Einer Studie zufolge wird Antisemitismus in Deutschland derzeit lauter, aggressiver und selbstbewusster. »Wie so oft in Krisenzeiten tritt die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden derzeit wieder unverhohlener und radikaler auf«, heißt es in der am Dienstag in Frankfurt von der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Analyse. »Antisemitismus war nach dem Holocaust nie weg und wird immer wieder neu gelernt«, erklärte der Autor des Papiers »Antisemitismus. Alte Gefahr mit neuen Gesichtern«, Michael Kraske.
Zugleich werde Judenhass teilweise ignoriert, verharmlost und nicht konsequent bekämpft. Kraske verwies unter anderem auf einen »drastischen Anstieg antisemitischer Straftaten«. Der Journalist hat den Angaben zufolge nicht nur Studien, Quellen und Dokumente ausgewertet, sondern auch Experten und Betroffene interviewt. Demnach beeinträchtigt eine zunehmend offen ausgelebte Judenfeindschaft den Alltag von Betroffenen massiv, während es vielen nichtjüdischen Menschen schwerfalle, das Problem überhaupt zu erkennen.
Dunkelfeld »Antisemitismus kommt in allen gesellschaftlichen Bereichen vor, vom Klassen- und Lehrerzimmer über Polizei und Justiz bis zur eigenen Nachbarschaft«, so der Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, Jupp Legrand. Ein Kleinreden antisemitischer Äußerungen oder Handlungen von Sicherheitsbehörden trage dazu bei, dass viele Betroffene Übergriffe überhaupt nicht meldeten. »Viel spricht für ein großes Dunkelfeld, das offizielle Fallzahlen weit übersteigt«, so Kraske.
Judenfeindlichkeit sei ein Demokratieproblem. Kraske kritisierte, die Erinnerungskultur in Deutschland werde allzu oft als einzige Form der Auseinandersetzung mit dem Thema missverstanden. Das berge die Gefahr, Judenhass als historisches Phänomen abzutun. Schulen und Weiterbildungsstätten müssten dem Thema einen festen Platz einräumen. Kraskes Fazit: »Wir stehen immer noch - oder wieder - erst ganz am Anfang.« kna