Im November 2015, es war die Amtszeit von Joachim Gauck, sollte in der Pücklerstraße 14 in Berlin-Dahlem ein Stolperstein für Hugo Heymann verlegt werden. In der Villa wohnt seit 1999 der jeweils amtierende Bundespräsident. Alles war organisiert, Gäste eingeladen, der Stein von einem Paten bezahlt, dem Historiker Julien Reitzenstein. Doch zu der Verlegung kam es nie.
Stattdessen gibt es Streit um das Gedenken an Hugo Heymann und seine Frau Maria. Mussten sie im Februar 1933 die Villa unter Druck verkaufen? War die Pücklerstraße ihr letzter »frei gewählter Wohnsitz«, wie es die Stolpersteininitiativen für diese Ehrung vorsehen? Oder war dies die Berkaer Straße 31 im Stadtteil Schmargendorf, wo das Ehepaar hinzog? Zur Emigration kam es nicht mehr. Hugo Heymann starb 1938, mutmaßlich an den Folgen von Verletzungen, die ihm die Gestapo zugefügt hatte.
gutachten Nach Informationen der Jüdischen Allgemeinen wusste das Bundespräsidialamt (BPrA) bereits 1999 von der belasteten Vergangenheit des Hauses in der Pücklerstraße. Und im Jahr 2014 wies der Historiker Reitzenstein das Amt auf den Fall Heymann hin. Ein wissenschaftliches Gutachten, warum das Haus verkauft wurde, gab das BPrA aber erst 2016 in Auftrag, und zwar bei dem Historiker Michael Wildt von der Berliner Humboldt-Universität.
Der Bericht liegt mittlerweile vor. Eigentlich müsste der Stolperstein in der Berkaer Straße verlegt werden, heißt es dort, jedoch: »Aus politischen Gründen könnte es aber sinnvoll sein, in diesem besonderen Fall von der Regel abzuweichen.«
Bei der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin ist man zurückhaltend. »Es sind noch offene Fragen«, sagt Sören Schneider, Mitarbeiter der Stelle. »Wir können das derzeit weder befürworten noch uns dagegen aussprechen.«
An den Grundsatz des Projekts, Stolpersteine dort zu verlegen, wo der letzte frei gewählte Wohnort war, erinnert auch das BPrA. Daher habe man ja das Gutachten in Auftrag gegeben, teilt das Amt mit. »Das Bundespräsidialamt hat sich der Stolpersteinverlegung nicht entgegengestellt.«
Verkauf Die Heymanns hatten 1933 ihre Villa an den Verleger Waldemar Gerber verkauft. Dass das freiwillig geschah, bestreitet der Historiker Reitzenstein: »Was soll uns das sagen: ›Es ist ja nicht schlimm, dass die Villa Heymann abgepresst wurde. Der Jude war doch danach auch noch reich‹?« Wer sich solche Argumentation zu eigen mache, sei zynisch.
Auch für Thomas Feist hat diese Argumentation einen Beigeschmack. »Wir reden doch hier nicht über Dinge, sondern über Menschen!«, ärgert sich der Bundestagsabgeordnete. »Es geht hier nicht allein um die Veräußerung einer Immobilie, sondern darum, dass ein verfolgter Mensch sein Leben in Deutschland aufgegeben hat und deshalb das Haus verkauft hat.« Also schrieb der Leipziger CDU-Politiker dem Bundespräsidenten im Juni einen dreiseitigen Brief und wies darauf hin, »dass der Grad von Freiwilligkeit, in dem Juden nach 1933 ihren Besitz veräußert haben, fragwürdig ist«.
Feist kennt solch »freiwillige« Situationen aus seiner Familiengeschichte. Der jüdische Urgroßvater musste 1933 sein Pelzgeschäft verkaufen, »genauso ›freiwillig‹ wie Hugo Heymann«. Für Feist steht fest: »Hugo Heymann und seine Frau verkauften die Villa nicht, weil sie eine kleinere Wohnung in einem anderen Stadtbezirk schöner fanden, sondern um auszureisen, um ihr Leben zu retten.« Daher sei die Pücklerstraße 14 Heymanns letzter frei gewählter Wohnsitz. »Es ist insofern angemessen, daran zu erinnern.«
Die Antwort des BPrA auf sein Schreiben Anfang August irritiert Feist. »Weshalb ist bis heute keine Gedenktafel errichtet? Weshalb wurde die Verlegung der Stolpersteine Ende 2015 abgesagt?«, fragt er. »Weshalb wurde der Historiker, der diese Erkenntnisse diskret übermittelt hatte, außer mit einem Formschreiben nach dem Termin im Jahre 2014 nicht weiter eingebunden?« Feists Fragen blieben unbeantwortet.
Brief »Ich habe an den Bundespräsidenten geschrieben und eine amtliche Antwort vom Amt bekommen«, sagt er lakonisch. Er habe den Eindruck, der Brief habe Steinmeier gar nicht persönlich erreicht. Dabei sei dies eine sensible Angelegenheit. Noch einmal hat Feist an Steinmeier geschrieben. Diesmal hofft er auf eine persönliche Antwort.
Dem »Spiegel« sagte Steinmeier in der vergangenen Woche: »Bevor ich als neuer Bundespräsident die Wohnung in der Dienstvilla nutze, werde ich sicherstellen, dass eine Verständigung über ein angemessenes Gedenken hergestellt ist.«
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, will sich nicht zur Form des Gedenkens – ob Stolperstein oder Gedenktafel – äußern. Nur sei ihm wichtig, dass überhaupt daran erinnert wird, dass die Villa einst einem jüdischen Geschäftsmann gehörte, der in der Folge von Gestapo-Verhören gestorben ist. »Die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten begann damit, Juden systematisch ihre Lebensgrundlage zu entziehen. Das sollte nicht in Vergessenheit geraten«, meint der Zentralratspräsident.