Als der jüdische Ringer und Philosoph Ernst Stern in den 30er-Jahren eine scheinbar unabwendbar feststehende Niederlage im letzten Moment doch noch in einen Sieg verwandeln konnte und danach von ihn belagernden Reportern gefragt wurde, was er in den Sekunden des drohenden Verlierens im Würgegriff des Gegners gedacht hatte, soll der Wiener Sportler sinngemäß geantwortet haben: »Ein Jud gehört ins Kaffeehaus! Das habe ich mir gedacht.«
Eine herrliche Geschichte! Einerseits, weil sich selbst der bärenstarke Ringer Ernst Stern, der in Wien auch der »jüdische Herkules« genannt wurde, in Momenten der Schwäche eher nach einem gemütlichen Kaffeehausbesuch sehnt, als im Unterarmwürgegriff seines Gegners auf der Matte zu liegen. Andererseits ist die Anekdote auch deshalb so großartig, weil sie sich über das antisemitische Klischee vom schwachen und zerbrechlichen Juden lustig macht – wodurch sich Ernst Stern über ebendieses Vorurteil erhebt.
gänsehaut Es war diese Anekdote, die mir in den Sinn kam, als ich im Sommer 2015 gefragt wurde, ob ich Botschafter bei den European Maccabi Games in Berlin werden möchte. Jüdische Athleten machen gemeinsam Sport, lernen voneinander und feiern ihr Judentum – ich habe damals nicht eine Sekunde gezögert zuzusagen. Noch heute, drei Jahre später, denke ich an die jüdische Europameisterschaft mit Gänsehaut zurück.
Im Olympiapark, also genau dort, wo die Nazis 80 Jahre zuvor den Sport für ihre unmenschliche Propaganda missbrauchten, sangen nun 400 jüdische Sportler die deutsche Nationalhymne, die Hatikwa und das Schabbeslied »Shalom Aleichem«. Jeder, der bei den Spielen dabei war, weiß aus eigener Erfahrung: Es sind Eindrücke, die noch lange in einem nachhallen.
Wenn sich nun diese Woche bis Sonntag mehr als 300 jüdische Sportler aus ganz Deutschland in München zu den ersten »Makkabi Junior Games« treffen, wird es wieder diese Momente geben, die uns nur der Sport ermöglicht. Momente, die glücklicherweise auch etwas Kindliches haben. Öffentlich weinen, wenn man verliert, ausgelassen jubeln, wenn man gewinnt, diese im besten Sinne infantilen Gemütsregungen schenkt uns der Sport. Große Sportveranstaltungen, zu denen die »jüdischen Jugendspiele« gehören, sind deshalb immer auch emotionale, freudige Ereignisse.
selbstbewusstsein Und jeder weiß aus eigener Erfahrung: Wenn man etwas mit Freude macht, dann gelingt alles viel besser, als wenn man es verbissen »durchzieht«. Der Sport und insbesondere Makkabi-Veranstaltungen sind durch dieses Einfache, Naiv-Kindliche identitätsstiftend; sie stärken das Selbstbewusstsein. Bei den »Junior Games« für die Zwölf- bis 18-Jährigen geht es darum, dass die Teilnehmer Spaß haben, neue Freundschaften schließen und ihre Liebe zum Judentum, zu Israel und zum Sport finden können. Zusammenhalt ist das Stichwort. Der Sport im Allgemeinen und Makkabi im Besonderen kann vieles ermöglichen, sogar Völkerverständigung.
In den vergangenen Monaten wurde in Deutschland viel und ausführlich über Antisemitismus diskutiert. Zu Recht. Denn die Grenzverschiebungen finden mittlerweile tagtäglich zwischen Konstanz und Kiel statt. Auf offener Straße wurde jüngst ein junger Mann von einem syrischen Flüchtling attackiert – weil er eine Kippa trug. In der Schule werden Jungen und Mädchen systematisch gemobbt – weil sie Juden sind. An fast jedem Wochenende werden Makkabi-Sportler antisemitisch beschimpft – bloß weil sie Juden sind.
Es ist richtig, dass Gesellschaft und Politik klarmachen: Antisemitismus wird geächtet und – wenn möglich – mit der vollen Härte des Gesetzes juristisch bestraft.
Doch wir sollten mit Blick auf die Anfeindungen mindestens ebenso unnachgiebig auch um Lösungen ringen.
mannschaft Und eine Antwort ist dabei zweifellos das Makkabi-Prinzip: gemeinsam statt gegeneinander. Das Makkabi-Prinzip ist gelebter Austausch auch jenseits von Organisationsstrukturen. In den 40 Ortsvereinen mit mehr als 4000 Sportlern spielen Juden, Muslime, Christen und Atheisten gemeinsam in einer Mannschaft; sie stehen auf dem Platz füreinander ein, sie feiern zusammen die Siege und erleben als Mannschaft auch die Niederlagen gemeinsam.
In Zeiten, in denen jüdische Verbände wegen antisemitischer Anfeindungen ebenso Alarm schlagen wie Muslime über Angriffe von Rechten klagen, ist das eine ermutigende Botschaft. Oder anders formuliert: Das Makkabi-Prinzip ist interkonfessionelle Begegnung auf Augenhöhe – und wichtiger denn je. Anders als so manche Sonntagsrede von Politikern gilt dieses Prinzip bei den Makkabäern von Montag bis Freitag beim Training und an jedem Wochenende bei den jeweiligen Spielen. Das Kaffeehaus können wir dann auch noch danach besuchen. Makkabi Chai!
Der Autor ist Fußballkommentator und Sportjournalist.