Bis zu einer Gedenkstunde im Bundestag für queere Opfer des Nationalsozialismus war es ein langer Weg. »Diese Menschen mussten sehr lange um Anerkennung des erlittenen Unrechts kämpfen«, sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) dem epd. Im Mittelpunkt stehen in diesem Jahr Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Viele Opfer hätten noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg Unrecht erfahren, ergänzt Bas.
Sie spielt auf eine unheilvolle Kontinuität vom Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit an. Vor allem schwule Männer waren auch nach dem Ende der NS-Diktatur massiv bedroht durch den Paragrafen 175 Strafgesetzbuch. Der sogenannte Schwulen-Paragraf wurde im Deutschen Kaiserreich eingeführt und stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Die Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem Nazi-Regime 1935. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden während der NS-Diktatur aufgrund des Paragrafen 175 bis zu 50.000 Männer inhaftiert, etwa 15.000 kamen in Konzentrationslager.
Vorgeschichte Trotz dieser Vorgeschichte erlaubte das Bundesverfassungsgericht 1957 die Anwendung der Strafbestimmung in der Bundesrepublik. Rund 50.000 Männer wurden nach Zahlen der Antidiskriminierungsstelle zwischen 1950 und 1969 verurteilt und bis zur Streichung des Gesetzes 1994 noch weitere rund 3500.
Einer der NS-Verfolgten war der 1918 geborene Wolfgang Lauinger.
Lauinger wuchs in Frankfurt am Main auf, als »Halbjude«, wie es im NS-Jargon hieß. 1940/41 schloss er sich dem »Harlem-Club« der Swing-Jugend an. Die Nazis diffamierten diese Musik als »artfremd«. »So sind wir eben eines Tages in den Fokus der Gestapo gekommen«, erzählt Lauinger im Jahr 2015 in einem Interview mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld für die Reihe »Archiv der anderen Erinnerungen«.
Die Gestapo habe einen Spitzel in die Gruppe geschleust. »Und wie der genug Material zusammen hatte, über jeden Einzelnen, hat er zugegriffen.« Insgesamt war Lauinger sieben Monate in den Jahren 1941/42 seiner Freiheit beraubt. Erfolglos versuchte die Gestapo, ihm Homosexualität oder homosexuelle Handlungen nachzuweisen.
nationalsozialismus Nach dem Ende des Nationalsozialismus, im Sommer 1950, wurde Lauinger dann unvermittelt von der amerikanischen Militärpolizei verhaftet und der deutschen Polizei übergeben. Ihm wurden nach Paragraf 175 Strafgesetzbuch sexuelle Handlungen zwischen Männern vorgeworfen.
In den Verhören konfrontierte man Lauinger auch mit seiner Gestapo-Akte, in der es Hinweise gab auf seine Homosexualität. »Daraufhin wurde ich wieder in Haft genommen und hab‹ über fünf, sechs Monate gesessen. Ohne eine Vernehmung, ohne eine Belastung, ohne eine Anklageschrift.« Bei der Gerichtsverhandlung im Februar 1951 wurde Lauinger freigesprochen. Am 20. Dezember 2017 starb er im Alter von 99 Jahren, ohne rehabilitiert und für seine Untersuchungshaft entschädigt worden zu sein.
Während der Feierstunde im Bundestag am 27. Januar werden Schauspielerinnen und Schauspieler Opfer-Schicksale vorstellen.
Auch wenn viele Opfer nicht mehr lebten, sei das Gedenken im Bundestag für die queere Community eine späte Genugtuung, sagt Henny Engels, Mitglied im Bundesvorstand des Schwulen- und Lesbenverbands in Berlin. Jahrelang seien sie als Opfergruppe nur begrenzt wahrgenommen worden. Nun zolle der Bundestag den queeren Opfern endlich Respekt. »Menschen sind im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet worden. Und auch in der späteren Bundesrepublik wurden Leben zerstört.« Mit der Gedenkstunde erfahre dieses Leid eine Anerkennung: »Das ist ein großes Signal.«
schweigen Auch für Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, beendet die Gedenkstunde im Bundestag »eine schmerzhafte Ignoranz von erlittenem Leid«. Queere Opfer seien zum Schweigen verbannt worden, »denn die Verfolgung hielt auch nach 1945 unvermindert an, ein offenes und selbstbestimmtes Leben blieb undenkbar«, sagt Lehmann. Ihre Geschichte sei viel zu lange in der Forschung, der Aufarbeitung und der Erinnerung missachtet worden.
Die Historikerin Anna Hájková erläutert in einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung, dass Frauen wegen gleichgeschlechtlicher Aktivitäten seltener und anders verfolgt worden seien als Männer. Inhaftierte Frauen seien auch nicht mit einem »rosa Winkel« gekennzeichnet worden. Laut Historiker Martin Lücke gab es dennoch eine Vielfalt an Repressionen für lesbische Frauen wie Hausdurchsuchungen, verordneter Wohnort- oder Arbeitsplatzwechsel, Razzien, Trennung von Kindern, Sorgerechtsentzug, Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit oder Sterilisierung. Das Risiko, verfolgt zu werden, stieg, wenn die Menschen als jüdisch galten, wie Hájková schreibt.
Überlebende der Opfergruppe der sexuellen Minderheiten gibt es wohl keine mehr, deshalb werden während der Feierstunde im Bundestag am 27. Januar Schauspielerinnen und Schauspieler Opfer-Schicksale vorstellen. Dazu gehören Mary Pünjer (1904-1942) und Karl Gorath (1912-2003).
»Homophobie und Queerfeindlichkeit gehören nicht der Vergangenheit an«, sagt Bundestagspräsidentin Bas. Das Gedenken beinhalte darum auch eine Verpflichtung - nämlich für die Rechte, die Akzeptanz und die Sicherheit queerer Menschen zu kämpfen. epd