NS-Prozess

Suche nach Gerechtigkeit

Eingang zur Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen Foto: imago images/Jürgen Ritter

Wegen NS-Verbrechen muss sich ein 100-jähriger früherer SS-Wachmann seit Donnerstag in Brandenburg an der Havel vor Gericht verantworten.

Als Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen habe er während seiner Dienstzeit zwischen Januar 1942 und Februar 1945 »wissentlich und willentlich« dazu beigetragen, dass andere in dem Lager grausame und heimtückische Morde begehen konnten, sagte Oberstaatsanwalt Cyrill Klement bei der Verlesung der Anklageschrift am Donnerstag. Insgesamt wird dem Angeklagten Josef S. Beihilfe zu mindestens 3.518 Morden vorgeworfen. (AZ: 11 Ks 326 4/21)

verfahren In dem Verfahren geht es unter anderem um die Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener, die Ermordung von Häftlingen durch den Einsatz von Giftgas und allgemein um die Tötung von Häftlingen durch die Schaffung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen.

Die Häftlinge seien unter anderem in der extra errichteten Genickschussanlage des Konzentrationslagers erschossen oder qualvoll durch das Giftgas Zyklon B erstickt worden, sagte Klement. Andere Gefangene seien allgemein lebensfeindlichen Bedingungen ausgesetzt worden, an denen sie sterben mussten.

Josef S., der in Sachsenhausen in sechs verschiedenen SS-Kompanien im Einsatz gewesen und zum Jahresbeginn 1944 zum SS-Rottenführer befördert worden sei, habe zu diesen Morden Beihilfe geleistet, betonte Klement. Zum Prozessauftakt erschien in dunklem Anzug und Rollstuhl auch ein Mann, der die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Sachsenhausen überlebt hat, der ebenfalls 100-jährige Leon Schwarzbaum. Er hoffe, »dass der letzte Schuldige auch verurteilt wird«, sagte Schwarzbaum kurz vor Prozessbeginn: »Hoffentlich spricht er auch aus, was er getan hat.«

»Hoffentlich spricht er auch aus, was er getan hat.«

Auschwitz-Überlebender Leon Schwarzbaum

Der Angeklagte, der wenige Wochen vor seinem 101. Geburtstag mit Rollator und im Strickpulli in den Verhandlungssaal kam und das Verlesen der Anklage per Kopfhörer verfolgte, werde sich zu den Vorwürfen nicht in der Sache äußern, sagte später sein Anwalt Stefan Waterkamp.

nebenkläger An dem Verfahren in Brandenburg an der Havel sind nach Angaben des Landgerichts Neuruppin auch Überlebende des KZs Sachsenhausen und Nachkommen ehemaliger Häftlinge als Nebenkläger beteiligt, unter anderem aus Israel, Peru, Polen, den Niederlanden und Frankreich.

Sie erhoffen sich Aussagen des Angeklagten. Rechtsanwalt Thomas Walther, der elf Nebenkläger vertritt, sagte am Mittwoch in Brandenburg an der Havel, er hoffe, dass sich der 100-Jährige für die »Botschaft der Gerechtigkeit« öffne, und fügte hinzu: »Wir wollen ein Urteil erreichen, ein gerechtes Urteil.«

Das Schweigen von Tätern werde von den Nebenklägern als »Verachtung und fortgesetzte Demütigung« wahrgenommen, betonte Christoph Heubner, geschäftsführender Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, vor Prozessbeginn. Das Verfahren diene der Suche nach der Wahrheit und könnte Überlebenden, ihren Angehörigen und auch dem Angeklagten einen gewissen Frieden bringen, sagte Walther.

nebenkläger Kurz vor Beginn des Prozesses sei es »sehr, sehr wichtig«, den Blick auf Nebenkläger und Opfer zu lenken, bevor ab Donnerstag der Angeklagte im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehe, sagte Heubner. Zu den Nebenklägern gehören der 79-jährige Antoine Grumbach aus Frankreich und der 84-jährige Christoffel Heijer aus den Niederlanden, deren Väter Widerstandskämpfer waren und in Sachsenhausen ermordet wurden.

Beide Männer hätten als Folge der NS-Verbrechen vaterlos aufwachsen müssen, sagte Walther, der Grumbach und Heijer in dem Prozess vertritt. An dem Verfahren seien insgesamt fünf Anwälte beteiligt, die Nebenkläger aus verschiedenen Ländern vertreten. Unter den Nebenklägern seien auch sieben Überlebende.

Heijer sagte, sein Vater, ein Sozialdemokrat, sei ein Idealist und für ihn ein Held gewesen. Nach der Verhaftung in Holland sei er zunächst unter anderem in einem Gestapo-Gefängnis festgehalten worden, wo Mutter und Sohn ihn einige Male hätten besuchen können. In der Nacht zum 1. Mai 1942 sei er nach Sachsenhausen deportiert worden. Die Mutter habe noch einen Brief vom Vater erhalten und danach graue Haare, bekommen, sagte Heijer. Der Großvater sei kurz darauf gestorben.

widerstandskämpfer Grumbach erzählte, sein Vater sei im Maghreb als französischer Widerstandskämpfer gegen die Nazis aktiv gewesen, dort von der Polizei des französischen Vichy-Regimes verhaftet worden, in Tunis vor ein Militärgericht gekommen und dann mit anderen Widerstandskämpfern per Flugzeug nach Berlin gebracht worden. Im April 1943 kam er ins KZ Sachsenhausen, einige Monate später war er tot. »Ich erwarte, dass er sich schuldig erklärt«, sagte Grumbach über den Angeklagten. Er hoffe auf eine Verurteilung.

Die Täter seien nach dem Krieg in übergroßer Zahl »in die Mitte der Gesellschaft verschwunden«, sagte Heubner. Aktuelle Verfahren seien auch Ausdruck davon, dass die Justiz NS-Prozesse über Jahrzehnte vernachlässigt habe. Sie seien nun auch »als Dokumente eines demokratischen Rechtsstaats von einer eminenten Bedeutung«.

Nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hat sich nur ein kleiner Bruchteil der Täter vor Gericht verantworten müssen. Bis 2005 seien in der Bundesrepublik insgesamt 257 Strafverfahren gegen 340 Tatverdächtige des KZs Sachsenhausen geführt worden, hieß es dort. Auch vor sowjetischen Militärtribunalen und in der DDR fanden seinerzeit einige Prozesse statt. Dem stehen nach Aussage von Stiftungsdirektor Axel Drecoll Tausende SS-Männer gegenüber, die von 1936 bis 1945 im KZ Sachsenhausen tätig waren. epd

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