Plädoyer

Syrien blutet

UN-Beobachter in Syrien: Die Vereinten Nationen prüfen inzwischen »Optionen für die Zukunft«. Foto: dpa

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière ist einen Kick zu keck und trotz seiner besonnenen Befürwortung von U-Booten für Israel nur scheinbar weise, wenn er verkündet: »Es ist schwer erträglich, dass irgendwelche Kaffeehausintellektuellen den Einsatz von Soldaten in Syrien fordern.« Ich bekenne: Wenngleich selten im Kaffeehaus, zähle ich seit Monaten zu den wohl wenigen »Intellektuellen«, die einen Einsatz in Syrien aus humanitären und analytischen Gründen befürworten.

Juden ist das Muster bekannt: Opfer bluten, und die »zivilisierte« Welt schaut zu. Den Freiheitskämpfern in Libyen wurde geholfen. Warum nicht den syrischen? Auch ohne die UNO sowie Russland und China ist es, weil ein Gebot der Menschlichkeit, legitim, den Krieg Assads gegen sein eigenes Volk zu beenden. Russland fürchtet um seine syrische Marinebasis Tartus. Doch dafür wird es keinen Krieg riskieren.

Die UNO? Ist sie als Addition zumeist undemokratischer Staaten eine Moral-Institution? Wird der Iran noch direkter in Syrien ein- und gar Israel angreifen? Und kommt es zur in Israel befürchteten Massenflucht von Syrern, die vor »ihrem« mörderischen Diktator (ausgerechnet? höchst aufschlussreich) auf die israelisch beherrschten Golanhöhen fliehen? Teheran kündigte an: Wenn Syrien von außen angegriffen würde, werde man Israel mit Raketen bombardieren.

Das wäre Irans Selbstmord. Ein auf die syrische Front konzentrierter und Israel mit Raketen bombardierender Iran böte seinen potenziell aufständischen Minderheiten (Kurden, Arabern, Azeris, Belutschen) die goldene Gelegenheit zur Loslösung und Israel die Chance, die Nuklearanlagen Teherans zu bombardieren.

Bundesregierung Was tun? Die Bundeswehr ist überstrapaziert und unterfinanziert. In Afghanistan ist sie damit beschäftigt, sich selbst zu schützen. Indem sie gemeinsam mit anderen demokratischen Staaten den Assad-Gegnern zumindest Waffen und Berater schickt, könnte sie die ersten Schritte einer humanitären Intervention proben – ohne Krieg zu führen. Diese Hilfe ist für die Bundesregierung eine Frage der Glaubwürdigkeit, denn humanitäre Interventionen, Kriegsbeendigung und Kriegsverhinderung zählen zu den künftigen Kernaufgaben der Bundeswehr.

Jene Waffenlieferungen und das Einschleusen militärischer Berater lassen sich am besten aus und mit dem NATO-Mitglied Türkei von dortigen NATO-Basen arrangieren. Die Türkei strebt in die EU, deren Seinsgrund Menschenrechte und Frieden sind. Beides mahnt Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gerne an. Er muss sich bewähren, um die EU-Kandidatur zu bewahren und Hilfe gegen die PKK-Kurden zu behalten. Eine kleine NATO-Truppe mit arabischen Kontingenten, am sinnvollsten unter türkischer Führung, soll eine Schutzzone im Nordwesten Syriens errichten.

Sie müsste ihren Namen, anders als 1995 in UNO-Schutzzonen wie Srebrenica, faktisch rechtfertigen und nicht als Etikett für Mordzonen dienen. Sanitäter sollten dabei sein, auch vom Roten Halbmond oder dem Roten Kreuz, das für vergleichbare Aufgaben im 19. Jahrhundert erfunden wurde. Es ist logisch und moralisch inkonsequent, den Anti-Diktatur-Kämpfern in Libyen zu helfen, aber den syrischen nicht. Es gäbe dennoch für das tatenlose Weinen der Welt einen (ge)wichtigen Grund.

Nüchterne Beobachter betrachten die aufrichtigen Freiheitskämpfer der arabischen Revolutionen des Jahres 2011 inzwischen wegen der Entwicklungen in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Marokko nicht unzutreffend als unfreiwillige Wegbereiter islamistischer Kräfte. Wir hören zudem, dass die syrischen Aufständischen meist die Größe Allahs preisen, nicht aber nach Demokratie rufen.

Aufstand Das ist wenig ermutigend – für den Westen ebenso wie für den Iran sowie Russland und China, die den sunnitischen Islam aus innenpolitischen Gründen fürchten. Im islamischen Süden Russlands, im islamischen Nordwesten Chinas brodelt es, und der Iran verlöre seine schiitisch-alawitischen Partner in Syrien. Ein erfolgreicher Aufstand syrischer Sunniten könnte die sunnitischen Kurden und Belutschen Irans anspornen und den Iran als Staat sprengen. Siehe oben.

Die Alternative zwischen Assad und seiner mehrheitlich sunnitischen Opposition gleicht, so gesehen, der Wahl zwischen Pest und Cholera. Das ist die eine, richtige Seite. Entscheidend sind aber folgende Gegenargumente: Das Recht auf Leben hat jeder Mensch, auch Islamisten. Wer zudem heute der Assad-Opposition hilft, bringt manche möglicherweise vom islamistischen Weg ab, öffnet sie mental der Demokratie und findet ihr Ohr, wenn sie an der Macht ist.

Wer das ablehnt, wird morgen so einflusslos wie heute gegenüber Assad sein und auch nicht mehr über Menschlichkeit sprechen. Wohlmeinende Worte ohne entsprechende Taten sind Phrasen. Eine solche verkündet gegenwärtig das katholische Hilfswerk Misereor: »Mut ist, Waffen mit Worten zu bekämpfen.« Was wohl die Opfer Assad’scher Waffen dazu sagen?

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