Seit den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 lässt sich im akademischen Betrieb Deutschlands eine Entwicklung beobachten: Immer häufiger werden Veranstaltungen mit antisemitismuskritischem und proisraelischem Schwerpunkt abgesagt. Zuletzt sorgte der Umgang mit Benny Morris für einen Eklat, der an der Universität Leipzig einen Vortrag über den israelischen Unabhängigkeitskrieg hätte halten sollen. Doch wegen Rassismusvorwürfen gegen den Historiker und die angesichts drohender Proteste angeführten »Sicherheitsbedenken« wurde er wieder ausgeladen.
Die Univerantwortlichen verweisen auf angeblich »rassistische« Aussagen, die Morris in einem 20 Jahre alten Interview getätigt habe. Morris selbst empfindet den Vorwurf als absurd. Aus seiner Sicht dient der Rassismusvorwurf dazu, jede Kritik an Palästinensern und Arabern als unzulässig darzustellen, statt Kontroversen auszuhalten oder für Sicherheit zu sorgen.
Es ist ein Fall, der sich in ein Muster fügt: Wegen tatsächlicher oder auch nur antizipierter Proteste der Israelboykottbewegung BDS (»Boycott, Divestment and Sanctions«) und radikalen Studentengruppen entsteht ein Klima der Angst. Veranstalter wie Hochschulleitungen gehen häufig vorauseilend in die Defensive – und sagen lieber ab, als dem Druck standzuhalten.
FU Berlin verhindert Ausstellung über antisemitische Pogrome
Auch an der Freien Universität Berlin gab es unlängst einen solchen Vorgang. Dort sollte Anfang 2025 die Ausstellung »The Vicious Circle« des britischen National Holocaust Centre and Museum gezeigt werden. Die Idee: Eine Wanderausstellung, die nicht allein in Holocaust-Gedenkstätten oder jüdischen Museen stattfindet, sondern bewusst in den akademischen Raum hineinwirkt, um ein breiteres Publikum zu erreichen und kritische Diskussionen anzuregen.
Die Ausstellung zielt darauf ab, eine verbreitete, aber verkürzte Sicht auf Antisemitismus zu erweitern. Statt sich auf den Holocaust zu konzentrieren, soll gezeigt werden, dass der Hass auf Juden eine über 2000-jährige Geschichte aufweist, die nicht 1945 endete.
Die Ausstellung beleuchtet mehrere jüdische Gemeinschaften, die in der Geschichte von Pogromen betroffen waren, ob in Europa, Nordafrika oder in Israel, wo die Hamas vergangenes Jahr am 7. Oktober in den Kibbuzim im Süden des Landes Pogrome verübte. Antisemitische Narrative, so legt die Ausstellung dar, setzen sich quer durch Kontinente und Jahrhunderte fort.
Zunächst schien die FU durchaus offen dafür. Maiken Umbach, Historikerin und Mitinitiatorin der Ausstellung, berichtet von anfänglich positiver Resonanz. Das historische Institut an der FU sagte zu. Die Ausstellung sollte im Foyer der Universität ihre Heimat finden und ein Termin für Februar 2025 wurde anvisiert. Doch dann folgte seitens der Universitätsleitung die Absage.
FU will »emotionale Reaktionen« vermeiden
Gegenüber Mitarbeitern des historischen Instituts der FU ließ Vizepräsidentin Verena Blechinger-Talcott wissen, dass die Ausstellung im Foyer der Uni nicht stattfinden könne. Weiter begründet wurde deren Intervention und Absage zunächst nicht. Auch Historikerin Umbach ließ die Unileitung – trotz entsprechender Nachfragen – über ihre Beweggründe im Unklaren.
Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen lässt die Presseabteilung der FU nun wissen, dass das Foyer des betreffenden Universitätsgebäudes kein geeigneter Ort für eine solche Ausstellung sei, die »emotionale Reaktionen« hervorrufen könnte. Man befürchte »intensive Debatten«, die in einem öffentlichen Durchgangsraum womöglich nicht adäquat aufgefangen werden könnten.
In Freiburg wurden in den vergangenen Monaten zwei Vorträge abgesagt.
Zu einer Auseinandersetzung um die Themenstellung von »The Vicious Circle« wird es nun vorerst nicht kommen. Ob die Ausstellung andere Räumlichkeiten finden kann, bleibt laut Mitinitiatorin Umbach abzuwarten. Entsprechende Gespräche laufen.
Maiken Umbach ist von der Entscheidung der Freien Universität enttäuscht. Ihr ging es darum, einen Raum zu eröffnen, in dem die lange Geschichte antisemitischer Pogrome nicht nur museal, sondern in unmittelbarer Nähe zum wissenschaftlichen Diskurs behandelt wird. Umbach betont, dass gerade Universitäten Orte sein müssten, an denen unbequeme Wahrheiten ausgesprochen und kontrovers diskutiert werden können. Die Absage sende hingegen ein fatales Signal.
Zwei antisemitismuskritische Vorträge in Freiburg gecancelt
In Freiburg im Breisgau wurden in den vergangenen Monaten gleich zwei Veranstaltungen nach einem ähnlichen Schema verhindert.
Ein Vortrag der Politikwissenschaftlerin und Soziologin Tina Sanders über den Schoa-Überlebenden Jean Améry und seine Arbeit über israelbezogenen Antisemitismus wurde im Oktober kurzfristig abgesagt. Dem waren Drohungen radikaler Studentengruppen in den sozialen Medien vorangegangen.
Auch der Philosoph und Sozialwissenschaftler Ingo Elbe, der im Juli an der Uni Freiburg über Antisemitismus und postkoloniale Theorie sprechen wollte, sah sich nach einer Absage – herbeigeführt durch die Studierendenvertretung – genötigt, in Räume der Israelitischen Gemeinde auszuweichen.
Elbe sieht hier ein strukturelles Problem. Wenn Universitäten aus Furcht vor Protesten oder weil sie sich nicht mit schwierigen Themen im öffentlichen Raum konfrontieren wollen, Veranstaltungen verlagern oder absagen, schwäche dies ihre Grundfunktion. »Radikalisierungstendenzen existieren nicht nur in extremen Randgruppen, sondern werden von Teilen des linksliberalen akademischen Mainstreams toleriert oder unterstützt«, sagt Elbe. Indem Prominente offene Briefe unterzeichnen, in denen israelfeindliche und antisemitische Meinungen verharmlost werden, oder selbst ähnliche Ansichten vertreten, erhalten diese radikalen Positionen eine gewisse Legitimation.
Symptome einer konfliktscheuen Hochschullandschaft
Ob Leipzig, Berlin oder Freiburg: Die Sorge der Universitäten vor Störungen und Diffamierungen lassen sie vor radikalen Kreisen einknicken, statt Schutzmaßnahmen zu ergreifen, und entsprechend mit Polizei und Behörden in Kommunikation zu treten. Diese Fälle stehen symptomatisch für eine verunsicherte, konfliktscheue Hochschullandschaft, die notwendige Debatten über Antisemitismus und Geschichte zunehmend hinter bürokratischen Hürden, taktischer Zurückhaltung und fadenscheinigen Sicherheitsargumenten zum Verschwinden bringt.
Ironischerweise argumentieren antizionistische Aktivisten und Akademiker aus postkolonialen Kreisen regelmäßig, dass »propalästinensische« Stimmen in Deutschland unterdrückt würden. Ein jüngstes Beispiel ist die Eröffnung der Retrospektive der Fotografin Nan Goldin in Berlin. Goldin kritisierte Israel scharf und warf dem Land einen »Genozid« vor. Ihr Statement wurde nicht etwa unterdrückt, sondern laut beklatscht und von Aktivisten aktiv unterstützt. Eine Gegenrede des Museumsdirektors wurde hingegen niedergebrüllt.
Von einem »Silencing« »propalästinensischer« Stimmen kann also keine Rede sein. Es sind im Gegenteil Veranstaltungen und Positionen, die sich kritisch mit Antisemitismus und Israelhass auseinandersetzen, die immer öfter unter Druck geraten.