Justiz

Unerträgliche Nazi-Sprache

Methodik von heute, Sprache von früher: Das Heilpraktikergesetz bedarf einer dringenden Änderung. Foto: Getty Images

Noch stehen im Heilpraktikergesetz Formulierungen wie »Reichsminister des Innern, Reichsregierung oder Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung«. In dem im Februar 1939 in Kraft getretenen und nach wie vor gültigen »Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung« (HeilprG) erlaubt der Reichsminister des Innern die Ausübung der »Heilkunde« ohne ärztliche Approbation. Und erlässt »die zur Durchführung (…) dieses Gesetzes erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften«. Etwa 29 weitere Gesetze und Verordnungen sind es, die zwischen 1933 und 1945 erlassen wurden und heute noch Gültigkeit haben.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hält eine »Bereinigung für dringend erforderlich«. Allein schon in der »seinerzeit üblichen Eingangsformel: ›Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird‹, wird der Mangel parlamentarischer Legitimation deutlich«.
Unterstützt wird Klein vom Zentralrat der Juden.

zentralrat »Das Heilpraktikergesetz sollte dringend einer Überarbeitung unterzogen werden, um alle Begriffe, die noch immer einen eindeutigen Bezug zum Nationalsozialismus haben, zu korrigieren. Wenn nicht jetzt, wann dann?«, fordert Zentralratspräsident Josef Schuster und weitet seine Forderung auf alle infrage kommenden Gesetze aus: »Alle Begriffe und Bezüge zum Nationalsozialismus müssen jetzt endlich bereinigt werden.«

Das stößt auch beim Bund Deutscher Heilpraktiker (BDH) auf Zustimmung. Zwar seien »inzwischen alle Passagen aus dem Heilpraktikergesetz, die mit dem Grundgesetz und unserer demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren sind, gestrichen worden«, betont BDH-Präsident Ulrich Sümper, aber das Gesetz sei »sprachlich nach wie vor unerträglich«.

Etwa 29 weitere Gesetze und Verordnungen sind es, die zwischen 1933 und 1945 erlassen wurden und heute noch Gültigkeit haben.

In den Reihen der Bundestagsparteien von CDU/CSU bis zu den Linken findet die Forderung ebenfalls Fürsprecher. Thorsten Frei, CDU-Bundestagsabgeordneter, findet es »inakzeptabel«, dass 76 Jahre nach Ende der NS-Diktatur »Rechtsanwender mit Begriffen aus dieser Zeit konfrontiert … werden«. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert deshalb: »Ich erwarte, dass die Gesetze sprachlich angepasst und geändert werden.« Nach Meinung des ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion Die Linke, Jan Korte, muss »das Wort Reich aus dem Heilpraktikergesetz verschwinden«.

Zeichen »Zur konsequenten historischen Aufarbeitung gehört auch, sprachliche Überbleibsel der NS-Zeit aus unseren Gesetzen zu verbannen«, betont Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. »Es wäre rechtswissenschaftlich ein klares Bekenntnis und politisch ein starkes Zeichen.« Die Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für die Gesundheitsfachberufe, Bettina Müller, plädiert dafür, »in der nächsten Wahlperiode in enger Abstimmung mit den für die Durchführung des Gesetzes zuständigen Ländern eine solche Reform zügig anzugehen«.

Dass die Zeit bis zur bevorstehenden Bundestagswahl nicht mehr ausreicht, befürchtet auch der Zentralratspräsident. »Aber bereits jetzt sollten die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden, damit das Parlament zügig nach seiner Konstituierung die Gesetzesänderungen beschließen kann«, betont Josef Schuster.

Dass die NS-Begriffe nicht bereits in dieser Legislaturperiode geändert wurden, liegt vor allem daran, dass das Heilpraktikerrecht insgesamt überarbeitet werden soll. »Auf Grundlage des vom Bundesgesundheitsminister beauftragten und verspätet vorgelegten Rechtsgutachtens zum Heilpraktikerrecht ist in dieser Wahlperiode leider keine Änderung mehr möglich«, bedauert Bettina Müller.

Dass die NS-Begriffe nicht bereits in dieser Legislaturperiode geändert wurden, liegt vor allem daran, dass das Heilpraktikerrecht insgesamt überarbeitet werden soll.

Die Kontroverse zwischen Ärzteschaft und Heilpraktikern hat wohl auch die sprachliche Bereinigung des »Heilpraktikergesetzes« von NS-Begriffen erschwert. Ulrich Sümper sieht jedoch »Vorbehalte zu einer Neuregelung dieses Gesetzes innerhalb unseres Berufsstandes, da es Bestrebungen gibt, uns insgesamt die berufliche Grundlage zu nehmen, auf der wir unseren Beruf ausüben«.

Praxen In Deutschland gibt es heute rund 47.000 praktizierende Heilpraktiker. Der Historiker Robert Jütte, der unter anderem zur Geschichte der alternativen Medizin geforscht hat, fordert, »eindeutige NS-Begrifflichkeiten aus dem Gesetz zu streichen«. Allerdings mahnt er auch: »Die gegenwärtigen berufspolitischen Auseinandersetzungen zwischen approbierten Ärzten und den Heilpraktikern müssen von der Frage der Entfernung belasteter sprachlicher Bezüge wie Reichsinnenminister getrennt werden.«

Zur Wahrheit über die Entstehung des Gesetzes und die Absichten des Gesetzgebers gehöre, »dass die NS-Spitze im Zuge der Kriegsvorbereitungen eindeutig der Schulmedizin den Vorrang gab und für die Heilkundigen eine Ausbildung unterbinden wollte«.

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