Die Situation ist alltäglich: Man sitzt abends bei einem Glas Wein mit einem deutschen Akademiker zusammen und diskutiert über dieses und jenes. Unweigerlich kommt das Gespräch irgendwann auf Israel, und schon zitiert der Akademiker einen Autor, der dem jüdischen Staat entweder schlimmste Verbrechen unterstellt oder ein philosophisches Plädoyer für die Nicht-Existenz Israels formuliert – oder beides verbindet. »Übrigens ist der Autor Jude!«, legt der Akademiker bekräftigend nach.
An solche Situationen fühlte ich mich erinnert, als ich die Ankündigung der »documenta« für die dreiteilige Online-Gesprächsreihe »We Need To Talk!« las, in der »die Rolle von Kunst und Kunstfreiheit angesichts von wachsendem Antisemitismus, Rassismus und zunehmender Islamophobie« diskutiert werden sollte.
vorwürfe Mit der inzwischen laut documenta »ausgesetzten« Reihe wollte die Kasseler Groß-Ausstellung auf die bislang nicht hinreichend entkräfteten Vorwürfe der Nähe des verantwortlichen indonesischen Künstlerkollektivs »ruangrupa« zur antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS reagieren.
Auf der Teilnehmerliste der Gesprächsreihe fanden sich Namen wie etwa Omri Boehm. Der New Yorker Philosophie-Professor ist unter anderem für seine pointierten, vernichtenden Essays zu Israel im Feuilleton der Wochenzeitung »Die Zeit« bekannt. Mit dem ebenfalls in Israel geborenen Architekten Eyal Weizman sollte ein Liebling des progressiven Kunstbetriebs an der Kasseler Gesprächsreihe teilnehmen.
Die von ihm mitgegründete, aktivistische »Rechercheagentur« »Forensic Architecture« klärt die Besucher ihrer Ausstellungen regelmäßig über vermeintliche Menschenrechtsverletzungen Israels auf. Dabei ist Forensic Architecture weder eine befugte Ermittlungsbehörde noch ein journalistisches Recherchemedium. Werden Boehm und Weizman am weiterentwickelten Gesprächsformat teilnehmen? Der Beifall des deutschen Akademikers wäre beiden sicher: »Sie sind ja schließlich Juden!«
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