Der Tweet geht viral. Am 23. Januar 2023 wirft der Account »Fridays for Future International« (FFF) Israel »Neokolonialismus und Apartheid« vor. Die Klimabewegung stehe »geschlossen an der Seite der Palästinenser und des palästinensischen Widerstandes«, heißt es weiter auf Englisch. Und zum Schluss der Aufruf »Yallah Intifada!«.
Der Twitter-Beitrag wird geteilt von Accounts wie »Anne Frank Would Have Hated Zionists«, »GazaResistance« oder dem antizionistischen Deutschrapper Hanybal. BDS-Gruppen jubeln. Doch auch die Empörung ist groß. Der CDU-Politiker Armin Laschet fordert Luisa Neubauer gar namentlich dazu auf, sich vom Tweet zu distanzieren, und fragt: »Was haben Aufrufe zur Gewalt gegen Juden mit Klimaschutz zu tun?«
nahostkonflikt Es ist nicht das erste Mal, dass sich FFF International mit israelfeindlichen Beiträgen hervortut. Vor und nach der UN-Klimakonferenz 2022 meldete sich der Twitter-Account fast so häufig zum Nahostkonflikt zu Wort wie zum bedeutendsten Klimagipfel der Welt. Bereits im Mai 2021 sorgte ein mehrteiliger Beitrag der Gruppe auf Twitter und Instagram für eine Kontroverse, in dem palästinensische Terroristen als »Märtyrer« verklärt und die gegen Israel gerichtete Boykott-Kampagne BDS beworben wird. Israel wiederum wird »Siedlerkolonialismus« und »Imperialismus« vorgeworfen.
FFF Deutschland distanzierte sich damals von den Aussagen und sprach von »antisemitischen Inhalten«. Auch nach dem Tweet im Januar dieses Jahres sah sich der deutsche Ableger der Klimabewegung genötigt, etwas klarzustellen: »Der Account spricht nicht für FFF Deutschland«, erklärte eine Sprecherin der Gruppe. Eine Aussage, die zunächst irritiert. Denn für wen spricht FFF International, wenn nicht für die gesamte weltweite Bewegung? Der Name impliziert schließlich, dass es sich bei der Gruppe um eine Art Dachverband von FFF handelt.
Den Kurs bestimmt nur eine Handvoll Aktivisten.
Recherchen der Jüdischen Allgemeinen zeigen nun jedoch: Die Inhalte des Twitter-Accounts von FFF International werden von nicht einmal einem Dutzend Aktivisten maßgeblich bestimmt. Keiner von ihnen ist überregional bekannt oder für seine Funktion gewählt worden. Unter ihnen ist es wiederum nur eine Handvoll Personen mit einer geradezu fanatisch israelfeindlichen Einstellung, die die Positionen des Accounts zum Nahostkonflikt bestimmen – und damit das öffentliche Bild der gesamten FFF-Bewegung prägen.
Legitimation Als Greta Thunberg im August 2018 mit ihrem ersten Schulstreik die weltweite Fridays-for-Future-Bewegung anstieß, gründeten sich in kurzer Zeit zahlreiche lokale FFF-Gruppen und -Accounts in den sozialen Medien. Im Oktober desselben Jahres ging auch der Twitter-Account von FFF International online, heute hat er beinahe 150.000 Follower. Offiziell legitimiert, im Namen der gesamten Klimabewegung zu twittern, wurde er jedoch nie.
Ihre Tweets stimmen die Betreiber in einer Telegram-Gruppe miteinander ab, unabhängig vom Auftritt von FFF International auf Instagram und Facebook. Der Jüdischen Allgemeinen liegt eine Kopie des gesamten Verlaufs des Telegram-Chats vor. Für den Zeitraum ab März 2021 umfasst dieser etwa 1500 DIN-A4-Seiten.
Es ergibt sich das Bild einer chaotisch agierenden, inkohärenten Gruppe. Immer wieder kommt es zu heftigen internen Debatten, die manchmal in gegenseitige Beleidigungen und Anschuldigungen ausufern. Auch über das Prozedere zur Erstellung und Veröffentlichung von Twitter-Beiträgen herrscht oft Uneinigkeit. Grundsätzlich darf jedoch jeder Vorschläge einbringen, über die dann abgestimmt wird. Häufig entscheiden nur drei oder vier Ja-Stimmen darüber, dass ein Beitrag veröffentlicht wird.
kompromisslosigkeit In der Regel gilt: Wer viel in die Gruppe schreibt und sich durch Kompromisslosigkeit auszeichnet, dessen Meinung setzt sich meistens durch. Da der Zugang zur Telegram-Gruppe prinzipiell allen FFF-Aktivisten offensteht, ist die Fluktuation hoch. Derzeit hat die Gruppe rund 50 Mitglieder, doch nur wenige melden sich regelmäßig zu Wort. Häufig stoßen Neue hinzu, andere gehen. Doch zunehmend können sich die zentralen Akteure in der Gruppe vor allem auf zwei Dinge einigen: die Ablehnung des jüdischen Staates und die Verachtung für FFF Deutschland. In beidem tut sich vor allem ein Aktivist aus Rheinland-Pfalz hervor: Hasan Ö.
Seit seinem Eintritt in die Telegram-Gruppe im August 2021 drängt er regelmäßig vehement darauf, etwas über den Nahostkonflikt zu posten. Mindestens zehn Tweets zu dem Thema allein zwischen Mai 2022 und Mai 2023, in denen teilweise Israel dämonisiert, palästinensischer Terror verharmlost oder Inhalte der BDS-Bewegung verbreitet werden, gehen auf seine Initiative zurück und wurden größtenteils von ihm selbst formuliert. Auch der Beitrag von Anfang dieses Jahres, der mit »Yallah Intifada!« endet. Eine Formel, die als Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen den jüdischen Staat und seine Zivilbevölkerung verstanden werden kann.
Dieser Tweet sorgte auch bei einigen FFF-Gruppen in Deutschland für Empörung. Der deutsche Dachverband distanzierte sich von dem Beitrag, und der Berliner Ableger schrieb auf Twitter: »›Yallah Intifada‹ ist purer eliminatorischer Antisemitismus.«
Smiley Als diese Kritik an dem Tweet auch in der Telegram-Gruppe von FFF International besprochen wird, setzt dort ein Berliner Aktivist einen Smiley ab, der die Zunge herausstreckt. Auf diese Provokation springt Hasan Ö. sofort an: »Du kleines rassistisches Stück Scheiße«, schreibt er. Einige in der Gruppe sind sich schnell einig, dass ein solches Verhalten inakzeptabel ist – und meinen damit den Smiley, nicht Hasan Ö.s Beleidigung. Ein Aktivist fordert: »Das sollte Folgen für FFF Berlin haben.« Er riskiere viel für sein Engagement, behauptet er: »Ihr wisst nicht, wie brutal der Zionismus ist, sie könnten mich jederzeit kriegen, wenn sie wollten.«
Als ein weiterer deutscher FFF-Aktivist Kritik an Hasan Ö.s Tweet äußert, greift Ö. auch diesen an: »Verpiss dich einfach du widerlicher Rassist.« Auch für diese Äußerung wird Hasan Ö. nicht gerügt – und sie ist keine Ausnahme. Regelmäßig bezeichnet er im Chat FFF Deutschland sowie einzelne Aktivisten als rassistisch und bringt die gesamte Gruppe dazu, sich auf Twitter immer häufiger gegen die deutschen Aktivisten zu positionieren sowie sich in Debatten einzumischen, die außerhalb der Bundesrepublik kaum Relevanz haben. Irgendwann mahnt ein Gruppen-Mitglied gar: »Bitte erinnert euch, dass wir eine internationale FFF-Gruppe sind, keine deutsche.« Den Kurs des Twitter-Accounts wird dieser Einwand nicht ändern.
Dass Hasan Ö. FFF Deutschland so sehr ins Visier nimmt, hat womöglich auch damit zu tun, dass er in der deutschen Klimabewegung unerwünscht ist. Mehrere Aktivisten erzählten dieser Zeitung, dass Hasan Ö. 2021 zunächst aus dem Social-Media-Team von FFF Deutschland und Anfang dieses Jahres aus der gesamten Organisation ausgeschlossen wurde. Ihm wurde beleidigendes Verhalten, Antisemitismus sowie das Verharmlosen von Terror gegen Juden vorgeworfen. Der Ausschluss wurde von FFF Deutschland auf Anfrage bestätigt, auf Details gehe die Gruppe in solchen Fällen nicht ein.
Hasan Ö. spricht gegenüber dieser Zeitung dagegen von »rassistischem Mobbing«, das er bei FFF Deutschland erlebt habe. Sein Rauswurf beruhe auf konstruierten Vorwürfen. Er verneint es zudem, für Tweets mitverantwortlich zu sein, die antisemitisch oder gewaltverherrlichend sind. Seine Haltung zu Israel sieht er im Einklang »mit dem linken Mainstream weltweit«. Er bestreitet, eine zentrale Rolle in der Telegram-Gruppe zur Koordinierung des Twitter-Accounts von FFF International zu spielen. Sein Beitritt habe »keinerlei ideologischen Einfluss« gehabt. »FFF International ist einheitlich Palästina-solidarisch aufgestellt und steht deshalb FFF Deutschland sehr kritisch gegenüber«, behauptet Hasan Ö.
Widerspruch Doch Widerspruch zum israelfeindlichen Kurs des Twitter-Accounts wird auch in der Telegram-Gruppe selbst geäußert. Und der schärfste Kritiker kommt nicht aus Deutschland, sondern aus dem Amazonasgebiet. Abel Rodrigues, Mitglied bei Fridays for Future Brasilien, scheut die Konfrontation mit Hasan Ö. nicht: »Du scheinst dich gar nicht für Menschenrechte zu interessieren, sondern einfach Leute provozieren zu wollen«, hält er ihm in der Telegram-Gruppe vor und macht den Vorschlag: »Warum erstellst du nicht eine Intifada-Seite, um all deine radikalen Inhalte zu veröffentlichen, anstatt einen Klima-Account zu übernehmen?«
Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen sagt Rodrigues: »Wir haben Millionen Demonstranten auf die Straße gebracht, um über das Klima zu reden, nicht über Israel.« Er findet, die Betreiber des Twitter-Accounts von FFF International missbrauchten ihren Namen und ihre Reichweite für ihre israelfeindlichen Ansichten. »Es ist ein Verrat an der Kernbotschaft der Bewegung«, glaubt Rodrigues, der derzeit in Portugal lebt und studiert. In der Telegram-Gruppe sind seinem Eindruck nach Aktivisten, die die israelfeindlichen Ansichten der wortführenden Mitglieder nicht teilen, unerwünscht. »Ich habe gesehen, dass mehrere Mitglieder feindselig behandelt wurden, als sie mit diesem Narrativ nicht einverstanden waren«, erzählt er.
Anders als die meisten für den Twitter-Account prägenden Personen ist Rodrigues auch außerhalb der sozialen Medien ein sehr präsenter FFF-Aktivist. Dass er in der Gruppe so deutliche Kritik äußern konnte, führt er auch auf seine Bekanntheit in der Klimabewegung zurück. Die Beiträge des Twitter-Accounts zum Nahostkonflikt versuchte Rodrigues jedoch vergeblich zu beeinflussen.
Wer Beiträge als antisemitisch kritisiert, wird angefeindet.
Als im Januar dieses Jahres in Jerusalem sieben Menschen von einem palästinensischen Terroristen erschossen werden, schlägt er vor, etwas zu dem Anschlag zu posten. »Ich wäre stark dagegen«, wendet eine irische Aktivistin sofort ein, »das würde als ein pro-israelischer Beitrag gesehen werden, oder als ein anti-palästinensischer.« Als Rodrigues seine Ansicht verteidigt, man müsse auch Terror gegen Israel verurteilen, wendet sich die Stimmung in der Gruppe gegen ihn. »Du versuchst nur, die Staatspropaganda der terroristischen Besetzung zu unterstützen«, wirft ihm ein sudanesischer Aktivist vor und spricht von »zionistischen Kriminellen, die eine Kampagne gegen uns gestartet haben«.
Er führt aus: »Wenn du glaubst, das terroristische Zionisten-Gebilde sei ein legitimes Land, bedeutet das, dass du ein Neokolonialist bist.« An anderer Stelle schreibt er: »Palästina ist der Kompass des Klimakampfes.« Resigniert hält Rodrigues im Chat fest: »Jetzt fange ich wirklich an zu glauben, dass manche Leute hier tatsächlich antisemitisch sind.«
Dynamik Angesichts dieser Dynamik in der Gruppe fühlt sich Elia K., die lieber anonym bleiben will, ohnmächtig. Sie ist Jüdin und engagierte sich seit der ersten Stunde bei FFF in der Ukraine, die sie bei Kriegsbeginn verlassen musste. Heute lebt sie in Deutschland. Sie ist ein überwiegend passives Mitglied im Chat von FFF International, äußert sich nur ab und zu. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen erzählt sie, dass sie die Umgangsformen dort schockierten. »Persönliche Grenzen werden häufig überschritten.« Sich in der Gruppe einzubringen, werde schnell »stressig und verstörend«.
Zudem belaste sie die israelfeindliche Linie des Twitter-Accounts, da sie als Jüdin ein besonderes Verhältnis zu dem Land habe. »Würde ich aber versuchen, die Positionen der Gruppe zu Israel zu beeinflussen, würde ich von einer Handvoll Aktivisten an den Rand gedrängt werden«, erzählt Elia K.
Sie ist enttäuscht von dem Umgang der anderen Mitglieder mit abweichenden Meinungen: »Ich habe nicht den Eindruck, dort gehört zu werden.« Eigentlich müsste in der Gruppe einmal ein echter Dialog über die unterschiedlichen Positionen zum Nahostkonflikt geführt werden, findet Elia K. »Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das bald passiert.«
streit Doch der heftig geführte Streit um die Positionierung des Twitter-Accounts zu Israel hat viele in der Gruppe zermürbt. Einige Mitglieder fühlen sich von der Debatte in und außerhalb der Gruppe überfordert. Ende Januar dieses Jahres wurde darüber abgestimmt, ob man vorerst nur in wirklich dringenden Fällen zum Nahostkonflikt und anderen kontroversen Themen twittern soll. Zwar gibt es heftigen Widerspruch von einigen israelfeindlichen Aktivisten, am Ende stimmen aber drei Viertel der Gruppe für die selbst auferlegte Pause.
Tatsächlich nimmt die Aktivität von FFF International auf Twitter seitdem ab. An den Mehrheitsentscheid in der Gruppe wird sich aber offenbar nicht gehalten: Zum Nahostkonflikt wird immer noch verhältnismäßig häufig getwittert. Der letzte eigene Beitrag des Accounts vom Mai 2023 verurteilt die Verbote einiger pro-palästinensischer Kundgebungen in Berlin, nachdem es auf vergleichbaren Veranstaltungen zu antisemitischen Parolen und Angriffen auf Pressevertreter gekommen war. »Befreit Palästina von deutscher Schuld«, heißt es am Ende des Tweets. Formuliert hatte ihn Hasan Ö.
Hinter dem Pseudonym »Elia K.« steckt die ukrainisch-jüdische FFF-Aktivistin Ilyess El Kortbi. Sie hat uns nachträglich gebeten, ihren vollen Namen zu nennen. Sie wolle sich nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober und den israelfeindlichen Social-Media-Posts von FFF International öffentlich an die Seite Israels stellen, sagte El Kortbi unserer Redaktion.