Waffenexporte

Stilles Embargo

Produktionshalle von Rheinmetall in Unterlüß: Auch Israel hätte gern Panzermunition des deutschen Herstellers. Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten

Israel Katz äußerte sich kryptisch. Und doch verstand im politischen Berlin jeder, was der israelische Außenminister meinte. »Man kann die Kraft des humanitären Völkerrechts nicht einfach gegen uns verwenden«, schrieb er unlängst in einem Gastbeitrag für die »Welt«. »Wir, die wir unserem großen Feind täglich humanitäre Hilfe leisten, die von der Hamas missbraucht wird, sind zynischer und falscher Kritik ausgesetzt – eine bequeme Ausrede, Israel nicht zu unterstützen.«

Vordergründig ging es Katz um das deutsche Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen. Berlin hatte sich beim Votum über eine gegen Israel gerichtete Resolution der UN-Vollversammlung enthalten. Unausgesprochen blieb jedoch der wohl wichtigere Grund für die Verstimmung der Regierung in Jerusalem: ein De-facto-Embargo für die Lieferung deutscher Waffen an Israel.

Wurden unmittelbar nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 mehrere israelische Anträge auf Lieferung von Kriegswaffen vom Bundessicherheitsrat genehmigt, ging das Volumen der Ausfuhren bereits ab November stark zurück. In den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden von Deutschland aus lediglich Kriegswaffen im Wert von 32.000 Euro an Israel geliefert. Die »sonstigen Rüstungsgüter« – worunter etwa Schutzausrüstung, Kommunikationsgeräte und unbewaffnete Fahrzeuge fallen – umfassten im gleichen Zeitraum 14,4 Millionen Euro.

Die Grünen sehen Waffenexporte besonders kritisch

Von einem Waffenembargo gegen Israel will die Bundesregierung trotzdem nicht sprechen und dementierte mehrfach entsprechende Berichte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck versuchte sich bei einer Veranstaltung in Osnabrück vergangene Woche an der Erläuterung des Sachverhalts. Systeme deutscher Unternehmen, die zur Verteidigung Israels notwendig seien, würden nach wie vor zur Ausfuhr genehmigt, sagte Habeck. Anders sei das aber bei Waffengattungen, bei denen zumindest die Möglichkeit bestehe, dass sie von Israel im Gazastreifen eingesetzt werden – und das, so die Sorge der Bundesregierung, möglicherweise unter Verletzung des Völkerrechts.

Mehrere Insider sagten dieser Zeitung, dass nicht nur das Wirtschaftsministerium, sondern auch das von Annalena Baer­bock (Grüne) geführte Auswärtige Amt in puncto Waffenlieferungen an Israel auf der Bremse steht. Groß ist dort offenbar die Sorge vor einem Reputationsschaden Deutschlands. »Auf keinen Fall«, machte Baerbock im Podcast »Lage der Nation« klar, könne Deutschland etwas unterstützen, was dem humanitären Völkerrecht widerspreche. Es habe »keine Waffen­exporte nach dem 7. Oktober gegeben, die in Gaza eingesetzt werden können und die dort Völkerrechtsbruch begehen«, betonte sie.

Selbst die Unionsparteien kritisieren die abwartende Haltung der Bundesregierung nicht.

Es ist wohl kein Zufall, dass die größten Bedenken aus Ministerien kommen, die von Grünen-Politikern geführt werden. Innerhalb der Ampel-Parteien zählen nach Recherchen der Jüdischen Allgemeinen mehrere grüne Abgeordnete zu den besonders engagierten Gegnern deutscher Waffenlieferungen an Israel. Doch auch bei SPD und FDP gibt es keinen nennenswerten Widerstand gegen die abwartende Haltung der Bundesregierung. Diejenigen, die in der Regierungskoalition eine abweichende Meinung vertreten, sehen derzeit wenig Chancen, sich durchzusetzen.

Selbst die größte Oppositionsfraktion hält still. Und das, obwohl CDU und CSU durchaus die Möglichkeit hätten, der Regierung Widersprüchlichkeit in ihrer Solidarität mit Israel vorzuwerfen. Unionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz ließ eine Anfrage dieser Zeitung unbeantwortet.

Eine Niederlage vor Gericht will Berlin nicht riskieren

In der Berliner Politik ist offenbar die Angst weit verbreitet, vor Gericht wegen der Lieferung deutscher Waffen belangt zu werden, die dann im Gazastreifen eingesetzt werden. Sowohl vor deutschen Verwaltungsgerichten als auch vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag laufen diesbezüglich Verfahren gegen Deutschland.

Bislang sind sie aber ohne negative Konsequenzen für die Bundesregierung geblieben. So lehnte das Verwaltungsgericht Frankfurt eine Beschwerde von fünf Palästinensern gegen die Bundesregierung ab. Bereits im April hatte der IGH einen Antrag Nicaraguas auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der Deutschland die weitere Ausfuhr von Rüstungsgütern an Israel untersagt werden sollte, abgewiesen. Dem Weltgericht leuchtete offenbar die deutsche Argumentation ein, es gebe sehr strenge Regeln für Rüstungsexporte, jeder Antrag werde einer rigorosen Einzelfallprüfung unterzogen. Die Position des Auswärtigen Amtes vor dem IGH war klar: Man habe Israel weder Artilleriegeschosse noch Munition geliefert, sondern fast nur Defensivwaffen und Ausrüstung.

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Die Bundesregierung dürfte die bisherigen Gerichtsbeschlüsse als Beweis für die Richtigkeit ihrer Vorsicht bei Waffenlieferungen an Israel werten. Einen Misserfolg vor Gericht will man lieber nicht riskieren.
Das für Rüstungsexporte federführende Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) verwies in seiner Antwort auf die Anfrage dieser Zeitung darauf, dass man stets auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts achte und auch die aktuelle Situation vor Ort berücksichtige. »Dazu gehören sowohl die Angriffe auf Israel durch Hamas und Hisbollah als auch der Verlauf des Einsatzes in Gaza«, so Ministeriumssprecherin Raphaela Queck.

Es ist offenkundig, dass die Bundesregierung angesichts der derzeitigen Lage in Nahost keine Kriegswaffen liefern will. Doch nicht nur in Israel fragen sich viele, wie sich dieses Lavieren mit dem gebetsmühlenartig vorgetragenen Bekenntnis verträgt, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson.

Mehrere israelische Anträge liegen auf Eis

Von israelischer Seite besteht nämlich durchaus Bedarf an deutscher Waffentechnik. So hätte Jerusalem für seine Streitkräfte gern 10.000 Schuss Panzermunition aus der Produktion des Unternehmens Rheinmetall. Bereits Mitte Januar hatte »Der Spiegel« von einer »grundsätzlichen Einigung« innerhalb der Bundesregierung berichtet, dass die Munition geliefert werden solle. Doch das war, bevor Nicaragua beim IGH seine Klage einreichte, in der Deutschland Beihilfe zu einem angeblichen Völkermord vorgeworfen wird.

Gut informierten Kreisen zufolge liegen mehrere israelische Anträge seit vielen Monaten auf Eis. »Wir können nicht länger warten«, sagte eine israelische Quelle dieser Zeitung. Nachfragen, wann im Bundessicherheitsrat darüber entschieden werde, wollte auch das BMWK nicht beantworten. Die Sitzungen des Gremiums sind geheim. Auch über die Gründe für das Schneckentempo gibt man sich in Berlin wortkarg. Nur in einem Punkt gab es eine klare Aussage: »Es gibt keinen Genehmigungsstopp für Rüstungsexporte nach Israel, und es wird auch keinen Stopp geben«, erklärte Sprecherin Queck.

Beim Thema Waffenexporte reden beide Seiten lieber um den heißen Brei herum.

Auch der Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marcus Faber, bestritt ein Waffenembargo gegen Israel. Der FDP-Politiker hofft weiter auf eine Übereinkunft zwischen Berlin und Jerusalem in der Frage der Lieferung von Kriegswaffen. »Beide Regierungen sollten sich darüber verständigen, wo und wie diese Waffen eingesetzt werden, nämlich zur Verteidigung der Sicherheit Israels«, sagte er dieser Zeitung. Die Gespräche, so Faber, kämen derzeit jedoch kaum voran.

Offenkundig wollen sich die Israelis von der Bundesregierung nicht vorschreiben lassen, wie sie deutsche Waffen zu verwenden haben. Dass Jerusalem etwa das Zugeständnis macht, diese nicht im Gazastreifen einzusetzen, erscheint aktuell unwahrscheinlich. Und so sind sich Deutschland und Israel zumindest in einer Sache derzeit doch einig: Beim Thema Waffenexporte reden beide lieber um den heißen Brei herum – oder schweigen gleich ganz. Auch Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, wollte sich gegenüber dieser Zeitung nicht zu der Angelegenheit äußern.

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