Justiz

Staatsanwalt fordert drei Jahre Haft für ehemaligen SS-Wachmann

Der 93-Jährige hatte zum Auftakt des Verfahrens im Oktober vergangenen Jahres eingeräumt, dass er Wachmann in Stutthof war. Foto: dpa

Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg hat die Staatsanwaltschaft am Montag eine Jugendstrafe von drei Jahren gefordert. Außerdem müsse der 93-Jährige die Kosten des Verfahrens tragen, sagte Staatsanwalt Lars Mahnke in seinem Plädoyer.

Der Angeklagte habe das Unrecht, das im KZ Stutthof (bei Danzig) geschah, »eindeutig identifiziert« und aus »taktischer Einstellung« weggesehen und seinen Dienst weiter verrichtet. Er habe sich nicht im Befehlsnotstand befunden, sondern Beihilfe zum Mord geleistet, so Mahnke.

PLÄDOYERS Der Angeklagte muss sich vor dem Landgericht Hamburg wegen seiner früheren Tätigkeit als SS-Wachmann von August 1944 bis April 1945 im KZ Stutthof verantworten. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen, 5000 davon durch das Herbeiführen und die Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen, 200 durch Vergasung und 30 durch Genickschuss. Nach den Plädoyers der Nebenklägervertreter und des Verteidigers soll das Urteil vermutlich am 23. Juli gesprochen werden.

Er habe die Möglichkeit gehabt, sich versetzen zu lassen, doch D. habe sich »weggeduckt und weggesehen«.

Jedermann müsse erwarten dürfen, dass ein Soldat in der Situation von D. vom Wachturm herabsteigt, sein Gewehr abgibt und sagt: »Ich kann nicht mehr«, sagte Mahnke. Er habe die Möglichkeit gehabt, sich versetzen zu lassen, doch D. habe sich »weggeduckt und weggesehen«.

»Wenn man Teil der Massenmord-Maschinerie wird, reicht es nicht aus, sich wegzudrehen«, unterstrich der Staatsanwalt. Da müsse die Loyalität gegenüber dem Befehlshaber aufhören.

VERBRECHEN Mahnke sprach auch von einer Verpflichtung des Gerichts, ein Signal zu setzen. »Der Angeklagte hat an kaum beschreibbaren Verbrechen teilgenommen, die jeden, der sich damit beschäftigt, auf ewig nicht mehr verlassen.«

Für D. sprächen, dass er seitdem ein untadeliges Leben geführt habe und dass er nichts dafürkönne, dass die Taten erst jetzt nach 75 Jahren verhandelt werden. Ebenso hätte D. diese nicht begangen, wenn die Nationalsozialisten die Grausamkeiten nicht begangen hätten.

Der Staatsanwalt hatte vorab erklärt, dass das Gericht auf anderer Grundlage entscheiden werde als die Gerichte in anderen großen NS-Prozessen. Die Beweislage habe ergeben, dass sich der Vorwurf der Tötung nicht auf direkte Tötungen beschränke.

»Stutthof war die Hölle auf Erden. Im Rückblick ist es mir schleierhaft, wie ich das überlebt habe«, sagt Nebenklägerin Griesbach.

»Es ist deutlich geworden, dass es die Kategorie ›Tötung durch Arbeit‹ gibt.« Wer arbeitsfähig war, sollte trotzdem nicht dem Tod entgehen, sagte Mahnke. Somit sei die Zwangsarbeit der Beginn des Mordens gewesen. Eine Differenzierung zwischen Vernichtungslager und Arbeitslager sei damit hinfällig. Dies sei eine neue Sicht.

BERÜHREND Zu Beginn des 40. Verhandlungstages hatte Richterin Anne Meier-Göring zwei berührende Schilderungen von Nebenklägerinnen verlesen. Die Jüdin Marga Griesbach (92) beschrieb, wie sie als 14-Jährige mit ihrer Mutter auf wochenlangen Flüchtlingsmärschen Hunger und Erfrierungen erlitt.

Mehrfach hatte sie bei Selektionen Todesangst, und sie musste ihren jüngeren, damals elfjährigen Bruder verabschieden, der kurz darauf in Auschwitz vergast wurde. »Stutthof war die Hölle auf Erden«, hieß es von Griesbach in ihrer 15-seitigen Erklärung. »Im Rückblick ist es mir schleierhaft, wie ich das überlebt habe.« epd

Meinung

Ein Bumerang für Karim Khan

Die Frage der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof für Israel muss erneut geprüft werden. Schon jetzt ist klar: Der Ruf des Gerichts und seines Chefanklägers wird leiden

von Wolf J. Reuter  25.04.2025

Meinung

Die UN, der Holocaust und die Palästinenser

Bei den Vereinten Nationen wird die Erinnerung an den Holocaust mit der »Palästina-Frage« verbunden. Das ist obszön, findet unser Autor

von Jacques Abramowicz  25.04.2025

80 Jahre nach Kriegsende

»Manche Schüler sind kaum noch für uns erreichbar«

Zeitzeugen sterben, der Antisemitismus nimmt zu: Der Geschichtsunterricht steht vor einer Zerreißprobe. Der Vorsitzende des Verbands der Geschichtslehrerinnen und -lehrer erklärt, warum Aufgeben jedoch keine Option ist

von Hannah Schmitz  25.04.2025

Washington D.C.

Trump beschimpft Harvard als »antisemitische, linksextreme Institution«

Der US-Präsident geht vehement gegen Universitäten vor, die er als linksliberal und woke betrachtet. Harvard kritisiert er dabei besonders heftig

 25.04.2025

Berlin/Jerusalem

Herzog kommt in die Bundesrepublik, Steinmeier besucht Israel

Der Doppelbesuch markiert das 60-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern

 25.04.2025

«Nie wieder»

Dachauer Gedenkstättenleiterin warnt vor ritualisierten Formeln

Die KZ-Gedenkstätte Dachau erinnert am 4. Mai mit einer großen Feier mit 1.800 Gästen an die Befreiung des ältesten Konzentrationslagers durch amerikanische Truppen am 29. April 1945

von Susanne Schröder  25.04.2025

Geschichte

Bundesarchiv-Chef warnt vor dem Zerfall historischer Akten

Hollmann forderte die künftige Bundesregierung auf, einen Erweiterungsbau zu finanzieren

 25.04.2025

Israel

Regierung kondoliert nach Tod des Papstes nun doch

Jerusalem löschte Berichten zufolge eine Beileidsbekundung nach dem Tod des Papstes. Nun gibt es eine neue

 25.04.2025

Berlin/Grünheide

Senatorin verteidigt ihre »Nazi«-Äußerung zu Tesla

Berlins Arbeitssenatorin spricht im Zusammenhang mit der Marke von »Nazi-Autos«. Daraufhin gibt es deutliche Kritik. Die SPD-Politikerin reagiert

 25.04.2025