Alle Jahre wieder – mit der Regelmäßigkeit eines hölzernen Vogels, der an einem Gestänge aus der Stirnseite einer Uhr geschoben wird und laut »Kuckuck« ruft – tritt Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor die Vollversammlung der UNO. Er pflegt dann zu sagen, dass die Juden an allem schuld sind und verschwindet wieder, während hinter ihm die Falltür zuschnappt.
In diesem Jahr wurde die Welt schon zum achten Mal Zeuge dieser etwas eintönigen Veranstaltung. Allerdings handelte es sich um Ahmadinedschads letzten Auftritt, denn seine Amtszeit als Präsident neigt sich ihrem Ende zu. Die wirkliche Macht hat er aber gar nicht inne; insgeheim entscheidet in der Islamischen Republik Iran einzig und allein der Wächterrat, ein Gremium von hohen schiitischen Geistlichen.
satan Auch dieses Mal bot Ahmadinedschads Rede nicht die geringste Überraschung. Sie dauerte 35 Minuten. Der Staatschef beteuerte, der Iran verfolge rein friedliche Absichten und klagte, die Amerikaner seien vom Satan besessen und hätten sein Land zum Opfer auserkoren. Ferner bezeichnete der Herr Präsident die Finanzkrise als künstlich gesteuert und als Verbrechen gegen die Menschheit. Er kündigte die baldige Ankunft des Mahdi an, des schiitischen Messias. (Die schlechte Nachricht: Seiner Ankunft geht ein Weltbrand voraus.) Ahmadinedschad weigerte sich, Israel beim Namen zu nennen; stattdessen sprach er von »unkultivierten Zionisten«. Am Ende gab es verhaltenen Beifall.
Nichts Neues unter der Sonne – und doch war etwas anders als im vergangenen Jahr: Damals hatten die Delegierten aus Europa Ahmadinedschads Rede demonstrativ boykottiert, diesmal blieben sie sitzen. Die Vertreter der Vereinigten Staaten und Kanadas dagegen waren nicht im Saal; Kanada hat erst vor einigen Wochen seine diplomatischen Beziehungen mit dem Iran abgebrochen. (Die Vereinigten Staaten können ihre Beziehungen mit dem Iran nicht abbrechen. Sie haben keine.)
jom kippur Leer blieben auch die Stühle der israelischen Delegation, allerdings nicht deshalb, weil sie keine Lust hatten, Ahmadinedschad zuzuhören. Seine Rede fiel in diesem Jahr just auf Jom Kippur. Und wer für einen Zufall hält, dass ausgerechnet für den heiligsten Tag im jüdischen Jahr eine antisemitische Hetzrede im UNO-Kalender anberaumt war, der hat das Prinzip »Vereinte Nationen« nicht verstanden.
Bevor Ahmadinedschad die Bühne der UNO-Generalversammlung betrat und sein alljährliches »Kuckuck!« rief, stieg er im Warwick-Hotel an der Sixth Avenue ab. Die New York Post hatte ihm zur Begrüßung einen opulenten Präsentkorb gepackt. Inhalt: echte New Yorker Delikatessen, etwa H&H Bagels und hausgemachter Phildelphiakäse von Zabar’s, aber auch Whitefish Salad von der Upper East Side und Gefilte Fisch von Manischewitz, kurzum alles, wovon man an Jom Kippur träumt, während man fastend in der Synagoge steht.
deostifte Da die Redaktion der New York Post außerdem fand, dass Ahmadinedschads Sinn für Humor unterentwickelt ist, legte sie Karten für die Off-Broadway-Show »Old Jews Telling Jokes« bei. Auch Ahmadinedschads Körperhygiene und Modebewusstsein lassen zu wünschen übrig; so waren in dem Präsentkorb Deostifte und Unterwäsche mit dem Aufdruck »I love New York« zu finden.
Und damit Irans Präsident nicht ahnungslos sterben muss, steckte unter den Präsenten auch ein Comic-Strip, der auf dem »9-11-Report« basiert. (Im vorigen Jahr hatte Ahmadingsda in der UNO verbreitet, hinter dem Anschlag vom 11. September stecke die amerikanische Regierung und der Zionismus.) Auch eine Broschüre des Museum of Jewish Heritage über den Holocaust (den der Präsident leugnet) war unter den Gaben.
leibwächter Leider gelang es den Leuten von der New York Post nicht, Ahmadinedschad jenen Präsentkorb auch wirklich zu präsentieren – sie wurden von seinen Leibwächtern und amerikanischem Sicherheitspersonal abgefangen. Und dalassen durften sie ihn auch nicht.
Etwas anderes klappte dagegen sehr gut: Vor dem UNO-Gebäude gab es eine große Anti-Ahmadinedschad-Demonstration. Prominentester Teilnehmer war New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani. Der wichtigste Teilnehmer aber war der syrische Muslim Ahmed Tawfik (18) aus Ottawa. »Ich bin hier, um mich Ahmadinedschad und Baschar al-Assad entgegenzustellen«, sagte er dem Nachrichtensender CNN. »Ich habe vergangene Woche einen Freund verloren, er wurde von Assads Regime mit Ahmadinedschads Waffen getötet.«