Wuligers Woche

Tief betroffen, aber ...

Da ist sie wieder: die viel bemühte »Gewaltspirale« des Auswärtigen Amts. Foto: Getty Images

Wenn einem Leute erzählen, man müsse bestimmte Fakten und Ereignisse im Kontext betrachten, kommt als Nächstes in der Regel Bullshit. Kontext ist laut Duden der »Sach- und Situationszusammenhang, aus dem heraus (etwas) verstanden werden muss«.

Häufig ist der vorgebrachte angebliche Zusammenhang allerdings nur konstruiert und dient allein dazu, Geschehenes kleinzureden oder zu rechtfertigen. Strafverteidiger in Vergewaltigungsfällen beispielsweise bemühen gern den Kontext, dass das Opfer einen kurzen Rock trug und deshalb eigentlich selbst schuld sei.

Verbreitet ist diese Art Kontextualisierung auch in der Politik. Als im Juni ein Neonazi den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschoss, wusste der AfD-Abgeordnete Martin Hohmann sofort, wer für den Mord verantwortlich war. Nicht der Schütze, auch nicht Hohmanns Partei und ihre Hetze, sondern: »Hätte es die illegale Grenzöffnung durch Kanzlerin Angela Merkel mit dem unkontrollierten und bis heute andauernden Massenzustrom an Migranten nicht gegeben, würde Walter Lübcke noch leben.« Zu Deutsch: So was kommt von so was.

KONTEXT Auf Kontext versteht man sich auch im Auswärtigen Amt. Vergangene Woche ermordeten arabische Terroristen die 17-jährige Rina Shnerb bei einem Familienausflug zur Ein-Bubin-Quelle nordwestlich von Jerusalem. Ihr Vater und ihr Bruder wurden bei dem Bombenattentat schwer verletzt.

Das Haus Maas argumentiert ähnlich wie der AfD-Mann.

Am Werderschen Markt in Berlin reagierte man prompt. »Der heutige Anschlag ... im Westjordanland macht uns tief betroffen. ... Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die Spirale aus Gewalt und Hass überwunden wird und die Perspektive einer Zweistaatenlösung ... erhalten bleibt.«

Das ist zwar nicht ganz so krude formuliert wie bei Herrn Hohmann – Diplomaten verstehen sich schließlich auf subtile Wortwahl. Im Kern aber argumentiert das Haus Maas ähnlich wie der AfD-Mann: Die Mörder sind nicht wirklich schuld, die Verhältnisse haben sie erst zu ihrer Tat getrieben, und für die Verhältnisse sind andere verantwortlich.

MAHNUNG Schon in der pflichtgemäßen Betroffenheitskundgebung ist eine Relativierung enthalten: »Der heutige Anschlag ... im Westjordanland«. Sprich: Was hatte die Familie Shnerb dort überhaupt zu suchen, das ist palästinensisches Gebiet. Es folgt die »Spirale aus Gewalt und Hass«. Sprich: Beide Seiten trifft zumindest gleichermaßen Schuld, die Attentäter haben im Grunde nur auf vorangegangenes israelisches Unrecht reagiert.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Und zum Schluss noch die Ermahnung, »dass die Perspektive einer Zweistaatenlösung ... erhalten bleibt«. Sprich: Ihr Israelis solltet endlich tun, was Deutschland sagt. Wenn ihr nicht auf uns hört, dürft ihr euch auch nicht wundern, dass so etwas passiert.

Falls jetzt jemand meint, das sei maßlos übertrieben, vielleicht gar bösartig interpretiert: Mag sein. Andererseits passt es zu dem, was man vom Auswärtigen Amt in Sachen Israel so kennt. Man muss es eben im Kontext betrachten.

Kriminalität

»Schwachkopf«-Post zu Habeck: Jetzt melden sich die Ermittler zu Wort

Ein Mann soll Wirtschaftsminister Habeck im Netz beleidigt haben. Dass dann die Polizei zu Besuch kam, sorgte nicht nur im Umfeld des Vizekanzlers für Verwunderung. Die Ermittler liefern Erklärungen

von Frederick Mersi  21.11.2024

Wien

Österreichs Außenminister kritisiert Haftbefehle gegen Israelis

Die Entscheidung schadet der Glaubwürdigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, unterstreicht der ÖVP-Politiker

 21.11.2024

Paris

Frankreich zu Netanjahu-Haftbefehl: »Wir respektieren die internationale Justiz«

Das französische Außenministerium hat zum umstrittenen Entscheid des Internationalen Strafgerichtshofs Stellung bezogen

 21.11.2024

Social Media

Auschwitz-Komitee zieht sich von Plattform X zurück

Überlebende des Holocaust empfinden den antisemitischen Hass auf X als zunehmend bedrohlich

 21.11.2024

Meinung

Der Internationale Strafgerichtshof und die Kampagne gegen Israel

Bei den Haftbefehlen gegen Netanjahu und Gallant geht es um Politik und nicht um Recht

von Volker Beck  21.11.2024

Berlin

Schuster Calls Arrest Warrant Against Netanyahu »Absurdity«

The President of the Central Council of Jews calls on the German government to oppose this decision

 21.11.2024

Internationaler Strafgerichtshof

Zentralrat der Juden nennt Haftbefehl gegen Netanjahu »Absurdität«

Josef Schuster fordert die Bundesregierung dazu auf, sich gegen diese Entscheidung zu stellen

 21.11.2024

Jerusalem

Israels Präsident verurteilt Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant

Zahlreiche Regierungs- und Oppositionspolitiker schließen sich der Kritik an

 21.11.2024 Aktualisiert

Hintergrund

Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant erlassen

Der Internationale Strafgerichtshof hat am Donnerstag einem Antrag des Chefanklägers Karim Khan stattgegeben

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024