Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat die Angehörigen der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 im Namen der Bundesrepublik Deutschland um Vergebung gebeten. Am 50. Jahrestag des Angriffs palästinensischer Terroristen auf die israelische Olympia-Mannschaft entschuldigte sich das deutsche Staatsoberhaupt für das damalige Scheitern der Polizei und den lange unwürdigen Umgang mit den Hinterbliebenen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) baten im Namen der Bundesregierung und des Freistaats um Verzeihung.
»Ich bitte Sie als Staatsoberhaupt dieses Landes und im Namen der Bundesrepublik Deutschland um Vergebung für den mangelnden Schutz der israelischen Athleten damals bei den Olympischen Spielen in München und für die mangelnde Aufklärung danach; dafür, dass geschehen konnte, was geschehen ist«, sagte Steinmeier am Montag bei einer Gedenkveranstaltung in Fürstenfeldbruck. Er sprach gleich mehrfach von einem »Versagen«. Israels Staatspräsident Isaac Herzog dankte Steinmeier und lobte dessen Rede als »mutig« und »historisch«.
GEISELNAHME Elf Mitglieder des israelischen Olympiateams und ein deutscher Polizist waren bei dem Attentat ums Leben gekommen, mit dem palästinensische Terroristen mehr als 200 Gefangene in Israel und die RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof freipressen wollten. Die Attentäter waren am frühen Morgen des 5. September 1972 in die Unterkunft der Sportler im Olympischen Dorf in München eingedrungen, erschossen zwei Männer und nahmen neun Geiseln. Rund 18 Stunden später endete ein Befreiungsversuch auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck mit einem Blutbad. Alle neun israelischen Geiseln, der Polizist Anton Fliegerbauer und fünf Attentäter starben.
»Wir wollten gute Gastgeber sein, aber wir sind dem Vertrauen, das die israelischen Athleten und ihre Familien in Deutschland gesetzt haben, nicht gerecht geworden«, sagte Steinmeier. »Sie waren nicht sicher. Sie waren nicht geschützt. Sie wurden in unserem Land von Terroristen gequält und getötet. Wir waren nicht vorbereitet auf einen solchen Anschlag und hätten es doch sein müssen – auch das gehört zur bitteren Wahrheit.« Der Bundespräsident sprach von einer katastrophal gescheiterten Befreiungsaktion. Die Geschichte des Olympia-Attentats sei »auch eine Geschichte von Fehleinschätzungen und von furchtbaren, von tödlichen Fehlern, ja, eines Versagens«.
VERSAGEN Es sei »ein dreifaches Versagen«, sagte Steinmeier. Das erste betreffe die Vorbereitung der Spiele und das Sicherheitskonzept. Das zweite umfasse die Ereignisse am 5. und 6. September 1972. Das dritte Versagen anschließend »das Schweigen, das Verdrängen, das Vergessen«. »Dem Anschlag folgten Jahre und Jahrzehnte des Schweigens und Verdrängens.« Bis heute seien viele Fragen offen. Es sei gut, dass nun eine israelisch-deutsche Historikerkommission eingesetzt werden solle, um mehr Licht in dieses dunkle Kapitel zu bringen.
Faeser griff Steinmeiers Worte vom »Versagen« auf und sagte, sie wolle sich im Namen der Bundesregierung dafür entschuldigen. Söder sagte unter anderem mit Blick auf den damaligen Polizeieinsatz: »Ich entschuldige mich ausdrücklich im Namen des Freistaats Bayern für die Fehler und für die Versäumnisse, die damals gemacht wurden, und ich entschuldige mich auch, dass es so lange gedauert hat, bis man darüber redet und bis man eine Entschädigung gefunden hat.«
Die Hinterbliebenen der israelischen Opfer hatten sich nach jahrzehntelangem Kampf erst vor wenigen Tagen mit der Bundesregierung geeinigt: 28 Millionen Euro stehen nun als Entschädigungssumme für das entstandene Leid fest. Der Bund übernimmt 22,5 Millionen, der Freistaat Bayern 5 Millionen und die Stadt München 500 000 Euro.
Herzog erinnerte daran, dass zur Pein der Familien der Schmerz über die Gleichgültigkeit gekommen sei und das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Zu der Einigung auf die Entschädigung sagte er: »Dies ist ein wichtiger, gerechter, moralischer Schritt.« Ausdrücklich dankte Herzog dabei dem Bundespräsidenten für dessen »große Anstrengungen«.
ANKIE SPITZER Die Witwe des bei dem Attentat getöteten israelischen Fechttrainers André Spitzer, Ankie Spitzer, sagte rückblickend: »Man hätte gedacht, dass das machtvolle Deutschland alles in seiner Kraft tun würde, um nicht erneut jüdisches Blut auf seinem ohnehin schon blutigen Boden zu vergießen.« Spitzer, die in bewegenden Worten an ihren Mann erinnerte, sagte: »Das Loch in meinem Herzen wird niemals heilen.«
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, sagte: »Auch heute verneigen wir uns in ehrendem Gedenken und tiefem Respekt vor den Opfern. Wir fühlen mit den Angehörigen, wir teilen ihre Trauer.« Keine Zeremonie vermöge es, 50 Jahre Trauer, Schmerz, Zweifel und Unsicherheit vergessen zu machen, betonte der IOC-Chef.
Begonnen hatte der Gedenkakt mit einer gemeinsamen Kranzniederlegung, bei der Herzog und Steinmeier schweigend der Opfer gedachten. dpa