Vatikan

Um Himmels Willen

An der Wahl des neuen Oberhauptes der katholischen Kirche werden 115 Kardinäle aus aller Welt teilnehmen. Foto: dpa

Es gibt in der katholischen Kirche eine lange und verstörende Tradition, Priester, Bischöfe und sogar Kardinäle zu tolerieren, die einen klassischen Antisemitismus predigen. Kardinal Joseph Glemp, der Primas von Polen, erzählte seinen Anhängern, die Juden seien für Alkoholismus, den Kommunismus und praktisch alle anderen »-ismen«, unter denen Polen litt, verantwortlich. Dennoch blieb er bis zu seinem Tod vor einigen Monaten ein geachtetes Mitglied des Kardinalskollegiums. Andere hochrangige Priester, vor allem in Mittelamerika und Polen, haben ähnliche antisemitische Vorwürfe gegen Juden und Israel erhoben.

Die antisemitischen Stellungnahmen einzelner Priester dürfen nicht der katholischen Kirche als Ganzes zugeschrieben werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass einige der letzten Päpste sich in deutlichen Worten gegen den Judenhass aussprachen und sich bemühten, Brücken zur jüdischen Gemeinschaft zu bauen. Papst Benedikt hat im Großen und Ganzen die gute Arbeit seiner Vorgänger gegenüber den Juden weitergeführt.

kandidat Diese gute Arbeit wird nun durch Kardinal Rodriguez Maradiaga aus Honduras, der als ein Kandidat für die Nachfolge von Benedikt XVI. gilt, infrage gestellt. Er ist ein charismatischer Mann und in seinem Heimatland äußerst populär. Viele Medien sehen seinen Namen in der engeren Wahl, weil er als Lateinamerikaner bei den Spanisch sprechenden Katholiken viele Sympathien genießt.

Rodriguez Maradiaga ist ein in der Wolle gefärbter Judenhasser. Er behauptete beispielsweise, »die Juden« trügen die Schuld daran, dass der Skandal über den sexuellen Missbrauch katholischer Priester an jungen Gemeindemitgliedern öffentlich wurde. Die Juden? Wie kommt der Kardinal auf eine solch hirnrissige Idee?

Seine »Beweisführung« sieht so aus: Der Vatikan, behauptet er, sei gegen Israel und pro-palästinensisch eingestellt (wie es seiner Meinung nach auch sein sollte). Deshalb, so schlussfolgert Maradiaga, würden »die Juden« sich an der katholischen Kirche rächen und gleichzeitig von den israelischen Ungerechtigkeiten gegenüber den Palästinensern ablenken. Die Juden bringen diese erstaunliche Leistung fertig, indem sie die Medien – die sie natürlich kontrollieren – so organisieren, dass dem Vatikan und den Missbrauchsskandalen unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit zuteil wurde.

hauptübeltäter Rodriguez Maradiaga ging weiter und verglich die jüdisch beherrschten Medien mit »Hitler«, denn sie seien die »Protagonisten dessen, was ich ohne zu zögern als Verfolgung der Kirche bezeichne«. Der mediale Hauptübeltäter in der bizarren Welt des Rodriguez Maradiaga ist die US-Zeitung Boston Globe, die für ihre Enthüllung des Missbrauchsskandals und seiner Vertuschung zahlreiche journalistische Auszeichnungen erhalten hat. Der Globe ist im Besitz der New York Times, an der die Familie Sulzberger die Mehrheit hält. Schon ist die jüdische Verschwörung komplett.

Das Problem mit dieser absurden Theorie liegt darin, dass die Bostoner jüdische Gemeinde Kardinal Bernard Law, der das Erzbistum während des Skandals leitete, sehr nahestand und ihn verehrte. Kardinal Law brachte die katholische und die jüdische Gemeinschaft in Boston einander näher. Als der Skandal durch den Boston Globe enthüllt wurde, hielt die jüdische Gemeinde weiterhin zu Law. Keiner der führenden Kritiker in den Medien, keiner der Rechtsanwälte oder Politiker, die gegen die Kirche zeterten, war jüdisch. Die meisten davon waren Katholiken. Doch das ficht den sturen Kardinal kein bisschen an. Er glaubt – wie alle klassischen Antisemiten –, dass, wenn es ein Problem gibt, »die Juden« dafür verantwortlich sein müssen.

unsinn Auf die Frage, ob er seine Attacke noch einmal überdenken wolle, erwiderte Rodriguez Maradiaga, er bereue nichts, manchmal sei es wichtig, »Bewegung in die Sache zu bringen«. Gegenüber Abe Foxman von der Anti-Defamation League versprach er später, er werde seinen verschwörungstheoretischen Unsinn nicht wiederholen. Aber er lehnte es ab, sich in der Öffentlichkeit zu entschuldigen.

Zu Recht hat der Vatikan den Antisemitismus als »Sünde« bezeichnet. Dennoch steht ein reueloser Sünder in der engeren Wahl, zum Haupt der katholischen Kirche gewählt zu werden. Wissen die anderen Kardinäle nichts von Rodriguez Maradiagas Antisemitismus? Unwahrscheinlich, denn er hat aus seinem Hass gegen Juden nie ein Geheimnis gemacht. Oder interessiert es zu viele unter ihnen einfach nicht sonderlich?

Die Diskussion um Kardinal Rodriguez Maradiaga ist eine große Herausforderung für die katholische Kirche. Wird sie ihre Bemühungen fortsetzen, Brücken zur jüdischen Gemeinschaft zu bauen, oder wird sie einen Riesenschritt rückwärts machen und die düstersten Kapitel ihrer Geschichte lebendig werden lassen?

Washington D.C.

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