Itay Tagner, Erster Sekretär und Pressesprecher der israelischen Botschaft in Berlin, formuliert es ganz klar: »Alle Aufrufe und Aktivitäten, Israel zu boykottieren oder auszusondern, sind fehl am Platz.« Und ja, »selbstverständlich« sei das in der Berliner Politik »bereits zum Thema« gemacht worden. Sein Thema ist die in Wirtschaftskreisen renommierte Ghorfa, die Arabisch-Deutsche Vereinigung für Handel und Industrie. Der gemeinnützige Verein untersteht der Generalunion der arabischen Handelskammern.
Der Präsident des Vereins aber ist derzeit in einer Mission unterwegs, die nicht nur Sportkreise für eine Art nationale Aufgabe halten: Thomas Bach, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, Wirtschaftsanwalt, FDP-Mitglied. Am 10. September möchte er sich zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wählen lassen. Auch Kanzlerin Angela Merkel wünschte ihm Erfolg. Der frühere Fechter gilt als aussichtsreichster der sechs Bewerber.
olympia Die Geschäfte der Ghorfa karikieren allerdings die »fundamentalen Prinzipien« des IOC, die »jede Form von Diskriminierung«, auch gegenüber einem Land, für »unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur olympischen Bewegung« erklären. Die Ghorfa profitiert seit Langem von einer israelfeindlichen Maßnahme – von der sogenannten Vorlegalisierung deutscher Exporte in die Golfstaaten. Weil angeblich erst dann das Geschäft läuft, lassen Unternehmen bei der Ghorfa (»Ihre Brücke in den arabischen Raum«) ihre Papiere abstempeln.
Der Stempel bestätigt, dass die Lieferanten keine Unternehmenstöchter in Israel haben und kein Teilchen ihres Produkts aus Israel kommt. Die Prüfung stammt aus den 70er-Jahren; sie diente der Arabischen Liga als Waffe im Israel-Boykott. Die Ghorfa kassierte damit im Jahr 2011 mehr als 900.000 Euro, mehr als 40 Prozent ihrer Einnahmen.
Das ist ein Politikum, das nun auch Bach in Bedrängnis bringen könnte. Denn die Erhebung einer solchen Gebühr ist in der Bundesrepublik unzulässig. »Deutsche Handelsdokumente«, so stellte das Bundesministerium für Wirtschaft Ende Juni klar, »dürfen keine Boykott-Erklärungen in der Form negativer Ursprungserklärungen enthalten.« Die Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon (Grüne) hatte nachgefragt. Sie sagt: »Der Bundesregierung kann kaum entgangen sein, dass sich mit Bach ein Wirtschaftslobbyist von zweifelhaftem Ruf um die IOC-Präsidentschaft bewirbt.«
parteifreund Andererseits sitzt die Bundesregierung in der ersten Reihe bei vielen Ghorfa-Veranstaltungen, bei denen deutsche Unternehmer Geschäfte mit arabischen Partnern, zumeist aus den Golfmonarchien, anbahnen können. Im April, als Katar Thema eines Gipfels in Berlin war, konnte der Lobbyverein Kanzlerin Angela Merkel begrüßen. Im Juni, beim 16. Arabisch-Deutschen Wirtschaftsforum, lieferte ein Parteifreund von Bach die Keynote: Außenminister Guido Westerwelle. Und das FDP-geführte Wirtschaftsministerium von Philipp Rösler übernahm die Schirmherrschaft.
Den politischen Spagat kann das Ministerium auch auf Nachfrage der Jüdischen Allgemeinen nicht erklären: Die Angebote der Ghorfa fänden in der deutschen Wirtschaft Interesse, »weil hochrangige, wichtige Kontakte zu Vertretern aus Wirtschaft und Politik« in die arabischen Länder hergestellt würden. Bei der Vorlegalisierung, obwohl »ein Handelshemmnis«, agiere der Verein lediglich als »ausführendes Organ« für die arabischen Staaten. Ein Israel-Boykott sei »nicht zu erkennen«.
Kurios: Der Ministeriumssprecher verweist noch auf den ebenfalls in Berlin ansässigen Nah- und Mittelost-Verein. Dieser prangere die Vorlegalisierung »zu Recht regelmäßig« an. Im Klartext: Die Koalition drückt pragmatisch ein Auge zu. Schließlich boomt das Big Business mit den Ölpotentaten. 2012 kletterte das Handelsvolumen mit den arabischen Staaten auf ein Rekordniveau von 49 Milliarden Euro.
ioc-wahl Und Thomas Bach? Beteuert gern, er trenne strikt zwischen Sport und Beruf. Zählt aber auf das arabische Stimmenpaket bei der IOC-Wahl. Schaden können die Ghorfa-Aktivitäten da bestimmt nicht. Aus zehn der 20 Staaten, denen der Verein seinen »Legalisierungs-Service« anbietet, kommen wahlberechtigte IOC-Granden. Dazu gehört Scheich Ahmad al-Sabah, ein Mitglied der Herrscherfamilie in Kuwait und einer der mächtigsten Strippenzieher im Weltsport. Gut beleumundet ist er nicht: Sein Vorgänger an der Spitze der Vereinigung aller Olympiakomitees warf dem Scheich vor, sich den Posten bei anderen Sportfunktionären erkauft zu haben – »mit je 50.000 überzeugenden Gründen«. Für die Wahl von Bach zum IOC-Präsidenten hat al-Sabah seine Unterstützung schon öffentlich zugesichert.
Die Anti-Israel Klausel darf seit 1992 nicht mehr direkt angewendet werden. Seither verbietet die deutsche Außenwirtschaftsverordnung diese Form eines Israel Boykotts in Handelsdokumenten wie Ursprungszeugnissen für Exportwaren. Per Stempel bestätigt werden darf nun nur noch (erst von den IHK, dann von Bachs Ghorfa oder den Botschaften arabischer Staaten), dass Waren in die arabischen Staaten ausschließlich in Deutschland hergestellt wurden.
Die Ghorfa teilt mit, dass sie sich an diese Rechtsvorschrift hält. Vertreter Israels sehen in der Vorlegalisierung durch die Ghorfa hingegen nach wie vor eine nunmehr indirekt umgesetzte anti-israelische Maßnahme.