Zwei Tage nach dem Militäreinsatz gegen die internationale Hilfsflotte für den Gazastreifen hat Israel mit der Abschiebung der bei der Aktion festgenommenen Ausländer begonnen. Das
teilte das israelische Außenministerium mit. Eine erste Gruppe wurde am Mittwochmorgen in Bussen zum internationalen Flughafen Ben Gurion gebracht.
Die israelische Regierung hatte am Vorabend angekündigt, alle der noch rund 600 inhaftierten Aktivisten des internationalen Gaza-Hilfskonvois sollten umgehend freigelassen werden.
In der Nacht zum Montag hatten israelische Elite-Soldaten sechs Schiffe des Konvois aufgebracht. Dabei wurden mindestens neun Aktivisten getötet, Dutzende verletzt. Auch mehrere Mitglieder der israelischen Kommandoeinheit trugen zum Teil schwere Verletzungen davon.
Nachgeben, nicht provozieren lassen – das hatten viele Politikexperten der Regierung geraten, als sich die sogenannte Flotille vor einigen Tagen in der Türkei aufmachte. Die Regierung in Jerusalem entschied sich, auf der Blockade zu bestehen, bot jedoch an, die 10.000 Tonnen Ladung in Aschdod löschen zu lassen und die erlaubten Hilfsgüter nach Gaza zu transportieren. »Free Gaza«, einer der Initiatoren der Aktion, lehnte kategorisch ab. Zudem weigerte sie sich, ein Paket von Noam Schalit für seinen Sohn, den Soldaten Gilad Schalit, mitzunehmen, der von der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen festgehalten wird.
Desaster Um 3.30 Uhr morgens begann das, was sich schnell zu einem kompletten Desaster ausweitete. Nachdem die Schiffe wiederholt die Warnungen der israelischen Marine ignorierten und nicht beidrehten oder antworteten, stürmten Elitesoldaten schließlich das türkische Schiff »Marmara«, auf dem sich schätzungweise 570 Menschen aufhielten. Was dann geschah, wird von beiden Seiten unterschiedlich geschildert. Die Armee sagt, dass sie von einem vorbereiteten bewaffneten Mob angegriffen worden sei, der bereit war zu töten. Als sie das Schiff enternten, hätten sie mit gewaltlosen Widerstand von »Friedensaktivisten« gerechnet. Stattdessen hätten die Soldaten den Eindruck gehabt, dass sie »gelyncht« werden sollten. Die israelische Armee veröffentlichte Videobilder, die zeigen, wie mit Stangen wütend auf die Soldaten einschlagen wurde. Einer der Soldaten wird kopfüber von einem der oberen Decks auf ein unteres Deck geworfen.
Reaktionen Verteidigungsminister Ehud Barak machte die Organisatoren der Gaza-Hilfsaktion für das Blutvergießen verantwortlich. »Angesichts der Gefahr waren die Soldaten gezwungen, Mittel zur Auflösung von Demonstrationen einzusetzen, darunter auch scharfe Munition«. Die Fahrt der Schiffe nach Gaza beschrieb er als »politische Provokation durch anti-israelische Organisationen«. Die islamisch-türkische IHH, die nach israelischen Angaben an der Organisation der Aktion beteiligt war, sei als »gewalttätige und radikale Gruppierung bekannt, die unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe Terrorgruppen unterstützt«, fügte er hinzu. Sie stehe der Hamas nahe.
Eindeutig ist, dass die Stürmung für den jüdischen Staat ein absolutes PR-Desaster ist, unter dem auch die anberaumten Friedensgespräche zusammenbrechen könnten, noch bevor sie begonnen haben. Zudem steht die Beziehung zur Türkei auf Messers Schneide. Einst war der muslimische Staat enger Verbündeter Israels, doch schon am Morgen war es vor dem israelischen Generalkonsulat in Istanbul zu wütenden Protesten gekommen. Einige der etwa hundert Demonstranten versuchten, das Gelände zu stürmen, wurden jedoch von der Polizei gestoppt, der israelische Gesandte wurde ins Außenministerium bestellt. Nun ruft der israelische Stab zur Terrorbekämpfung sogar seine Landsleute auf, nicht in die Türkei zu reisen. In der gegenwärtigen angespannten Situation seien »gewaltsame Ausbrüche gegen Israelis denkbar«, heißt es in der Mitteilung. Weil ein griechisches Schiff zur Flotte gehörte, brach Griechenland ein gemeinsames Manöver mit Israel ab. Die deutsche Regierung äußerte sich bestürzt über die Militäraktion.
Eindeutig sei Israel in offene Messer gelaufen, meinen viele Menschen hierzulande. Kopfschüttelnd verfolgen sie die Sondersendungen, die Radio und TV seit dem frühen Morgen ununterbrochen senden. Und keiner weiß, was noch kommen wird. Sollten die Aktivisten aus 40 Ländern nicht freiwillig einer Abschiebung zustimmen, werden sie im Hafen von Aschdod inhaftiert.
Hilfsgüter Dort hatten die Hafenarbeiter alles dafür vorbereitet, die Hilfsgüter zu kontrollieren und auf Lkw zu verladen. Regierungssprecher Mark Regev sagte, dass es in Gaza keinen Mangel an Hilfsgütern gebe. Wöchentlich schicke Israel 15.000 Tonnen über die Grenze. Dazu gehören medizinische Versorgungsgüter, Fleisch, Geflügel, Korn, Hülsenfrüchte, Öl, Mehl, Salz, Zucker, frisches Gemüse und Milchprodukte sowie Tierfutter, Hygieneartikel und Kleidung. Nach Angaben der Regierung hat sich der Gesamtumfang der 2009 aus Israel in den Gazastreifen transferierten Güter im Vergleich zum Vorjahr um 180 Prozent erhöht. Gegenwärtig wird die Einfuhr von Zement und anderen Baumaterialien eingeschränkt, da die die Hamas solche Lieferungen für den Bau von militärischen Befestigungen eingesetzt hat, wie der israelischen Sicherheitsdienst herausfand.
Schon vor Tagen hatte die israelische Armee Hunderte von klimatisierten Zelten in Aschdod aufgestellt, um die Aktivisten der Flotille zu empfangen. »Wir sind vorbereitet«, hieß es aus der Führungsriege der Armee. Es wurden Metalldetektoren aufgestellt, Computer angeschlossen, auf eine friedliche Lösung und auf Dialog gehofft. (mit dpa)