Meinung

Späte Hochschulreife

Micha Brumlik Foto: dpa

Gewiss, die Idee stammt aus dem tiefsten 19. Jahrhundert, und ihre Verwirklichung ließ allzu lange auf sich warten. Dazwischen lag der Zivilisationsbruch der Schoa, verbunden mit der bangen Frage, ob überhaupt und, wenn ja, wie sich an das vernichtete deutsche Judentum anknüpfen lasse. 1830 hatte Abraham Geiger, Pionier der Islamforschung und prominenter Vertreter eines reformierten Judentums, die Einrichtung jüdisch-theologischer Fakultäten an preußischen Universitäten gefordert.

Kürzlich konnte die vom Wissenschaftsrat empfohlene sowie von Walter Homolka mit Nachdruck durchgesetzte Gründung eines jüdisch-theologischen Instituts an der Universität Potsdam ihren ersten Geburtstag feiern. Heute weist das Institut einen respektablen Lehrkörper auf und bildet etwa 50 Studierende aus, die Hälfte Frauen: rabbinischer Nachwuchs nicht nur für Deutschland.

Gleichwohl sorgt der erste Geburtstag für Diskussionen. Die Gründung sei nicht nur sehr spät erfolgt, sondern mit Blick auf die USA wird auch kritisiert, dass solch ein Institut politisch inakzeptabel sei: Staat und Kirche gehörten streng getrennt, weshalb es in den USA zwar theologische Hochschulen in privater Trägerschaft, nicht aber Theologie als akademisches Fach an staatlichen Universitäten gebe.

staatskirchenrecht In der Tat garantiert das deutsche »Staatskirchenrecht« anerkannten Religionen weitgehende Privilegien: angefangen vom grundgesetzlich garantierten Religionsunterricht bis zum Einzug von Steuern. Auch wenn die übliche Begründung für diese Privilegien nicht überzeugt und auch, wenn beide Kirchen gerne mit dem NS-Staat kooperierten, erweist sich das Staatskirchenrecht heute als hochgradig funktional: In einer demokratischen Gesellschaft sorgt die Ausbildung von Geistlichen im wissenschaftlich säkularen Umfeld von Universitäten ebenso für deren interne Aufklärung wie umgekehrt säkulare Fächer wie Philosophie, Kulturwissenschaften und, ja, auch Naturwissenschaften von den moralischen Impulsen der Theologien profitieren.

In Deutschland hat daher, anders als in den USA, der Fundamentalismus kaum eine Chance, während die Gründung entsprechender islamischer Einrichtungen die Integration muslimischer Immigranten fördert und aggressive Konflikte, wie wir sie im säkularen Frankreich beobachten, moderiert.

Vor allem: Selbst die Judenemanzipation war ein Kind des 19., ja sogar des 18. Jahrhunderts. Die vor einem Jahr in Potsdam erfolgte Gründung der jüdisch-theologischen Fakultät schließt diesen Prozess lediglich ab. Spät, aber besser als nie!

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und Publizist.

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Berlin

Streit um geforderte Yad-Vashem-Straße

Zwischen dem Freundeskreis Yad Vashem und dem Roten Rathaus herrscht Unmut

von Imanuel Marcus  29.04.2025

Den Haag

Strafgerichtshof verpflichtet Chefankläger zur Vertraulichkeit

Karim Khan, der unter anderem gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erwirkt hat, darf einem Bericht des »Guardian« zufolge künftig nicht mehr öffentlich dazu Stellung nehmen

 29.04.2025

Urteil

»Impfen macht frei«-Bild ist Volksverhetzung

Ein 65-Jähriger hatte während der Corona-Pandemie die Schutzmaßnahmen der Regierung mit dem Holocaust verglichen

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Wittstock/Oranienburg

Gedenken an Häftlinge des NS-Todesmarsches

Erwartet werden auch fünf Überlebende aus Israel, Polen und der Ukraine

 29.04.2025