Zum dritten Mal gedachte die Bundesregierung am 11. März der Opfer terroristischer Gewalt. Diese müssten in »unserer Erinnerung bleiben«, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). »Ihnen muss unsere Aufmerksamkeit gelten.« Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ergänzte, die Gedanken seien an diesem Tag gleichsam »bei denjenigen, die heute nicht mehr unter uns sind« wie auch »bei denjenigen, die zurückbleiben«. Letztere wolle man »nicht alleine lassen in ihrem Schmerz«, man müsse sich zudem »ihrer Kritik stellen«. Kritik gibt es - von Überlebenden und Angehörigen.
Wenige Stunden zuvor fand in Berlin eine Pressekonferenz des »Solidaritätsnetzwerks von Angehörigen, Betroffenen und Überlebenden rechter, rassistischer und antisemitischer Morde und Gewalt« statt.
Enttäuschung über die leeren Worte der Bundesregierung
Seit zwei Jahren unterstützen sich Betroffene rechtsextremer Terrorangriffe aus ganz Deutschland gegenseitig. Nachdem ein offener Brief im vergangenen Jahr unbeantwortet geblieben war, traten sie nun erstmals an die Öffentlichkeit und erzählten ihre Geschichte.
Der Grund: Enttäuschung über die leeren Worte der Bundesregierung.
Denn die meisten von ihnen wurden zur Gedenkfeier nicht eingeladen. »Wenn ich nicht eingeladen werde, bedeutet das, dass sie nichts von mir hören wollen«, so Aynur Satır, Überlebende des Brandanschlags in Duisburg 1984. Bis heute kämpft sie darum, dass die Tat als rassistisch motiviert anerkannt wird. Wie schon damals wolle man heute wieder nicht mit ihr reden.
Das Gedenken am 11. März allerdings müsse allen Betroffenen gelten, betonte Mamadou Saliou Diallo, Bruder von Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Zwar handele es sich um verschiedene Fälle. Der Schmerz sei bei allen jedoch derselbe. »Wir lassen uns nicht spalten«, war an diesem Tag immer wieder zu hören.
Auch Naomi Henkel-Guembel, Überlebende des antisemitischen und rassistischen Anschlags auf die Synagoge in Halle 2019, erinnerte an »alle 235 Opfer rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung«. Staatlich anerkannt sind 113 Todesopfer. Die Diskrepanz zeigt: die Bundesregierung erkennt nicht alle Taten als eindeutig rechtsextrem motiviert an; für die Betroffenen ein Schlag ins Gesicht. Zusätzlich zum Verlust geliebter Menschen müssen sie um Anerkennung ihrer Situation kämpfen. Daran zeige sich, »wie essentiell unser Zusammenhalt ist«, betonte Henkel-Guembel.
Bundesregierung erkennt nicht alle Taten als eindeutig rechtsextrem an
Auch İsmet Tekin überlebte das Attentat in Halle. Er arbeitete im »Kiez Döner«, in dem Kevin Schwarze ermordet wurde. Er ist wütend darüber, dass die Betroffenen selbst für die Anerkennung ihres Leids kämpfen müssen. Viele hätten keine Kraft, die traumatischen Erfahrung immer wieder zu durchleben. Auch bei den Anwesenden zeigten sich die Mühen der Überwindung.
Melek Bektaş, Mutter des 2012 in Berlin-Neukölln ermordeten Burak Bektaş, musste ihr Statement abbrechen; zu schmerzvoll ist die Erinnerung noch immer. Auch Yasemin Kılıç sagte, sie müsse immer wieder das Trauma, das sie durch die Ermordung ihres Sohnes erlitten hat, beweisen. Ihr Sohn, Selcuk Kılıç, war eines der Opfer des Attentats im Münchener Olympia-Einkaufszentrum 2016. Die Forderungen des Netzwerks scheinen simpel: Transparenz, Aufklärung, Gerechtigkeit.
»Wenn wir sie bitten, uns zuzuhören, dann meinen wir das so«, kritisierte Talya Feldman, eine weitere Überlebende von Halle. Der Gedenktag ist für sie ein leeres Ritual: »Ein Gedenken, das die Kontinuitäten der Gewalt, die wir erleben und die uns umbringt, nicht beendet, ist kein Gedenken.« Es sei lediglich ein Symbol dafür, wie sich das politische System weiterhin abwende, »während es sich selbst dazu beglückwünscht, am 11. März ein paar Sekunden in Schweigen innezuhalten«.
Für sie, die Betroffenen aber, gehe es »um ein ganzes Leben und um verlorene Leben.« Insofern sei es unerlässlich, allen Betroffenen zuzuhören. Doch: »So oft stoßen wir auf verschlossene Ohren und geschlossene Augen.«