Diplomatie

Stunde der Realpolitik

Möchte zwischen Israel und den Palästinensern vermitteln: US-Präsident Joe Biden Foto: IMAGO/MediaPunch

Der amerikanische Präsident Joe Biden ist auf seiner ersten Reise nach Israel seit seinem Amtsantritt. Die Erwartungen an seinen Besuch sind groß, und Biden kommt in eine Region, in der sich in den vergangenen Jahren viel verändert hat. Israel unterhält mittlerweile offizielle Beziehungen zu arabischen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Marokko und dem Sudan. Zudem intensiviert der jüdische Staat seit geraumer Zeit seine inoffiziellen Beziehungen in die arabische Welt – zuvorderst nach Saudi-Arabien.

Deshalb liegt nicht allein Bidens Reise nach Israel im Zentrum des Interesses, sondern auch dessen (direkter) Weiterflug nach Saudi-Arabien. Bevor Joe Biden sein Amt antrat, hatte er in Richtung des wahabitischen Königreichs noch Klartext geredet. Saudi-Arabien, das sei ein »Paria-Staat«, so Biden, und Kronprinz Mohammed bin Salman werde für den Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Kha­shoggi bezahlen müssen.

VEREINBARUNGEN Nun, anderthalb Jahre später, war von derlei Tönen im Vorfeld der Reise nichts mehr zu hören. Der Realpolitiker Biden hat erkannt, wie sehr sich die Lage in Nahost verändert hat. Die »Jerusalem Post« berichtet, der US-Präsident wolle in Israel verkünden, dass die Israelis sich mit den Saudis auf neue Sicherheitsvereinbarungen in der Straße von Tiran im Roten Meer verständigt hätten.

Diese würden Saudi-Arabien gestatten, wieder die komplette Hoheit über die umstrittenen Inseln Tiran und Sanafir zu erlangen, die zwischen 1950 und 2017 von Ägypten verwaltet wurden.

Da die Inseln aber strategisch so liegen, dass man den Zugang zur israelischen Hafenstadt Eilat damit blockieren könnte, wie Ägypten es im Vorfeld des Sechstagekrieges getan hatte, ist nach dem israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979 eine Zustimmung Israels zur formellen Übergabe der Inseln an Saudi-Arabien erforderlich.

FLUGVERBINDUNGEN Ebendiese Zustimmung, so die Jerusalem Post, werde Biden nun auf seinem Besuch mitteilen. Im Gegenzug werde das Königreich den Israelis die Überflugrechte über saudisches Territorium gewähren und überdies direkte Flugverbindungen zwischen beiden Ländern etablieren – unter anderem für muslimische Pilger aus Israel, die nach Mekka wollen.

Israelfeindliche Positionen sind bei den US-Demokraten eine kleine Minderheit.

Auch diese Einigung ist das Ergebnis langwieriger Geheimverhandlungen, die Israel mit Saudi-Arabien führt. Strategisches Ziel ist die Fokussierung auf den gemeinsamen Feind Iran und dessen Isolierung in der arabischen Welt – ein Thema, das die für viele US-Demokraten wichtige Symbolpolitik in Sachen Palästina zur Bedeutungslosigkeit hat schrumpfen lassen.

bds-bewegung Zwar gibt es noch verbalradikale anti-israelische Stimmen wie die der Kongressabgeordneten Rashida Tlaib aus Michigan, und speziell die studentische Parteijugend sympathisiert noch mit der BDS-Bewegung und anderen antisemitischen Organisationen – aber entgegen manchen vor den US-Wahlen geäußerten Befürchtungen sind israelfeindliche Positionen bei den Demokraten eine kleine, wenn auch lautstarke Minderheit.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind Donald Trumps vorgeblich pro-israelische Symbolhandlungen mittlerweile ebenso verpufft.

Etliche Republikaner haben erkannt, dass die lautstarke Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem in Wahrheit ein innenpolitischer Akt der Trump-Regierung war, um die radikalen weißen Evangelikalen, entscheidender Kern seiner Wählerschaft, politisch weiter zu binden. Deren verklärte Beziehung zum »Heiligen Land« als Wiege der Christenheit war für den Machtmenschen Trump politisches Kapital.

BEFÜRCHTUNGEN Doch seitdem hat sich eine Menge getan in Nahost. Und weder sind die Befürchtungen eingetreten, eine Biden-Administration könne trotz des großen Anteils an jüdischen Kabinettsmitgliedern zu israelkritisch sein, noch hat sich im islamischen Raum die Befürchtung des türkischen Journalisten und langjährigen Mitarbeiters der »Voice of America«, Hakki Öcal, durchgesetzt, der nach Amtsantritt Bidens auf Twitter beklagte, mehr als 50 Prozent des amerikanischen Kabinetts seien jüdisch. Auch schrieb er: »Das Kommende lässt einen immer das Vergangene vermissen« – womit die angeblich so israeltreue Trump-Administration gemeint war.

Es ist, entgegen all diesen kolportierten Aufgeregtheiten, die Stunde der Realpolitik, der Schulterschluss der Pragmatiker in den arabischen Ländern mit Israel, den Joe Biden mit seinem Besuch stärken und ausbauen will. Natürlich gehört bei einem Besuch eines US-Präsidenten in Israel auch Symbolpolitik dazu. Und so trifft er sich wohl auch mit Mahmud Abbas in Bethlehem – das zumindest ging aus einem Telefonat des neuen israelischen Ministerpräsidenten Yair Lapid mit dem Palästinenserpräsidenten am 8. Juli hervor. Es war übrigens das erste Telefongespräch seit fünf Jahren zwischen einem israelischen Premierminister und Abbas – auch das ist ein Zeichen von Realpolitik.

Würdigung

Argentiniens Präsident Milei erhält »jüdischen Nobelpreis«

Der ultraliberale Staatschef gilt als enger Verbündeter Israels und hat großes Interesse am Judentum. Das Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar will er für den Kampf gegen Antisemitismus spenden

von Denis Düttmann  14.01.2025

Berlin

Vereinigung fordert Ausschluss der AfD bei Holocaust-Gedenken

Die demokratische Einladungspraxis, alle im Parlament vertretenen Parteien einzubeziehen, sei für die NS-Opfer und ihre Nachkommen und für viele demokratische Bürger nicht mehr tragbar

 14.01.2025

New York

46 Prozent aller Erwachsenen auf der Welt haben antisemitische Ansichten

Die Anti-Defamation League hat 58.000 Menschen in 103 Ländern befragt

 14.01.2025

NRW

NRW-Leitlinien für zeitgemäßes Bild des Judentums in der Schule

Mit Büchern gegen Antisemitismus: NRW-Bildungsministerin Feller hat zwölf Leitlinien für die Darstellung des Judentums in der Schule vorgestellt. Denn Bildungsmedien seien ein Schlüssel zur Vermittlung von Werten

von Raphael Schlimbach  14.01.2025

Faktencheck

Hitler war kein Kommunist

AfD-Chefin Weidel bezeichnet den nationalsozialistischen Diktator als »Kommunisten«. Diese These wird von wissenschaftlicher Seite abgelehnt

 14.01.2025

Berlin

Wegen Gaza-Krieg: Syrer beschädigt erneut Gebäude im Regierungsviertel

Erst das Innenministerium, dann der Amtssitz des Bundeskanzlers: Zweimal binnen weniger Tage fasst die Polizei in Berlin einen Mann, der wegen des Gaza-Kriegs wütet

 14.01.2025

Studie

Frauen und jüdischer Widerstand bei Schulnamen unterrepräsentiert

Welche Persönlichkeiten prägen die Namen deutscher Schulen? Eine Studie zeigt: Pädagogen spielen eine große Rolle. Frauen und Juden eher weniger

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

7. Oktober

Einigung auf Geisel-Deal zum Greifen nahe 

Ein Drei-Stufen-Plan sieht Medien zufolge die Freilassung von Geiseln sowie palästinensischen Häftlingen vor. Das Weiße Haus gibt sich optimistisch, dass bald ein Deal stehen könnte

von Julia Naue  13.01.2025 Aktualisiert