Nach der Messerattacke in Solingen mit drei Toten ist der mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe habe Haftbefehl unter anderem wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und wegen Mordes erlassen, teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Der 26-jährige Syrer teile die Ideologie der Terrorvereinigung IS und habe sich ihr zu einem derzeit nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 23. August angeschlossen, heißt es in der Mitteilung. Eine Abschiebung des Asylbewerbers war 2023 gescheitert.
Wegen seiner radikal-islamistischen Überzeugungen habe er den Entschluss gefasst, auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten, so die Bundesanwaltschaft. «Dort stach er mit einem Messer hinterrücks wiederholt und gezielt auf den Hals- und Oberkörperbereich von Besuchern des Festivals ein.»
Zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren sowie eine 56 Jahre alte Frau waren bei der Messerattacke am Freitagabend gestorben. Acht Menschen wurden bei dem Anschlag auf einem Jubiläumsfest zum 650. Gründungstag der Stadt Solingen - dem «Festival der Vielfalt» - verletzt, vier davon schwer. Anschließend entkam der Täter im Tumult und in der anfänglichen Panik. Der IS reklamierte die Tat für sich.
Am später Samstagabend stellte sich der 26-jährige Syrer nach Polizeiangaben den Ermittlern und gab an, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Nach dpa-Informationen soll er blutverschmierte Kleidung getragen haben.
Politisch hat die Attacke gut eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen die Debatten um schärfere Messer-Gesetze und die Migrationspolitik neu angefacht. Seit der Festnahme des tatverdächtigen Syrers wird insbesondere über Abschiebungen heftig diskutiert. Aus der Union kommen Forderungen nach Einschnitten im Asylrecht.
CDU-Chef Friedrich Merz plädierte etwa für einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Wie dies rechtlich umgesetzt werden soll, ließ er offen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte eine striktere Abschiebepraxis für abgelehnte Asylbewerber.
Alle Schwerverletzten sind auf dem Weg der Besserung
Der Verdächtige wurde am Sonntagnachmittag per Helikopter nach Karlsruhe geflogen. Zwei schwer bewaffnete Polizisten in Spezialausrüstung brachten den barfüßigen Mann zu einer Wagen-Kolonne. Einer der Beamten drückte den Kopf des auch an den Füßen gefesselten Tatverdächtigen nach unten. In dieser gebückter Haltung machte der Mann kaum selbst einen Schritt, die Einsatzkräfte trugen ihn zu den Fahrzeugen. Zu sehen war auch, dass er an seiner linken Hand einen weißen Handschuh trug. Der Grund dafür war zunächst unklar.
Die schwer verletzten Opfer sind auf dem Weg der Besserung. «Alle vier noch stationär behandelten Patienten sind über den Berg», sagte der medizinische Geschäftsführer und ärztlicher Direktor am städtischen Klinikum Solingen, Thomas Standl, dem Fernsehsender Welt TV. Der Tatort in der Innenstadt war am Sonntagmorgen weiter großräumig abgesperrt. Am Vormittag kamen Hunderte Menschen zu einem Trauergottesdienst zusammen.
Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden
Wie der «Spiegel» berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Diese Informationen wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt.
Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde demnach abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist. Da er zwischenzeitlich allerdings in Deutschland untergetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen, schrieb die «Welt» - auch der «Focus» hatte berichtet. Später sei der Syrer nach Solingenüberstellt worden.
Nach den sogenannten Dublin-Regeln ist meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, wo der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat - in diesem Fall wohl Bulgarien. Zieht derjenige unerlaubt in ein anderes EU-Land wie Deutschland weiter, kann dieses ein sogenanntes Übernahmeersuchen an das betreffende Land stellen. Wenn das zustimmt, kann die Abschiebung angeordnet werden. Der Asylsuchende muss dann allerdings innerhalb einer bestimmten Frist abgeschoben werden. Gelingt das nicht, geht die Zuständigkeit auf das Land über, das ihn eigentlich überstellen wollte.
IS spricht von «Rache für Muslime in Palästina und anderswo»
Der Islamische Staat behauptete in einer Mitteilung über seinen Propaganda-Kanal Amak, der Angreifer sei IS-Mitglied gewesen und habe die Attacke aus «Rache für Muslime in Palästina und anderswo» verübt. Der Angriff habe einer «Gruppe von Christen» gegolten.
Auch die Düsseldorfer Polizei erhielt nach eigenen Angaben ein angebliches Bekennerschreiben des IS. Jetzt müsse geprüft werden, ob dieses Schreiben echt sei, sagte ein Polizeisprecher. Aus Ermittlerkreisen wurde darauf hingewiesen, dass der IS in der Vergangenheit schon öfter eine Tat für sich reklamiert habe, ohne dass es belastbare Hinweise für eine Zusammenarbeit mit dem Täter gab.
Mutmaßlich bezieht sich der IS mit der «Rache für Muslime in Palästina» auf den Krieg im Gazastreifen zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Weder der IS noch das Terrornetzwerk Al-Kaida haben Bündnisse mit der islamistischen Hamas. Die Gefahren durch Terrorismus und Radikalisierung in der islamischen Welt sind den Sicherheitsbehörden zufolge durch den monatelangen Krieg in Gaza aber gestiegen. Deutschland ist neben den USA einer der wichtigsten Verbündeten Israels und auch einer der wichtigsten Waffenlieferanten.
Viele Verfahren zu islamistischem Terrorismus bei der Bundesanwaltschaft
Die Bundesanwaltschaft ist unter anderem für Taten des islamistisch motivierten Terrorismus zuständig. Generalbundesanwalt Jens Rommel hatte diesen bei der Jahresbilanz seiner Behörde als eine der Hauptgefahren für Deutschland ausgemacht. Von mehr als 700 im vergangenen Jahr eingeleiteten Ermittlungsverfahren aus dem Bereich Terrorismus und Staatsschutz betrafen Rommel zufolge knapp 500 den islamistischen Terrorismus. «Deutschland ist weiterhin Ziel radikalisierter Islamisten», heißt es bei der Bundesanwaltschaft. Das Spektrum reiche vom individuell radikalisierten Täter bis zu konspirativ agierenden Terrorzellen.
Bereits am Samstagabend hatte die Polizei «unter Einbindung von Kräften von Spezialeinheiten» eine Flüchtlingsunterkunft in Solingendurchsucht. Eine Person, die Kontakt zum Täter gehabt haben soll, sei auf eine Polizeiwache gebracht worden, teilte die Düsseldorfer Polizei mit. Es handele sich nach aktuellem Stand um einen Zeugen.
Am frühen Samstagmorgen war ein 15 Jahre alter Jugendlicher festgenommen worden. Als möglicher Vorwurf gegen ihn steht die Nichtanzeige geplanter Straftaten im Raum.
Deutschlandweit löste die Tat in Solingen große Betroffenheit aus. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem «furchtbaren Verbrechen». «Wir dürfen so etwas in unserer Gesellschaft nicht akzeptieren und uns niemals damit abfinden. Mit der ganzen Härte des Gesetzes muss hier vorgegangen werden», sagte der SPD-Politiker.
Am Montag wird der Kanzler in Solingen erwartet. Gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) will er der Opfer der Attacke gedenken.