Berlin

Tatort Klassenzimmer

Was tun, wenn Pädagogen zum Problem werden? Foto: imago stock&people

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Tatort Klassenzimmer

Hass geht auch von Lehrern aus. Nun will der Senat handeln

von Jérôme Lombard  13.12.2018 12:19 Uhr

Schimpfwörter, Drohungen, Angriffe: In Klassenzimmern und auf Pausenhöfen kommt es immer wieder zu antisemitischen Übergriffen. Dass Judenhass an Schulen in Deutschland keine Randerscheinung ist, sondern vielmehr zum Alltag gehört, war schon länger bekannt. Eine Studie der Frankfurter Soziologin Julia Bernstein belegt diesen Umstand jetzt mit qualitativen Daten.

Ein Ergebnis der Untersuchung lässt besonders aufhorchen: Antisemitismus geht an Schulen nicht nur von Schülern, sondern auch von Lehrern aus. In den Lehrerzimmern herrsche nicht nur häufig Unwissenheit über Antisemitismus, so schreibt es Bernstein, das Thema werde bagatellisiert und manchmal sogar toleriert. Auf der anderen Seite fühlten sich Pädagogen, die sensibel mit dem Thema umgehen, häufig von ihren Kollegen alleine gelassen.

MOBBING Tom Erdmann, Vorsitzender der Pädagogengewerkschaft GEW in Berlin, haben die Studienergebnisse nicht überrascht. »Es ist leider eine Tatsache, dass ein Großteil der Diskriminierungen an den Schulen heute von Pädagogen ausgeht«, sagt Erdmann und verweist auf aktuelle Zahlen der Berliner Senatsbildungsverwaltung. Demnach zählte die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung für das Schuljahr 2016/2017 insgesamt 183 Beschwerden. In 147 Fällen bestätigte sich der Vorwurf einer Diskriminierung, 23 Fälle wurden noch nicht abschließend geprüft. In 106 Fällen ging es um Schüler, die rassistisch oder antisemitisch diskriminiert oder gemobbt wurden. Ein Drittel aller dieser Diskriminierungen, nämlich 48 Fälle, ging dabei von Lehrkräften, Erziehern oder Sozialarbeitern aus.

Die Praxisstellen sollen
akut reagieren und
langfristig begleiten.

»Wir haben in Berlin rund 30.000 Lehrer«, sagt Erdmann. »Unter den Pädagogen spiegeln sich alle Meinungen und Ideolo­gien wider, die es in der Gesellschaft gibt.« Beim Thema Antisemitismus lässt das nichts Gutes erwarten: Aktuellen Erhebungen zufolge gelten etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als »latent« antisemitisch. Bei israelbezogenem und sekundärem Antisemitismus liegt der Anteil bei rund 40 Prozent. »Die Lehrer tragen in ihrer Klasse die Verantwortung, konsequent gegen Antisemitismus vorzugehen, ganz gleich, ob er von Schülern oder von Kollegen ausgeht«, sagt Erdmann. Um die Pädagogen dazu zu befähigen, müsse der professionelle Umgang mit Diskriminierung bereits in der Lehrerausbildung an den Universitäten verankert werden.

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Zudem, so fordert es der Gewerkschafter, müsse das Thema Gegenstand von berufsbegleitenden Fortbildungen sein. »Pädagogen sind nicht per se bessere Menschen, aber sie stehen in der Pflicht, als Vorbilder für die Jugend demokratische Grundprinzipien zu verkörpern«, sagt Erdmann.

PRAXISSTELLE Dass es wichtig ist, Pädagogen im Umgang mit Antisemitismus zu schulen, hat auch der rot-rot-grüne Berliner Senat erkannt. So ist die Sensibilisierung von Lehrkräften einer der Schwerpunkte der in diesem Jahr gegründeten »Praxisstelle Bildung und Beratung«. Die Einrichtung wird von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) getragen und soll als zentrale Anlaufstelle für Schulleitungen fungieren, die sich Antisemitismus entgegenstellen wollen.

Inzwischen wurden 40 Teamer von der KIgA ausgebildet, die an Schulen Workshops und Projekttage für Schulklassen organisieren.

In der Praxisstelle sollen Schulen sowohl eine Erstberatung bei akuten Fällen finden als auch eine längerfristige Betreuung und Kooperation in Anspruch nehmen können. »Die Gründung der Praxisstelle ist als Reaktion auf die steigenden Anfragen von Schulen zu sehen, die einen akuten Bedarf an Präventionsangeboten deutlich machen«, sagt Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).

Inzwischen wurden 40 Teamer von der KIgA ausgebildet, die an Schulen Workshops und Projekttage für Schulklassen organisieren. Auch Fortbildungen von Lehrkräften zum Problemfeld Antisemitismus sind im Programm. Dabei geht es um die richtige Intervention bei Diskriminierungsfällen im Klassenzimmer, aber auch darum, wie man Themen wie den Nahostkonflikt ausgewogen und vorurteilsfrei im Unterricht behandeln kann. Für die Schulen sind alle Angebote der Praxisstelle kostenlos. Der Senat finanziert das Projekt mit 120.000 Euro. Geplant ist, 80 Schulveranstaltungen pro Jahr durchzuführen.

KIGA Dervis Hizarci, Vorsitzender der KIgA, sieht Berlin mit der Praxisstelle in einer Vorreiterrolle. »Wir haben hiermit die Möglichkeit, auf aktuelle Fälle zu reagieren und fundierte Handlungsstrategien an den Schulen zu implementieren«, sagt Hizarci. Der Pädagoge, der hauptberuflich an einer Gesamtschule arbeitet, weiß, wie schwierig es für viele Kollegen ist, sich dem Thema Judenhass zu stellen. »Im Kampf gegen Antisemitismus müssen wir den Lehrern vor allem mögliche Ängste vor dem Thema nehmen«, sagt Hizarci.

In seinen Fortbildungskursen für Lehrer betone er stets: »Das Entscheidende ist, schon in der Anfangsphase zu reagieren«, erläutert Hizarci. Wenn ein Schüler zum Beispiel »Scheißjude« sage, müsse die Lehrkraft umgehend einschreiten. »Man konfrontiert die Schüler mit dem, was sie gesagt haben, und reagiert dann sofort.«
Auch wenn sich Lehrer trotz Praxisstelle und Präventionsprogrammen auch in Zukunft sicherlich nicht überall so couragiert verhalten werden, ist Hizarci überzeugt: »Pädagogen sind im Kampf um die Köpfe unsere stärksten Partner.«

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