Ende März schrieb Sven Kühn von Burgsdorff, der höchste EU-Vertreter im Westjordanland und in Gaza, einen Brief an das PNGO, einen Zusammenschluss von 135 palästinensischen Nichtregierungsorganisationen. Darin erweckt er den Eindruck, EU-Gelder könnten auch an Terror-Sympathisanten fließen.
Bislang ist es so, dass jedes Jahr mehrere Millionen Euro in Projekte zur Stärkung der Zivilgesellschaft im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und im Gazastreifen gehen. Die Mittelempfänger müssen sich allerdings vertraglich verpflichten, EU-Standards und -Gesetze einzuhalten. Darunter fällt das Verbot der Aufstachelung zu Hass und Gewalt oder zum Antisemitismus.
Diese Bedingungen sind vielen palästinensischen Empfängern von EU-Hilfen offenkundig ein Dorn im Auge. Ende 2019 lancierten mehrere Vereine einen Protest, in dem sie eine »israelische und zionistische Kampagne gegen die palästinensische Zivilgesellschaft« beklagen. Die Mitglieder der palästinensischen NGOs seien ein »integraler Bestandteil des Kampfes unseres Volkes für die Befreiung von israelischer Kolonialherrschaft und Apartheid«; auch ein »EU-Dokument« könne das nicht ändern, heißt es in einer Pressemitteilung.
SANKTIONSLISTEN In einem dreiseitigen Brief an das PNGO weist der deutsche EU-Diplomat Kühn von Burgsdorff zwar auf die Notwendigkeit der Einhaltung von EU-Recht bei der Projektfinanzierung hin, namentlich auf den Ausschluss von Personen und Organisationen, die auf EU-Sanktionslisten stünden.
Allerdings, so der Botschafter spitzfindig, gebe es momentan gar keine »palästinensischen natürlichen Personen« auf entsprechenden EU-Listen. Deshalb könne man davon ausgehen, »dass eine natürliche Person, die Mitglied, Sympathisantin oder Unterstützerin einer Gruppe ist, die auf EU-Sanktionslisten genannt wird, nicht von EU-finanzierten Aktivitäten ausgeschlossen ist, es sei denn, ihr exakter Vor- und Nachname (welcher ihre Identität bestätigt) stimmt mit einer der natürlichen Personen auf den EU-Sanktionslisten überein«.
Keine palästinensische Organisation müsse wegen der EU ihre Haltung gegenüber einer politischen Gruppierung ändern, so Kühn von Burgsdorff weiter, und ebenso wenig müsse man eine Person aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit diskriminieren. Es gehe da lediglich um die Einhaltung »finanzieller Prozeduren«.
ETAPPENSIEG Ob der Brief des 61-jährigen Deutschen, der seit 1992 für den Auswärtigen Dienst der Europäischen Union arbeitet, zur Veröffentlichung bestimmt war, ist nicht bekannt. Dass das PNGO ihn auf seiner Webseite veröffentlichte, verwundert dagegen nicht: Sein Inhalt war doch ein wichtiger Etappensieg für den Verband.
Kritik wurde nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Brüssel laut. Selbst hochrangige Offizielle in der EU-Kommission schüttelten den Kopf und forderten personelle Konsequenzen.
Der österreichische Europaabgeordnete Lukas Mandl (ÖVP) sagte dieser Zeitung: »Das Schreiben von Herrn Kühn von Burgsdorff gibt vielleicht seine Privatmeinung wieder, aber nicht die offizielle Position der Europäischen Union. Mit einem solchen Schreiben disqualifiziert er sich eindeutig als EU-Botschafter.« Zusammen mit Kollegen aus verschiedenen Fraktionen hatte er sich vergangene Woche an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gewandt.
Beobachter werten das Schreiben als »Kapitulation vor dem Druck der Palästinenser«.
»Es kann doch nicht angehen, dass einige in der EU und ihrem Auswärtigen Dienst ein hohes Maß an Naivität gegenüber terroristischen Organisationen an den Tag legen und in Kauf nehmen, dass möglicherweise Gruppen bezuschusst werden, die bewaffnet gegen unseren Partner Israel vorgehen«, so Mandl. Er und seine Kollegen würden in diesem Punkt nicht lockerlassen, versprach der Parlamentarier.
Die israelische Organisation NGO Monitor dokumentierte bereits einige Fälle, laut denen Mitarbeiter von durch die EU finanzierten palästinensischen NGOs in terroristische Aktivitäten verwickelt waren. Ein Schreiben an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen blieb bislang unbeantwortet.
MONITORING Die Vizepräsidentin von NGO Monitor, Olga Deutsch, sagte der Jüdischen Allgemeinen, das Schreiben Kühn von Burgsdorffs bedeute, dass die EU-Maßnahmen gegen den palästinensischen Terrorismus wirkungslos seien. Sie stünden zwar auf dem Papier, würden in der Praxis aber gar nicht angewandt. Das sei eine »Kapitulation vor dem Druck der Palästinenser«, sagte Deutsch.
Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell wies die Kritik zurück.
Borrells Sprecher Peter Stano wies diese Einschätzung zurück. Die EU praktiziere »ein stringentes und dauerhaftes Monitoring«, um zu verhindern, dass Gelder in die falschen Hände gelangten. »Genau aus diesem Grund sind in die einzelnen Verträge Klauseln eingefügt worden, die die Empfänger von EU-Mitteln in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten verpflichten, nicht zur Gewalt oder zum Hass aufzurufen«, sagte Stano. Das gelte für alle EU-Fördermaßnahmen in gleicher Weise; die Klauseln seien unveränderlich.
AUSLEGUNG Zur Auslegung des Rechts durch den EU-Repräsentanten in Ost-Jerusalem erklärte er: »Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Es geht hier nicht um die Auslegung von EU-Recht!« Die EU-Vertretungen seien ebenso wie die Zentrale in Brüssel an die Regeln gebunden, so der EEAS-Sprecher. Diese enthielten klare Ausschlusskriterien für Personen, die sich terroristischer Vergehen schuldig gemacht hätten. Für Palästina gälten dieselben Regeln wie anderswo auch, betonte der Sprecher. Man werde dies auch gegenüber den Palästinensern offensiv kommunizieren.
Gefragt, warum Kühn von Burgsdorffs Brief etwas anderes suggeriere, antwortete Stano, das Schreiben des Botschafters habe sich nur auf die konkrete Anwendung der EU-Sanktionslisten bezogen und nicht auf die »komplette Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die angewandt werden« könnten. Die Aufnahme von Personen in eine schwarze Liste sei nur ein Mittel, das der EU zur Verfügung stehe, um Terrorismus und dessen Finanzierung zu bekämpfen.