Einer der letzten großen NS-Kriegsverbrecherprozesse 70 Jahre nach der Befreiung der deutschen Konzentrationslager beginnt in Lüneburg. Der frühere SS-Unterscharführer Oskar Gröning muss sich ab Dienstag vor dem Landgericht Lüneburg verantworten.
Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft ihm vor, im Frühjahr 1944 in Auschwitz Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen geleistet zu haben. Nach Angaben seines Anwaltes will sich der 93-jährige Angeklagte aus der Lüneburger Heide vor dem Gericht äußern.
Mehr als 50 Journalisten haben sich nach Angaben des Gerichtes für das Verfahren angemeldet, das unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet. Darunter sind Reporter von der New York Times und der britischen BBC. In dem auf 27 Verhandlungstermine angesetzten Prozess treten 67 Nebenkläger unter anderem aus den USA, Kanada, Ungarn und Israel auf.
Versuch Unter ihnen sind Menschen, die selbst das Lager Auschwitz durchlitten haben, sowie Angehörige von Ermordeten. Weltweit verfolgten Auschwitz-Überlebende »mit Beklemmung und Anteilnahme« den »jahrzehntelang überfälligen Versuch« der deutschen Justiz, das Mordsystem des Lagers und einen beteiligten Täter vor Gericht zu stellen, teilte das Internationale Auschwitz Komitee mit.
Gröning war für das Gepäck der verschleppten Menschen auf der Bahnrampe von Auschwitz mit zuständig und verbuchte das Geld, das sie bei sich hatten. Nach den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft hat er Spuren der Massentötung verwischt, indem er half, Gepäck wegzuschaffen. Dabei sei ihm bewusst gewesen, dass die bei der Selektion als »nicht arbeitsfähig« eingestuften Häftlinge in Gaskammern ermordet wurden. Er habe dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und die systematische Tötung von Menschen unterstützt.
Die Anklage beschränkt sich auf die Zeit der sogenannten Ungarn-Aktion. Zwischen dem 16. Mai und dem 11. Juli 1944 trafen in Auschwitz mindestens 137 Eisenbahntransporte mit rund 425.000 Menschen aus Ungarn ein, von denen mindestens 300.000 in den Gaskammern ermordet wurden.
NS-Verbrecher Frühere Ermittlungen gegen Gröning hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt 1985 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Die nun von der Staatsanwaltschaft Hannover erhobene Anklage geht auf Ermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg zurück. Diese hatten 2013 zu bundesweiten Durchsuchungen von Wohnungen ehemaliger SS-Angehöriger geführt.
Von 30 Verfahren, die die Zentrale Stelle an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben hat, kommen nach ihren Angaben noch zwei weitere zur Anklage. Die Beschuldigten sind ebenfalls über 90 Jahre alt.
Die Ludwigsburger Zentrale Stelle war nach dem Prozess gegen den ukrainischen KZ-Helfer John Demjanjuk der Frage nachgegangen, ob es weitere niedere Ränge der SS-Wachmannschaften gebe, die belangt werden könnten. Demjanjuk war 2011 wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen im Vernichtungslager Sobibor verurteilt worden.
Dabei reichte die Tatsache, dass er als Wärter Teil der Vernichtungsmaschine war. Demjanjuk starb, bevor das Urteil rechtsgültig wurde.
Beihilfe bedeute die Unterstützung eines Täters in jeglicher Hinsicht, sagt Anwalt Thomas Walther, der in Lüneburg viele der Nebenkläger vertritt. Andere Urteile etwa gegen einen Helfer des Attentates auf das World Trade Center seien da eindeutig. Bei den NS-Tätern sei dies aber zu spät berücksichtigt worden. Walther hatte auch den Prozess gegen Demjanjuk vorbereitet.