Plön, rund 30 Kilometer südöstlich von Kiel gelegen, ist nicht unbedingt der Nabel der Welt. Doch vergangene Woche war das Städtchen deutschlandweit in den Schlagzeilen. Dutzende Menschen, bei Weitem nicht nur Medienvertreter, waren nach Plön gepilgert, um beim Prozess gegen Sucharit Bhakdi vor dem Amtsgericht dabei zu sein. Nicht alle von ihnen fanden im Gericht Platz.
Der umstrittene Mediziner und Bestsellerautor, seit einiger Zeit Ikone vieler »Querdenker«, war von der Generalstaatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung angeklagt worden. Seine Anhänger filmten die Ankunft des 76-Jährigen auf dem Fahrrad mit ihren Smartphones und jubelten ihm zu. Bhakdi dankte der Menge auch noch aus dem Gerichtsgebäude heraus.
Im Verhandlungsaal versuchten seine Anwälte zunächst, die Verlesung der Anklageschrift zu verhindern, allerdings ohne Erfolg. Doch schnell bekamen sie Grund zum Optimismus. Der Vorsitzende Richter Malte Grundmann gab nämlich schon recht früh den Hinweis, dass die Anklage auf tönernen Füßen stehen könnte.
Der Richter sah in Bhkadis Aussagen eine zulässige Meinungsäußerung.
Die Staatsanwältin legte Bhakdi gleich zwei Vergehen zur Last. Im April 2021 hatte der Mediziner sich in einem in den sozialen Netzwerken verbreiteten Videointerview äußerst kritisch zur Impfpolitik Israels geäußert und dabei gesagt: »Das Volk, das geflüchtet ist aus diesem Land, aus diesem Land, wo das Erzböse war, haben ihr Land gefunden, haben ihr eigenes Land verwandelt in etwas, was noch schlimmer ist, als Deutschland war. (…) Das ist das Schlimme an den Juden: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt. Und deswegen ist Israel jetzt living hell, die lebende Hölle.«
meinung Für die Anklage war mit dem offenkundigen Vergleich zwischen dem »Volk der Juden« und den Nationalsozialisten der Tatbestand des § 130 Strafgesetzbuch erfüllt. Dort wird unter anderem die Aufstachelung zum Hass gegen eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe unter Strafe gestellt. Der Richter sah das jedoch anders: Obwohl Bhakdis Äußerung sich auf das »Volk der Juden« als Ganzes bezog, könnten die Äußerungen auch als Kritik an der israelischen Politik verstanden und damit als noch zulässige Meinungsäußerung gesehen werden, entschied er.
Auch vom zweiten Anklagepunkt, der sich auf eine Rede Bhakdis im Bundestagswahlkampf 2021 bezog, wurde der Mediziner freigesprochen. Seine Bewertung der Corona-Impfpolitik als »zweiter Holocaust«, befand Grundmann in seinem Urteilsspruch, sei zwar eine klare Verharmlosung der Schoa. Sie sei aber dennoch nicht geeignet gewesen, den »öffentlichen Frieden« zu stören. Dies ist jedoch eine Voraussetzung für eine Verurteilung. Im Rahmen von Wahlkämpfen seien zudem sehr hohe Maßstäbe anzulegen. Das Gericht bezog sich in der mündlichen Begründung vor allem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Zudem habe Bhakdi bei seiner Rede in Kiel zu einem friedlichen Diskurs aufgerufen.
Der Freispruch von Plön löste Freude bei Bhakdi-Anhängern aus, wurde von jüdischen Organisationen und mehreren Antisemitismusbeauftragten aber scharf kritisiert. »Ein trauriges Beispiel dafür, wie Antisemitismus in der Justiz verharmlost und nicht konsequent genug bekämpft wird« sei das Urteil, sagte Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus.
»Das Gericht legitimiert mit dem Freispruch reinen Antisemitismus.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht das ähnlich. »Skandalös« sei der Richterspruch. »Das Gericht legitimiert hier reinen Antisemitismus. Mit der Auslegung des Begriffes ›Volk der Juden‹ als vermeintlicher Kritik an der israelischen Regierung folgt es dem Narrativ, welches jeden Juden, überall, für die Aktivitäten des Staates Israel verantwortlich macht.« Das sei eine Haltung, die man sonst nur von Aktivisten der BDS-Bewegung kenne, so Schuster. Dass das Gericht die Verharmlosung des Holocaust durch den Angeklagten zwar erkannt, sie aber als zulässige Meinungsäußerung gesehen habe, sei falsch. »Zum wiederholten Mal sehe ich mich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass Antisemitismus keine ›Meinung‹ ist«, betonte er.
Auch Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Geschäftsführer des Tikvah Instituts, war unzufrieden, wollte sich aber an der Richterschelte nicht beteiligen. »Das Urteil war womöglich richtig«, erklärte er. Es spiegele die geltende Rechtslage wider. Beck forderte eine Verschärfung des Volksverhetzungsparagrafen, um künftig auch Hetze gegen bestimmte Menschengruppen im Ausland unter Strafe zu stellen.
Verhalten Bhakdi wollte die Fragen der Jüdischen Allgemeinen nicht beantworten, erklärte aber: »Mir ist sehr wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass ich in einer rechtsstaatlich korrekten Verhandlung von dem von der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein erhobenen Tatvorwurf der Volksverhetzung freigesprochen wurde durch das Amtsgericht Plön, nachdem auch die Staatsanwaltschaft Kiel bereits 2021 kein strafwürdiges Verhalten erkannt hatte.« Dem Richter gebühre »Anerkennung für seine Unabhängigkeit, die von uns allen als ein sehr hohes Gut in einer freien Gesellschaft zu respektieren ist«, erklärte Bhakdi. Den »medial, pauschal und ehrverletzend erhobenen Vorwurf des Antisemitismus« gegen seine Person weise er »ganz deutlich« zurück. »Jeder, der mich näher kennt, wird dies sofort bestätigen.«
Kritiker des ehemaligen Leiters des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Mainz sind da anderer Meinung. Im vergangenen Jahr war Bhakdi per Video auf einer Demonstration in Wien zugeschaltet, die sich gegen die Corona-Maßnahmen in Österreich richtete. Damals raunte er, es sei »der Weltelite« bereits »gelungen, über eine Milliarde Dosen der genetisch basierten Substanz in ahnungslose Menschen zu spritzen«. Wer diese ominöse Weltelite sein soll, sagte Bhakdi nicht.
Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein will die Niederlage vor dem Amtsgericht nicht auf sich sitzen lassen und kündigte bereits Rechtsmittel gegen das Urteil an. Es ist damit wahrscheinlich, dass Sucharit Bhakdi in einigen Monaten erneut vor Gericht erscheinen muss – dann allerdings in Kiel.