Man kann schon Zweifel bekommen bei einer Expertise, in der wichtige Worte verrutschen. So ist im neuen »Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus«, eingesetzt vom Bundesministerium des Innern, die Rede vom »Dogma der Judenmission« in der Evangelischen Kirche – was in zweifacher Hinsicht ziemlicher Unfug ist. Zum einen, da es die Protestanten bekannterweise mit den Dogmen, anders als die Katholiken, nicht so haben. Zum anderen, da die Judenmission nie ein verbindlicher Glaubenssatz war.
Gleichwohl sollte dieser Zweifel nicht die grundlegende Erkenntnis des Berichts bezüglich der Kirchen hierzulande beiseitewischen, zu denen immerhin noch über 60 Prozent der Deutschen gehören. Demnach gehen die Kirchen nicht konsequent genug gegen Judenhass in den eigenen Reihen vor. Zwei Diagnosen des Papiers sind dabei vor allem bedenkenswert: Zum einen, dass religiös geprägte Menschen überdurchschnittlich häufig zu antisemitischen Äußerungen neigen. Zum anderen, dass die zuletzt verstärkte Suche nach dem eigenen Profil gerade in den beiden Volkskirchen immer die Gefahr beinhaltet, dass an ihren Rändern auf uralte eigene Stereotypen und scheinbare Sicherheiten zurückgegriffen wird. Stichwort: »Gottesmörder«, »untreue Juden« – und wie die ekligen Begriffe alle heißen.
Es ist klar: An der Spitze der beiden großen Volkskirchen hat es in den vergangenen Jahrzehnten kaum Grund für Skepsis gegeben, dass der jahrhundertealte christliche Antijudaismus wirklich überwunden werden soll. Dieser Fortschritt aber sickert nur sehr langsam nach unten und ist immer wieder bedroht, gerade wenn, wie etwa bei der Pius-Bruderschaft geschehen, Judenhasser wieder hoffähig gemacht werden. Auch das Beispiel der Kirchen zeigt deshalb, wie hartnäckig das Übel der Judenfeindschaft ist. Der Schoß ist eben auch in den Gemeinschaften, die sich auf den Juden Jesus berufen, noch fruchtbar.
Der Autor ist Reporter bei der Tageszeitung »taz«.