Brandenburg

Spuren am Scharmützelsee

An dem verfallenen Jagdschloss erinnert nichts an den früheren jüdischen Besitzer, nicht einmal eine Gedenktafel. Foto: Uli Winkler

Das Eingangsportal ist mit schweren Holzbrettern vernagelt. Die Fenster sind eingeschlagen. Im Inneren ist der Fußboden aufgeplatzt, an vielen Stellen ist er sogar ganz eingebrochen.

Wer sich die zugewucherte Auffahrt zum Jagdschloss Schwarzhorn am Rande des kleinen brandenburgischen Ortes Wendisch Rietz bei Bad Saarow südöstlich von Berlin hinaufgekämpft hat, entdeckt ein im Verfall begriffenes Gebäude. Den einstigen Glanz des 1901 unmittelbar am Ufer des Scharmützelsees im Stil der Neorenaissance erbauten Anwesens kann man nur noch erahnen.

Tourismus »Die Altsubstanz des Schlosses ist in einem miserablen Zustand. Ich fürchte, dass hier nichts mehr zu retten ist«, sagt Gerhard Möller. Der 68-Jährige war viele Jahre Vorsitzender der kommunalen Grundstücksentwicklungsgesellschaft in Wendisch Rietz. Als solcher prägte er die Entwicklung der Gemeinde, die als Erholungsort gut vom Tourismus lebt.

Idyllische Lage am See: Jagdschloss Schwarzhorn in den 30er-JahrenFoto: Uli Winkler

Das Jagdschloss Schwarzhorn mit seinem 30.000 Quadratmeter großen Grundstück war Möller immer ein ganz besonderes Anliegen. Dass die Gemeinde das Schloss, das zu DDR-Zeiten als Pflegeheim für Senioren genutzt wurde, nach Jahren des Leerstands 1997 an den Investor Dieter Holzer verkauft hatte, bereut Grundstücksentwickler Möller noch heute.

VERSTRICKUNGEN Investor Holzer hatte das damals schon heruntergekommene Schloss für eine Million Mark gekauft. Er wollte es instand setzen und zu einem modernen Kongresshotel umbauen. Die Pläne kamen über die Theorie nie hinaus: Holzer geriet aufgrund seiner Verstrickungen in die Schmiergeldaffäre um den Verkauf der Raffinerie in Leuna an den französischen Staatskonzern Elf Aquitaine Anfang der 2000er-Jahre ins Visier der Staatsanwaltschaft.

In der Weimarer Republik machte er sich als Strafverteidiger im Ruhrgebiet einen Namen.

2011 erhielt Holzer wegen Beihilfe zum Bankrott eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. 2016 verstarb er. Schwarzhorn gehört seitdem einem libanesischen Verwandten Holzers, der es verfallen lässt. »Es ist wirklich eine Schande, dass das Schloss einfach vergammelt«, sagt Gerhard Möller.

Um die Eigentumsverhältnisse zu klären, hatte der Grundstücksentwickler nach der Wende intensiv zur Geschichte des einstigen Jagdschlosses recherchiert. In diesem Zusammenhang telefonierte er mehr als einmal mit Vertretern der Jewish Claims Conference (JCC) in Frankfurt am Main. »Jagdschloss Schwarzhorn war jüdischer Besitz«, sagt Möller.

Die JCC-Akten bestätigen das – und geben weitere Auskünfte: Der letzte ordentliche Eigentümer des Schlosses war der jüdische Rechtsanwalt und Sozialdemokrat Max Frank.

SEGELTÖRN Frank wurde 1870 in ein wohlhabendes assimiliertes Elternhaus im westfälischen Hameln geboren. Seit der Jahrhundertwende arbeitete er als Rechtsanwalt und ab 1926 als Notar in Dortmund. Schon als Student war er der SPD beigetreten.

Während des Ersten Weltkriegs und in der Weimarer Republik machte Frank sich einen Namen als einer der meistbeschäftigten Strafverteidiger im Ruhrgebiet. Prozesse gegen streikende Arbeiter, die Revolution planende Kommunisten und humanistische Ärzte, die illegal Schwangerschaftsabbrüche durchführten, waren sein Metier. Frank engagierte sich auch als Kommunalpolitiker. Am 7. März 1921 zog er als Nachrücker für die SPD in den Reichstag in Berlin ein. Sein Mandat legte Frank allerdings schon einen Monat später nieder.

Während eines Segeltörns auf dem Scharmützelsee hatte sich Max Frank in das Anwesen verguckt.

Vermutlich, weil ihm der Spagat zwischen Politik, Familie und Beruf zu groß wurde. Sein kurzes Intermezzo als Reichstagsabgeordneter und Franks Verbindung nach Brandenburg und zum Jagdschloss Schwarzhorn sind wohl auf das Frühjahr 1921 zu datieren.

Motivation Wahrscheinlich hatte er sich während eines Segeltörns auf dem Scharmützelsee in das Anwesen, das bis dato zeitweise als Privatresidenz sowie als Ausflugsgaststätte genutzt wurde, verguckt.

Aus welcher Motivation heraus sich Frank für den Kauf von Schwarzhorn entschied, ist nicht bekannt. Bekannt hingegen ist, dass er unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ins Fadenkreuz der neuen Machthaber geriet.

Schon in der Zeit der Weimarer Republik war Frank der Dortmunder SA als engagierter Sozialdemokrat und Jude ein Dorn im Auge gewesen. Während einer Gerichtsverhandlung Ende März 1933 verhaftete ihn ein Schlägertrupp im Gerichtssaal. Am 2. April wurde Frank aus der Schutzhaft in einem Dortmunder Gefängnis wieder entlassen. Während der Inhaftierung wurde er misshandelt.

Die Entschädigung für das Gebäude erhielt die Claims Conference.

Mit dem antisemitischen »Gesetz über die Zulassung der Rechtsanwaltschaft« vom 7. April verlor Frank wie Hunderte andere jüdische Anwälte seine Arbeitslizenz. Das Betätigungsverbot traf den Rechtsanwalt schwer. Frank zog es wieder nach Berlin und Brandenburg. Wahrscheinlich wollte er nach all den Repressalien Ruhe am Scharmützelsee finden.

Freitod Doch die Nationalsozialisten ließen dem Rechtsanwalt keine Ruhe. Im Bericht einer westfälischen Lokalzeitung steht, dass sich Frank »nach furchtbaren Folterungen« am 10. Mai in einem Berliner Krankenhaus vergiftet hat. Seine Frau und seine Tochter sollen ein Jahr später ebenfalls den Freitod gewählt haben.

Jagdschloss Schwarzhorn wurde von den Nationalsozialisten »arisiert«. Bis 1945 waren in dem Gebäude »volksdeutsche« Umsiedler aus Osteuropa einquartiert. Da sich die SED-Regierung jedweden Entschädigungen verweigert hatte, konnte die Claims Conference erst nach der Wende aktiv werden.

GEDENKTAFEL Frank hatte keine Nachfahren. Für das Schlossgebäude wurde die Claims Conference finanziell entschädigt. Der Eigentumstitel ging an die Gemeinde Wendisch Rietz. Ein für in der DDR öffentlich genutzte Einrichtungen übliches Verfahren. Dass sich der vermeintliche Investor als Betrüger herausstellte, konnte beim Verkauf weder die Gemeinde noch die JCC ahnen.

Folgenschwer war die Entscheidung allemal. Gerhard Möller zeigt sich trotzdem optimistisch. »Ich habe die historischen Architektenzeichnungen. Ein Nachbau des Schlosses wäre möglich«, sagt er. Möller hofft, dass sich doch noch ein Investor finden lässt, dem das Grundstück am Herzen liegt. Sollte Schwarzhorn irgendwann einmal aus seinem Dornröschenschlaf erweckt werden, könnte am historischen Ort endlich eine Gedenktafel für den ehemaligen Schlossherrn angebracht werden.

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