Vielleicht kam der stolze ägyptische Vater der Sache näher als irgendeiner der vielen Experten, die derzeit fieberhaft über die Zukunft des Nahen Ostens spekulieren. Als er seiner neugeborenen Tochter den Namen »Facebook« gab, brachte Jamal Ibrahim auf den Punkt, was das Wesen des revolutionären Geistes ausmacht, der die Region seit Wochen in Aufruhr versetzt. Die sozialen Medien spielten eine entscheidende Rolle bei der Entmachtung des verhassten Hosni Mubarak. Kann es Google, Facebook und Twitter gelingen, eine neue Ära des Friedens und der Prosperität im Nahen Osten herbeizuführen?
Jahrzehntelang hatten Amerika, Europa und Israel einen faustischen Pakt geschlossen. Sie predigten Demokratie und Menschenrechte, während sie an den repressiven Regimen im Nahen Osten festhielten und sie mit Waffen versorgten. Der Aufstieg Irans verstärkte lediglich noch das Bestreben, die ägyptische und andere Diktaturen an der Macht zu halten. Doch die Infor- mationsrevolution von unten hat all das auf den Kopf gestellt. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Aufstände ausbreiteten, spiegelt die Schnelligkeit des Internets und die Mobilisierung einer jüngeren Generation wider, die nicht länger in passiver Unterwerfung resignieren will.
Elder Statesman Während viele Israelis die politische Entwicklung in der arabischen Welt mit Sorge beobachten, ist Schimon Peres zuversichtlich. Anders als US-Präsident Obama – der 2009 in seiner Kairoer Rede zwar Hilfe bei der Demokratisierung versprach, sich bei der Krise aber bedeckt hielt – begrüßte der israelische Staatschef die Revolten uneingeschränkt. Offensichtlich ist der Elder Statesman zu einer Vision fähig, die Ministerpräsident Netanjahu völlig abgeht. Für Peres steht fest, dass die beste Garantie für Frieden demokratische Nachbarn sind.
Dieser Traum von einem geeinten Nahen Osten mag mutig sein – neu ist er nicht. Er führt zum Kerngehalt der zionistischen Vision, die sich im späten 19. Jahrhundert verbreitete. Theodor Herzl etwa entwarf in seinem kühnen Roman Altneuland eine sozialistische Utopie, in der Juden aus Mitteleuropa den technologischen Fortschritt nach Israel bringen. Die Palästinenser mit den Vorteilen der modernen Welt vertraut zu machen, würde dazu führen, dass beide, Juden und Araber, friedlich zusammenlebten.
Vielleicht ist das etwas blauäugig. Doch der Nahe Osten erstickt am eigenen Zynismus. Ein bisschen Naivität und Optimismus ist vielleicht gerade das, was gebraucht wird, um die festgefahrene Situation endlich einmal zu überwinden.
Neue Generation Technologischer Wandel spielte auch beim Untergang der Sowjetunion und des Warschauer Pakts eine zentrale Rolle. Das Computerzeitalter und die schnelle Verbreitung von Informationen führten mit das Ende des Kommunismus herbei. In Ägypten kämpft eine neue Generation verzweifelt darum, nicht in dieselbe Apathie zu verfallen, die ihre Gesellschaft so lange lähmte. Mubarak wurde nicht aus dem Amt gejagt, weil er zu wenig anbot, sondern weil er nichts außer wirtschaftlicher Stagnation anzubieten hatte.
Die Revolten in der arabischen Welt haben die gängige Meinung ins Wanken gebracht, dass die Araber als Einzige auf der Welt unfähig zu einer demokratischen Regierung seien. Der Kolumnist Nicholas Kristof von der New York Times merkte an, dass genau dies auch von arabischen Diktatoren behauptet wird. Er bewundere den Mut der Demonstranten: »Es ist herablassend und töricht zu behaupten, dass Menschen, die für die Demokratie sterben, nicht reif seien für Demokratie.«
Kristof hat recht. Aber vorerst befindet sich Israel noch im Schockzustand. Der Kollaps des Mubarak-Regimes und die Aufstände in der gesamten Region könnten eine immense Stärkung der Feinde Jerusalems nach sich ziehen. Hamas ist voller Häme. Die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist bereits durchlässiger geworden. Das Regime im Iran schickt Kriegsschiffe durch den Suezkanal.
Helden Die Freiheits-Aufstände im Nahen Osten könnten tatsächlich in einer Tragödie enden. Schließlich folgte auf die Revolution von 1848 eine neue Welle der Repression. Doch es gibt keinen triftigen Grund anzunehmen, die arabische Welt sei auf ewig zu despotischen Herrschaftsformen verdammt. Diese Sicht der Dinge ist herablassend. Eine Bevölkerung, die es verstanden hat, sich das Internet zunutze zu machen, um gegen die Machthaber zu protestieren, kann nicht so leicht manipuliert werden. Sie hat ihre eigenen Nachrichtenquellen, ihre eigenen Helden. Sie sind nicht für den Staat da. Der Staat ist für sie da.
Könnte es sein, dass ein stolzer iranischer Vater eines Tages seine Tochter »Facebook« nennt? Im neuen Nahen Osten, der vor unseren Augen Gestalt annimmt, ist das nicht so weit hergeholt, wie es noch vor einigen Wochen schien.
Der Autor gehört zu Amerikas renommiertesten Journalisten und ist Senior Editor von »The National Interest«.