Arzneimittelgesetz-Novelle

Unkontrollierbare Forschung

Patienten sollten ihrer Verwendung als zukünftige Studienobjekte nicht zustimmen

von Leo Latasch  21.11.2016 17:18 Uhr

Die Forschung der Zukunft birgt Risiken. Foto: Thinkstock

Patienten sollten ihrer Verwendung als zukünftige Studienobjekte nicht zustimmen

von Leo Latasch  21.11.2016 17:18 Uhr

War das notwendig? Am 11. November hat der Bundestag mit 357 Ja-Stimmen, 164 Nein-Stimmen und 21 Enthaltungen die vierte Arzneimittelgesetz-Novelle angenommen – und damit der Forschung nicht nur an Demenzkranken unter bestimmten Bedingungen zugestimmt.

In Paragraf 40b, Absatz 4, Satz 2 heißt es: Bei einer volljährigen Person, die nicht in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten, darf diese Prüfung im Sinne der entsprechenden EU-Verordnung stattfinden – gemeint ist klinische Forschung, die ausschließlich einen Nutzen für die repräsentative Bevölkerungsgruppe hat, zu der die betroffene Person gehört.

Dies gilt aber nur, wenn der Betroffene als einwilligungsfähige volljährige Person für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich nach ärztlicher Aufklärung festgelegt hat, dass er »in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende gruppennützige klinische Prüfung einwilligt«.

Testperson Zur Aufklärung gehören Ziele, Nutzen, Folgen, Risiken und Nachtteile klinischer Prüfungen. Dies bedeutet, dass Studienteilnehmer, die zum Zeitpunkt, als sie (etwa bei beginnender Demenz) noch zustimmungsfähig waren und sich mit ihrer Teilnahme an gruppennütziger Forschung zu noch unbestimmtem Zeitpunkt einverstanden erklärt haben, im Zustand der Demenz ohne weitere Aufklärung für die Studie »verwendet« werden können. Persönlicher Nutzen für die Testperson ist nicht notwendig.

Musste das sein? Nein. Der Beschluss des Bundestags war keineswegs erforderlich. Schon heute existieren klar definierte Richtlinien gemäß der Deklaration von Helsinki zum Patientenschutz. Hierbei muss über Umfang, Nutzen und Risiken einer Studie aufgeklärt werden. Eine zuständige Ethikkommission muss das Forschungsvorhaben prüfen und genehmigen. Auch heute schon werden Patienten darüber aufgeklärt, dass sie möglicherweise einer Studiengruppe angehören, die Medikamente ohne Wirkungsstoff erhalten und keinen Nutzen aus der Studie ziehen werden.

Also – warum sich aufregen, wenn doch alles schon existiert? Und warum ein zusätzliches neues Gesetz? Der Unterschied zu den bereits bestehenden Regelungen ist, dass der Zustimmende nunmehr Jahre oder sogar Jahrzehnte im Voraus einer Sache zustimmt, die zu diesem Zeitpunkt möglicherweise weder existiert (wie Medikamente), noch dass er eine Vorstellung davon hat, wie die Studie ablaufen soll. Gerade der Punkt der Aufklärung wurde immer wieder vom Bundesgerichtshof präzisiert – nicht nur für Eingriffe, sondern auch für Studien.

OP-Termin Da heißt es, dem Patient muss zur angemessenen Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts, seiner Entscheidungs- und Entschließungsfreiheit ausreichend Zeit für die Abwägung des Für und Wider des geplanten Eingriffs gegeben werden. Mögliche Behandlungsalternativen und deren Risiken sollten nicht vorenthalten werden. Gleichwohl ist zwischen Aufklärung und Eingriff eine gewisse zeitliche Nähe vorauszusetzen. Bei einem größeren zeitlichen Abstand zwischen dem Aufklärungsgespräch oder der Vereinbarung eines OP-Termins und der Operation selbst kann ein erneutes Aufklärungsgespräch erforderlich werden, die sogenannte Doppelaufklärung (BGH NJW 1992, 2351).

Der Autor hätte gerne gewusst, wie man das zum Beispiel bei einem dementen Patienten macht, dessen Verhalten teilweise zwischen Apathie und Aggressivität wechselt. Aber es kommt noch besser: »Falls der Patient im Laufe der Studie eine Regung zeigt, die Unmut über die Untersuchung offenbart, muss sie sofort abgebrochen werden.«

Darüber kann jeder Arzt nur den Kopf schütteln. Ich frage mich ernsthaft, wem dies eingefallen ist. Soll einmal Husten bedeuten: »Ich will nicht mehr« und zweimal Husten: »Weitermachen«? Da sich einige Experten offenbar damit unwohl gefühlt haben, bringen sie das Argument, der Mensch dürfe seinen Körper altruistisch zum Nutzen anderer zur Verfügung stellen. Aber noch lebt er – und wir sprechen nicht über eine Organentnahme bei Hirntoten.

Studien Als im Vorfeld über das Gesetz gesprochen wurde, ging es immer um das Studienziel Demenz. Davon ist jetzt aber keine Rede mehr. Stattdessen wurde die Tür für »unkontrollierbare« medizinische Studien geöffnet, und das ausgerechnet in Deutschland mit seiner belasteten Geschichte. Alles lässt sich jetzt testen, das jetzige Gesetz lässt es durchaus zu.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast schrieb in der FAZ: »Es wäre ein Tabubruch dergestalt, die Verzweckung des nichteinwilligungsfähigen Menschen zugunsten von Forschung zu normieren. Tricksen wir nicht mit angeblicher Aufklärung durch Ärzte, die über nicht existente Vorhaben gar nicht aufklären können.« Dem ist nichts hinzuzufügen. Hoffentlich wird die durch den Bundestag geöffnete Tür vom Verfassungsgericht wieder geschlossen. Keinem meiner Patienten werde ich bis dahin raten, eine derartige Zustimmung abzugeben.

Der Autor ist Arzt in Frankfurt am Main und Mitglied im Deutschen Ethikrat.

Berlin

Scholz: »Der Terror der Hamas muss enden«

Der Bundeskanzler appelliert an die palästinensische Terrororganisation, ihre Waffen »ein für alle Mal« niederzulegen

 17.01.2025

Bitburger Gespräche

Schuster für härtere Strafen gegen Antisemitismus im Netz

Antisemitismus gelte inzwischen als eine Art »Aufnahmeritual« in bestimmten Gruppen, warnt Zentralratspräsident Josef Schuster. Er sieht die Politik dazu aufgefordert, »Strafbarkeitslücken« zu schließen

von Matthias Jöran Berntsen  17.01.2025

Washington D.C.

Trump will Israel im Fall einer neuen Gaza-Operation unterstützen

Der künftige Präsident will zudem das Momentum des Waffenruheabkommens nutzen, um die Abraham Accords wiederzubeleben

 17.01.2025

Meinung

Die linke Tour der Alice Weidel

Mit ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen

von Michael Thaidigsmann  17.01.2025

Kommentar

Warum bejubelt ihr den Terror, statt euch über Frieden zu freuen?

Ein Kommentar von JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel über die israelfeindlichen Demonstrationen in Berlin-Neukölln nach Verkündung der Gaza-Waffenruhe

von Philipp Peyman Engel  16.01.2025

Düsseldorf

Jüdische Zukunft: Panel-Diskussion mit Charlotte Knobloch

Auf dem Podium sitzen auch Philipp Peyman Engel, Hetty Berg und Armin Nassehi

 16.01.2025

Meinung

Die Kürzung der Fördermittel für antizionistische Vereine ist richtig

Unterstützung für Menschenrechtsorganisationen darf nicht bedeuten, dass man am Ende Hass und Hetze unterstützt

von Olga Deutsch  16.01.2025

Reaktionen auf das Abkommen

»Ein Gefühl der Freude in den Adern des jüdischen Volkes«

Politiker und jüdische Organisationen weltweit haben mit Freude auf das Abkommen zur Freilassung der Geiseln reagiert – Donald Trump lobte sich selbst

 15.01.2025

Gazakrieg

Scholz: Waffenruhe Chance für dauerhaftes Kriegsende

Der Bundeskanzler reagiert erleichtert auf eine Einigung über einen Geisel-Deal zwischen Israel und der Hamas

 15.01.2025