Eurokrise

Sparen? Nein danke!

»Die Lage ist genauso schlecht wie in der Großen Depression, nur das wirtschaftliche Elend ist bislang nicht ganz so schlimm«, meint Paul Krugman, Professor an der Universität Princeton. Foto: Reuters

Im persönlichen Gespräch wirkt der Mann nervös, schüchtern, fast ein bisschen scheu. Auf Fragen antwortet Paul Krugman stockend und langsam. Als habe er Angst davor, etwa Falsches zu sagen. Den Blicken seines Gegenübers weicht der Nobelpreisträger konsequent aus. Abwechselnd starrt er die weiße Wand des Besprechungsraums an und den Starbucks-Pappbecher, an dem er während des Gesprächs unaufhörlich herumfingert.

Größer könnte der Unterschied zwischen Paul Krugman, dem Kolumnisten, und Paul Krugman, dem Gesprächspartner, nicht sein. In seinen Texten für die New York Times und in seinem Blog kommt Krugman schlagkräftig, streitlustig und selbstbewusst daher. Im persönlichen Gespräch findet sich davon keine Spur. Krugman wirkt nachdenklich, unsicher, verwundbar.

Der 59-jährige Professor der US-Elite-Universität Princeton, der sich selbst als menschenscheuen Eigenbrötler beschreibt, ist der bekannteste und umstrittenste Volkswirt seiner Generation. Seine Bewunderer halten ihn für einen der klügsten Ökonomen seit Jahrzehnten, seine Gegner für einen verbohrten Ideologen mit ausgeprägter Tendenz zur Rechthaberei. Wegen seines Hanges zur polemischen Zuspitzung hat ihn sein Kollege Jagdish Bhagwati, Professor an der New Yorker Columbia University, schon 2006 mit dem linken Dokumentarfilmer Michael Moore (Bowling for Columbine, Fahrenheit 9/11) verglichen.

Register Seit Jahren ist Krugman einer der lautesten und radikalsten Kritiker der Wirtschaftspolitik in den USA wie in Europa. Sparprogramme? Strukturreformen? Haushaltskonsolidierung? All das sei der falsche Weg, um die Wirtschaftskrise zu überwinden. »Wir wiederholen die gleichen Fehler wie in den 30er-Jahren«, ist Krugman überzeugt. In einer Zeit, in der private Haushalte und Banken überschuldet seien und eisern sparen, müssten die Regierungen mehr Schulden machen und mit höheren Staatsausgaben die Nachfrage ankurbeln. Zugleich müsse die Geldpolitik alle Register ziehen und im Zweifel etwas mehr Inflation zulassen. Das sei die große Lektion der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre.

»Prasst euch gesund«, riet Krugman jüngst in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt den Europäern und urteilte: »Wenn die Krise nicht längst hinter uns liegt, dann ist ein Mangel an geistiger Klarheit und politischem Willen schuld.« Die Tiraden, in denen er gegen die Wirtschaftspolitik wettert, haben mitunter cholerische Züge. Die deutsche Scheu vor Konjunkturprogrammen? »Dumm«. Barack Obama? »Rückgratlos«. Europas Umgang mit der Schuldenkrise? »Selbstmörderisch«. Volkswirte, die in einem öffentlichen Aufruf vor der europäischen Bankenunion warnen? »Sünder«.

Die US-Wirtschaft sieht Krugman schon in einer zweiten Depression. »Ich gebrauche den Begriff Depression ganz bewusst«, betonte er jüngst in London bei der Vorstellung seines neuen Buches mit dem Titel End This Depression Now! Von einer Rezession sprächen Ökonomen, wenn es mit der Wirtschaft abwärts gehe, von einer Depression, wenn die Wirtschaft längere Zeit im Keller sei. »Genau diese Situation haben wir in den USA«, ist Krugman überzeugt. »Die Lage ist genauso schlecht wie in der Großen Depression, nur das wirtschaftliche Elend ist bislang nicht ganz so schlimm.« Ein wichtiges Indiz für das Ausmaß der Krise sei die Langzeitarbeitslosigkeit. Inzwischen sei fast jeder dritte Arbeitslose in den USA länger als ein Jahr ohne Job. »Das hat es seit den 30er-Jahren nicht mehr gegeben.«

kritiker Deutschlands »Besessenheit von Austerität« sei eine Gefahr für Amerika, gegen die sich das Land schützen müsse. Der Euro-Zone attestiert er ein »tiefes strukturelles Problem«: Eine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Regierung könne auf die Dauer nicht gut gehen.

Hierzulande teilen nur wenige Volkswirte wie der Wirtschaftsweise Peter Bofinger und der Düsseldorfer Volkswirt Gustav Horn, der das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) leitet, Krugmans Ansichten. Der Mainstream sieht die Dinge ganz anders. »Alle Ratschläge, die von prominenten Wissenschaftlern wie Paul Krugman jetzt ausgesprochen werden, die Krise mit noch höheren Schulden zu lösen, sind für den Wohlstand und die Zukunftsfähigkeit unserer Kontinente höchst gefährliche Empfehlungen«, schrieb zum Beispiel der ehemalige CDU-Fraktionschef Friedrich Merz jüngst im Handelsblatt.

Tatsächlich ist Krugmans Analyse der europäischen Wirtschaftspolitik nicht immer fehlerfrei. So kritisierte er Deutschland 2009 massiv dafür, dass die Konjunkturprogramme nach der Lehman-Pleite zu klein seien, übersah dabei aber, dass die tatsächlichen Unterschiede im Vergleich zu den USA wegen der großzügigeren deutschen sozialen Sicherungssysteme deutlich geringer waren, als ein flüchtiger Vergleich nahelegte.

keynesianer Krugman, der aus einfachen Verhältnissen stammt, war schon in jungen Jahren ein hochpolitischer Mensch. Schon damals stand er links von der Mitte. Er demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und engagierte sich in Wahlkämpfen als ehrenamtlicher Helfer für die Demokratische Partei. Doch ihn als »linken« Ökonomen abzustempeln, greift zu kurz. Der Nobelpreisträger ist ein überzeugter Marktwirtschaftler, der Argumente von Globalisierungskritikern schon mal als »intellektuelles Junkfood« niedermacht und sich selbst als »Freier-Markt-Keynesianer« bezeichnet. Er ist überzeugt, dass das freie Spiel von Angebot und Nachfrage oft die besten Ergebnisse liefert, verschließt aber zugleich nicht die Augen vor den Schwächen des Kapitalismus.

Genau das aber wirft er vielen seiner Fachkollegen vor. Diese seien viel zu oft einem »Laisser-faire-Absolutismus« verfallen, einer Ideologie, die die Finanz- und Wirtschaftskrise erst möglich gemacht habe. »Der Glaube an den Markt und die Verachtung für Regierungen haben in unserer Disziplin oft die Fakten übertrumpft.« Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die in den 80er- und 90er-Jahren en vogue war, sei »eher ein Kult als eine wissenschaftliche Denkschule« gewesen, erfolgreich nur deswegen, weil sie »die Vorurteile der Reichen« bedient habe.

populärwissenschaftler Seit die New York Times ihn im Jahr 2000 als Kolumnisten anheuerte, hat sich Krugman immer mehr vom Wissenschaftler zum Publizisten entwickelt. Seine Fachkollegen aus der Hochschulwelt halten ihm das vor: Er arbeite nicht mehr wissenschaftlich und äußere sich zu Themen, von denen er keine Ahnung habe.

Fakt ist: Krugmans bahnbrechende wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten, für die er 2008 den Nobelpreis erhalten hat, sind in den 70er- und 80er-Jahren entstanden; und sie drehen sich um Außenhandelsfragen, nicht um Geld- und Konjunkturpolitik. Berühmt wurde er vor allem mit einem grundlegend neuen theoretischen Handelsmodell, das die tatsächlichen Warenströme viel besser erklären konnte als die bis dahin gängigen Ansätze.

Ende der 80er-Jahre begann der erfolgreiche Wissenschaftler dann aber, die Lust am rein akademischen Arbeiten zu verlieren. »Du fängst an, dich zu fragen, was der Wert eines weiteren wissenschaftlichen Papers ist«, räumte er später ein. Krugman begann, populärwissenschaftliche Bücher zu schreiben und Kolumnen für Zeitschriften, erst für die Fortune und das Online-Magazin Slate, ab 2000 dann für die New York Times. Sein Fachkollege Alan Blinder bescheinigte Krugman schon vor zehn Jahren »missionarische Qualitäten«.

liberaler jude Krugman, Enkel weißrussischer Immigranten, beschreibt sich selbst als »linksliberalen amerikanischen Juden«. 2010 schaltete er sich in seinem Blog ein in die Debatte um den Bau einer Moschee in der Nähe des »Ground Zero« in New York. Die Anti-Defamation League (ADL) hatte die Pläne in einer Erklärung kritisiert, mit dem Argument, der Bau eines islamischen Zentrums in der Nähe des ehemaligen World Trade Center führe bei Terroropfern und ihren Angehörigen zu zusätzlichen Qualen. Die ADL messe mit zweierlei Maß, kritisierte Krugman, schließlich lasse sie es zu Recht nicht als Argument gelten, dass es für manche Leute eine Qual sei, jüdische Geschäftsleute in nichtjüdischen Stadtvierteln zu sehen: »Juden sollten verstehen, dass die sich für universelle Rechte stark machen müssen, nicht nur Rechte bestimmter Gruppen.« Das sei nicht nur moralisch, sondern auch strategisch richtig. »Wir können es uns nicht leisten, in einer Stammeswelt zu leben. Dafür sind wir schlicht und einfach zu wenige.«

Aus der Nahost-Debatte hält sich Krugman weitgehend heraus. »Ich versuche es zu vermeiden, darüber nachzudenken, wohin sich Israel entwickelt«, schrieb er im April in seinem Blog – um dann, in klassischer Krugman-Manier, in wenigen Worten ein vernichtendes Urteil über die Regierung von Benjamin Netanjahu zu fällen: Deren Politik sei nicht nur »engstirnig«, sondern führe auch »zu einem langsamen nationalen Selbstmord«. Das sei schlimm, er selbst könne sich aber nicht auch noch um dieses Thema kümmern: »Ich habe andere Schlachten zu schlagen.«

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