Antisemitismus

»Unvereinbar mit allem, wofür die EU steht«

Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas präsentierte in Straßburg die neue Strategie der EU-Exekutive. Foto: imago images/Scanpix

Die Europäische Kommission will ihre Anstrengungen im Kampf gegen den Antisemitismus verstärken. Laut einem am Mittwoch beschlossenen Strategiepapier sollen die EU-Finanzmittel für relevante Projekte zivilgesellschaftlicher Organisation und jüdischer Gemeinden sowie zum Schutz von Gotteshäusern aufgestockt und die 27 Mitgliedsstaaten der Union dazu gedrängt werden, bis Ende 2022 eigene Aktionspläne gegen den Judenhass vorzulegen. Einige Staaten verweigern sich dieser bereits im Dezember 2018 vom Rat der EU beschlossenen Forderung bislang.

Am Mittwoch stellte Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas am Rande einer Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg das von der Antisemitismusbeauftragten der Kommission, Katharina von Schnurbein, ausgearbeitete Strategiepapier vor.

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»Antisemitismus ist gegenwärtig eine furchtbare Bedrohung, mitten in Europa«, sagte Schinas. Er wies auf den Anstieg von Verschwörungsmythen während der Corona-Pandemie hin. Allein im deutschsprachigen Raum sei in dieser Zeit ein Anstieg judenfeindlicher Posts in den sozialen Netzwerken um das Dreizehnfache verzeichnet worden, so der Kommissionsvizepräsident.

strategie Zum ersten Mal habe die Kommission deshalb einen Beschluss gefasst, das Problem umfassend anzugehend. Es gehe darum, nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv vorzugehen. Schinas sagte, die Bewahrung der Erinnerung an den Holocaust und das jüdische Erbe in Europa sei eine Schlüsselkomponente der Strategie. Er erinnerte an seine Heimatstadt Thessaloniki, bis zum Zweiten Weltkrieg Heimat einer 50.000-köpfigen jüdischen Gemeinde. Mehr als 90 Prozent der Juden der nordgriechischen Stadt wurden in Auschwitz ermordet.

Erstmals in dieser Art verpflichte man sich klar, eine umfassende Antwort auf das Problem des Antisemitismus zu geben, betonte Schinas.

Die Strategie enthält zwar keine bindenden Vorgaben, sondern nur Handlungsempfehlungen an die anderen EU-Institutionen und die Mitgliedsstaaten. Dennoch verpflichtet sich die Kommission als wichtigste EU-Behörde darin, einmal im Jahr ein Treffen mit zivilgesellschaftlichen Verbänden und Gemeinden abzuhalten, um die »Wirkung der gemeinsamen Schritte zu maximieren«.

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Den EU-Staaten empfiehlt das Papier, Beauftragte gegen den Judenhass und für jüdisches Leben zu bestellen und die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) auch formal zur Arbeitsgrundlage zu machen. Eine Reihe von Vorschlägen der Brüsseler Behörde bezieht sich auf das Gedenken an die Schoa. So will die Kommission ein Netzwerk von Erinnerungsstätten fördern, an denen Juden ermordet wurden.

Kritisch setzt sich das Papier mit dem oftmals defizitären Opferschutz auseinander. Es gebe in vielen Ländern zu wenig Unterstützung für diejenigen, die zur Zielscheibe von antisemitischer Hasskriminalität würden. Gerade Polizisten müssten besser geschult werden, empfiehlt die Kommission. Nach geltendem EU-Recht haben die Opfer von Verbrechen ein Anrecht auf Schutz und Unterstützung von staatlicher Seite.

VORBILD Auch die Datenerfassung bei antisemitischen Vorfällen soll verbessert werden. So verweist das Papier auf eine Studie aus dem Jahr 2018, nach der nur ein Fünftel der jüdischen Menschen selbst schwere Taten gegen Juden zur Anzeige brachten.

Im Online-Bereich setzt die EU-Kommission auf eine engere Zusammenarbeit mit den Plattformbetreibern sowie vor allem den jüdischen Organisationen. Man plane den Aufbau eines europaweiten Netzwerkes von sogenannten »Trusted Flaggers«, heißt es in dem Papier der Kommission.

Margaritis Schinas betonte in einer Pressekonferenz, dass nur die jüdischen Organisationen die notwendige Sachkenntnis besäßen, um problematische Inhalte aufzuzeigen, und man sie deshalb als Partner im Kampf gegen den Hass im Netz gewinnen wolle. Außerdem will die EU-Exekutive dafür sorgen, dass verbotene Nazi-Symbole und -Literatur künftig nicht mehr im Internet aufrufbar oder käuflich zu erwerben sind.

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Sich selbst sieht die Europäische Kommission als Vorbild – und will mit gutem Beispiel vorangehen. Man praktiziere eine »Null-Toleranz-Politik« im eigenen Haus in Bezug auf Antisemitismus und wende die IHRA-Definition dabei konsequent an, heißt es in dem Papier. Unterstützen wolle man das Ganze durch Trainings- und Bildungsmaßnahmen für Mitarbeiter, unter anderem auch Studienreisen nach Israel. Jüdischen EU-Beamten soll es außerdem möglich sein, an den hohen jüdischen Feiertagen freizunehmen.

SCHULBÜCHER Auch außenpolitische Aspekte erwähnt das von der Antisemitismusbeauftragten der Kommission Katharina von Schnurbein ausgearbeitete Papier. »Israel ist ein wichtiger Partner für die Europäische Union, auch in Bezug auf den weltweiten Kampf gegen den Antisemitismus«, steht dort geschrieben.

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Man wolle sich auch für die Anwendung der UNESCO-Standards bei Lernmaterialien an Schulen einsetzen, so das Papier weiter – ohne aber die Palästinenser konkret beim Namen zu nennen. Jüngst hatte der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments beschlossen, Gelder in Höhe von 20 Millionen Euro an das UN-Hilfswerk UNRWA zurückzuhalten, solange nicht problematische Aufrufe zur Gewalt gegen Israel aus palästinensischen Schulbüchern entfernt würden.

Die Empfehlung der Kommission schließt mit den hehren Worten: »Europa kann nur gedeihen, wenn seine jüdischen Gemeinden es auch tun.« Auch Vizepräsident Margaritis Schinas machte auf seiner Pressekonferenz in Straßburg eine deutliche Ansage: »Antisemitismus ist unvereinbar mit allem, wofür die EU steht.«

reaktion Der Europäische Jüdische Kongress hat die EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus als »bahnbrechend« gewürdigt. Damit stelle sich Europa an die Spitze des weltweiten Kampfs gegen Judenhass, erklärte der Präsident des Dachverbands, Mosche Kantor, am Dienstag in Brüssel. Kantor sprach von einem »beispiellosen und grundlegenden Dokument« und einer Zusage an Juden, dass sie zu Europa gehörten und ein vitaler Teil der europäischen Zukunft seien.

Auch die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) stieß in dieses Horn. »Wir begrüßen insbesondere die Elemente, die sich auf die Sicherheit unserer Gemeinden beziehen. Diese wichtigen Verpflichtungen in Bezug auf die Sicherheit der jüdischen Gemeinden in Europa und die Verhinderung von Antisemitismus sind ein wichtiger Punkt«, erklärte der Verband. (mit kna)

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