerika und die Welt von der Einzigartigkeit des Holocausts zu überzeugen«.

Den US-Juden wäre es seit den 60er-Jahren gelungen, »Amerika und die Welt von der Einzigartigkeit des Holocausts zu überzeugen«. Falsch: Das schafften erst 1986/87 Reinhards deutsche Kollegen im »Historikerstreit«. Die »Opferkonkurrenz mit Afrikanern (Reinhard meint Afro-Amerikaner!) und anderen« konnten »Amerikas Juden … für sich entscheiden«. Falsch, denn: Amerikas Juden waren in den 1960ern enge Partner der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King, anders als heute »Black Lives Matter« und BDS, ein Freund der Juden.

»In der Sache zutreffend«, sei, ohne Namensnennung Björn Höckes (AfD), das Berliner Holocaust-Mahnmal ein »Denkmal der Schande«, die »Holocaust-Kultur machtbesetzt und tabugeschützt«, lies: von der »Jüdischen Weltmacht«. Israels »Bedrohtheitsszenario« wäre »kontraproduktiv«. Heißt: die Gefahr einer iranischen A-Bombe jüdische Paranoia. Nicht »ewige Schuld«, sondern Versöhnung mit Deutschen müsse Israel anstreben.

Längst ist Deutschland, nach den USA, der in Israel beliebteste Staat. In welcher Welt lebt dieser Historiker? Warum äußert er sich zu einem großen Thema, bei dem sein Wissen winzig ist? Kritik am phrasengeprägten deutschen Erinnerungsritual? Unbedingt! Aber ohne antisemitische Klischees und Sprache.

Der Autor ist Historiker. Zuletzt erschienen: »Deutschjüdische Glückskinder«, je eine Fassung für Erwachsene und Jugendliche. Im April erscheint seine »Jüdische Weltgeschichte – kurz und anders«.

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