Analyse

»Starke Partei«

Der AfD-Politiker Hannes Loth ist neuer Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt. Foto: picture alliance/dpa

Zweimal innerhalb weniger Tage konnte die Alternative für Deutschland (AfD) einen kommunalpolitischen Wahlsieg einfahren. Nachdem im südthüringischen Sonneberg mit Robert Sesselmann der bundesweit erste AfD-Landrat gewählt wurde, gewann nur eine Woche später in Sachsen-Anhalt der Kandidat der Rechtspopulisten die Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz. Hannes Loth, der auch für die AfD im sachsen-anhaltinischen Landtag sitzt, setzte sich mit 51,13 Prozent der Stimmen gegen den parteilosen Kandidaten Nils Naumann durch.

In Anbetracht dieser Wahlerfolge erklärte der Verfassungsschutzpräsident von Thüringen, Stephan Kramer, dass er Deutschland sofort verlassen würde, käme es zu einer Regierungsbeteiligung der AfD. Seiner Ansicht nach ist »die AfD der parlamentarische Arm einer viel größeren Verschwörung«, die letztlich die Regierung »bezwingen« wolle. Kramers Aussagen stoßen womöglich auch in den jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland auf Zustimmung.

studie Eine aktuelle Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) der Universität Leipzig zu »Autoritären Dynamiken und der Unzufriedenheit mit der Demokratie« hebt deutlich hervor, mit welchen Problemen die jüdischen Gemeinden speziell im Osten der Republik konfrontiert sind. Laut deren Ergebnissen befürworten mehr als 50 Prozent (mit Ausnahme vom Osten Berlins) der Befragten die Aussage, wonach »Deutschland eine starke Partei« braucht, »die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«.

Die Forderung nach einem »Führer« fällt bei einem Drittel der Ostdeutschen auf fruchtbaren Boden. Ebenfalls ein knappes Drittel spricht sich gegen eine demokratische Regierungsform aus und hält unter bestimmten Umständen eine Diktatur für die bessere Staatsform. Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben laut dem Policy Paper des EFBI sieben Prozent. Besonders ausgeprägt ist die Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Die Wissenschaftler haben des Weiteren herausgefunden, dass rund 20 Prozent der Ostdeutschen der Aussage zumindest teilweise zustimmen, dass der Nationalsozialismus »auch seine guten Seiten« hatte. Dass die Verbrechen des Nationalsozialismus in der Geschichtsschreibung weit übertrieben seien, befürwortet rund ein Fünftel der Befragten.

Bei einem AfD-Wahlerfolg in Thüringen will Joël Ben-Yehoshua wegziehen.

»Die Nachgeschichte des Nationalsozialismus und der Schoa, die Schwierigkeit, diese Geschichte zu akzeptieren und die Erinnerung bewusst zu gestalten«, haben laut Marina Chernivsky, Geschäftsführerin der auf Antisemitismus spezialisierten Beratungsstelle OFEK, »einen großen Einfluss darauf, wie Menschen die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen bewerten und einordnen«.

komplexität Antisemitische Denktraditionen und Verschwörungsmythen werden einfach übernommen, weil sie laut Chernivsky »abrufbar sind und einen Mehrwert haben, zum Beispiel, um die Komplexität zu reduzieren und dabei an Opfernarrative anzuknüpfen«. Über 30 Prozent der Befragten in Ostdeutschland stimmten manifest oder latent der Aussage zu, dass der Einfluss der Juden noch heute »zu groß« sei. 28 Prozent sind der Meinung, dass die »Juden einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich« haben und »nicht so recht zu uns« passen würden.

Dies entspricht auch den Erfahrungen der zivilgesellschaftlichen Praxis. So berichtet die Dokumentations- und Informationsstelle Antisemitismus Mecklenburg-Vorpommern (DIA-MV), dass sich antisemitische Deutungs- und Einstellungsmuster auch in den von ihr dokumentierten Vorfällen signifikant niederschlagen. Die Ergebnisse der Studie geben zweifellos Anlass zur Sorge, erklärt Ronny Rohde von DIA-MV im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, »sind zugleich aber nicht wirklich überraschend«.

»Der offen geäußerte Antisemitismus, aber auch Forderungen nach einem starken Staat und nach einer geschlossenen Gesellschaft« finden nach Angaben der Mitarbeiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Sachsen-Anhalt, Marie-Kristin Batz, »auch in Teilen der politischen Mitte oder zum Beispiel der teilweise linken Friedensbewegung« häufig Zustimmung. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel stimmen 21,5 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass »Israels Politik in Palästina genauso schlimm« sei »wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg«. Der Höchstwert liegt bei 25,5 Prozent in Thüringen.

Risiken »Unser Leben in Deutschland ist ohnehin nicht selbstverständlich und eine ständige Abwägung zwischen Risiken und Chancen«, erklärt Igor Matviyets (SPD), Kandidat bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021 und Mitglied der Jüdischen Gemeinde Halle. In Ostdeutschland müsse »man diese Abwägung nur leider ein bisschen häufiger machen«.

»Generell eingeschüchtert«: So fasst Joël Ben-Yehoshua aus Jena die Bedrohungslage für die jüdische Gemeinschaft zusammen. In Thüringen gehe niemand »offen erkennbar als Jude« auf die Straße. Solche Vorsichtsmaßnahmen gehörten selbstverständlich zum ostdeutschen Alltag, berichtet das Mitglied der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Im Falle eines Wahlerfolges der AfD bei den kommenden Landtagswahlen in seinem Bundesland will auch Ben-Yehoshua seine Koffer packen – und zumindest aus dem Osten wegziehen.

Washington D.C.

Netanjahu berät über Verhandlungen der Hamas

Die Verhandlungen über die zweite Phase des Geisel-Deals hätte schon am Montag beginnen sollen

 04.02.2025

Kommentar

Hoffen wir, dass Donald Trump einen Plan hat

Der US-Präsident hätte nichts dagegen, wenn Israel Teile des Westjordanlands annektieren würde. Was will er damit bezwecken?

von Nils Kottmann  04.02.2025

Interview

»Es wäre zu schwer, um es weiterhin an meiner Jacke zu tragen«

Der Schoa-Überlebende Albrecht Weinberg möchte sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben - aus Protest gegenüber dem Antrag der Unionsfraktion zur Asylpolitik

von Christine Schmitt  04.02.2025

Kassel

Kunsthochschule zeigt Terror-verherrlichende Ausstellung

Die Hochschule bot einem Mann eine Plattform, der einen Hamas-Terroristen zum »Superhelden« erklärte. Jüdische Studenten sind entsetzt

von Imanuel Marcus  04.02.2025

Berlin

»Es gibt einen Judenhass, der uns alle tief beschämt und gegen den wir bisher viel zu zögerlich vorgegangen sind«

Wo bleibe der Aufstand der Anständigen bei dieser Ausprägung des Antisemitismus, fragt der CDU-Chef

 04.02.2025

Berlin

Merz schließt jede Zusammenarbeit mit AfD aus

Der CDU-Chef erneuert auf dem Wahlparteitag ein klares Versprechen

von Jörg Blank  04.02.2025

Meinung

Das erdrückende Schweigen der »Anständigen« beim Thema Antisemitismus

Hunderttausende demonstrieren gegen Rechtsextremismus und skandieren »Nie wieder ist jetzt«. Doch beim Antisemitismus sind sie erstaunlich still

von Ralf Balke  03.02.2025

TV-Kritik

»Diese ganze Holocaust-Anheftung an die AfD ist nervtötend«

AfD-Chefin Alice Weidel fiel bei »Caren Miosga« erneut mit fragwürdigen Aussagen zur NS-Zeit auf

von Michael Thaidigsmann  03.02.2025

Nach Interview-Eklat

»Schämen Sie sich!« - Ron Prosor kritisiert »Spiegel«

Der israelische Botschafter wirft dem Nachrichtenmagazin vor, es habe einem »von Selbsthass zerfressenen« Israeli die Bühne überlassen – und dies ausgerechnet am Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

von Imanuel Marcus  03.02.2025