Vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestags wurden am Dienstagmittag neue Stolpersteine verlegt. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Reichstagsgebäude erinnern sie an zehn ehemalige jüdische Bewohner des Hauses am Schiffbauerdamm 29. Diese waren im Februar 1941 aus dem damaligen Mietshaus vertrieben worden.
Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen haben die Stolpersteine durch Patenschaften finanziert, darunter Philipp Lengsfeld und Michael Kretzschmer (CDU/CSU), Thomas Oppermann und Eva Högl (SPD) Petra Pau (Die Linke) und Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen).
verantwortung Mit einem Zitat des Schriftstellers Thomas Mann erinnerte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in seiner Ansprache daran, dass »der Name ein Stück des Seins und der Seele« sei. Darin liege für ihn der eigentliche Sinn der Stolperstein-Initiative – »an Menschen zu erinnern, die es nicht mehr gibt, weil sie Opfer eines brutalen Terrorregimes geworden sind.«
Lammert hob dabei die Bedeutung des Ortes und des Tages der Stolpersteinverlegung hervor: Auf den Tag genau vor 131 Jahren hatte Kaiser Wilhelm 1884 den Grundstein für das Reichstagsgebäude legen lassen. Für den Bundestagspräsidenten ist die Prominenz des Ortes verpflichtend. Umso erfreulicher sei die fraktionsübergreifende Patenschaft der Bundestagsabgeordneten für die zehn Stolpersteine.
»Die Menschen haben einen Anspruch darauf, erinnert zu werden. Wir tragen die Verantwortung dafür, die Erinnerung an sie wachzuhalten«, begründete Lammert das Engagement der Parlamentarier. Das Haus am Schiffbauerdamm 29 musste 1941 den Plänen des Architekten Albert Speer weichen. Hitlers Generalbauinspektor plante eine »Reichshauptstadt Germania«. Etwa hundert jüdische Bewohner verloren dadurch ihr Zuhause, einige wurden von anderen Familien in Berlin aufgenommen.
Die Räumung des Hauses löste einen weitverzweigten Verdrängungsprozess aus, der etwa hundert Menschen wohnungslos machte und bald ebenso viele Berliner Juden in ihren Wohnungen zusammenrücken ließ, um die Wohnungslosen aufzunehmen. Dieser Prozess war der Auftakt zur später einsetzenden Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Berlins.
namen Obwohl er mittlerweile rund 53.000 Stolpersteine in mehr als 1300 Städten in 18 Ländern verlegt hat, war die Stolpersteinverlegung am Schiffbauer Damm für Gunther Demnig »keine Routine«. Schon gegen Mittag hatte der Kölner Künstler damit begonnen, die schwere Granitplatte aus dem Boden zu stemmen, um Platz für die zehn goldschimmernden Messingplaketten zu schaffen, darunter mit den Namen von Willy und Rosalie Hirsch, Ella Horowitz und Max Tichauer.
»Jeder einzelne Stein erzählt von einem anderen Menschen und seinem Schicksal«, sagte der Künstler in seiner spontanen Ansprache. Am bewegendsten seien für ihn seit Beginn der Initiative vor allem zwei Erfahrungen – die Begegnungen mit Schülern und die mit Angehörigen.
Gerade durch die Stolpersteine werde die Auseinandersetzung mit den Einzelschicksalen jüdischer Familien, mit deren Demütigung und Entrechtung greifbar. Christine Fischer-Defoy, Vorsitzende des Vereins Aktives Museum, würdigte Demnigs Stolperstein-Initiative als »kleinstes, aber weltweit größtes Denkmal« für die Opfer des NS-Regimes.