Ein schöner Spätsommermorgen Ende August. Noch ist es windig, doch der Regen aus der Nacht hat nachgelassen. Durch die Wolken scheint immer wieder die Sonne. Im Garten der Liebermann-Villa am Großen Wannsee in Berlin blühen rote Dahlien, am Boden reifen Kürbisse. Die Sommervilla samt Garten gehörte einst dem deutsch-jüdischen Künstler Max Liebermann (1847–1935), der Garten ist originalgetreu restauriert.
HAUS DER WANNSEE-KONFERENZ Ein idyllischer Ort, den sich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) und Israels Außenminister Gabi Ashkenazi für ihr Zusammentreffen an diesem Donnerstagmorgen ausgesucht haben – zuvor hatten sie gemeinsam das Haus der Wannsee-Konferenz besucht, wo am 20. Januar 1942 hochrangige NS-Führer die Organisation des Völkermords an den europäischen Juden besprochen hatten.
»Für Antisemitismus, Hass und Hetze darf es keinen Raum geben, nirgendwo. Daran müssen wir jeden Tag aktiv arbeiten«, schreibt Maas in das Gästebuch des Hauses.
Trotz des großen Polizeiaufgebots ist es ruhig im Umkreis der Liebermann-Villa. Während sich die beiden Minister drinnen unterhalten, warten die Journalisten vor dem Haus, wo wenige Holzstühle mit Abstand zueinander platziert sind – wegen Corona.
Es ist Gabi Ashkenazis erste Auslandsreise als israelischer Außenminister. Der Politiker der Partei »Blau-Weiß« und ehemalige Generalstabschef ist mit einem Linienflug über Frankfurt am Main aus Israel angereist. Der Grund ist ein besonderer: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft veranstaltet ein Arbeitsessen der EU-Außenminister mit dem israelischen Außenminister.
GYMNICH-TREFFEN Anlass dazu ist das sogenannte Gymnich-Treffen, die informelle Zusammenkunft der EU-Außenminister, die am Donnerstag und Freitag in Berlin stattfindet. Es ist das erste Mal, dass ein Israeli dazu gebeten wurde. Zwar nimmt Ashkenazi nicht offiziell an dem Treffen teil, doch er hat eine ideale Gelegenheit, um mit EU-Vertretern ins Gespräch zu kommen – allerdings unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie. Daher ist der Wannsee ein idealer Ort für Maas und Ashkenazi, um vorab ein ruhiges Gespräch zu führen.
»Die Beziehungen zwischen der EU und Israel könnten besser sein.«
Außenminister Heiko Maas
Kurz vor zehn Uhr treten die beiden Außenminister vor der Liebermann-Villa an die Mikrofone. Maas begrüßt seinen »Freund Gabi« auf Deutsch: Es sei immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass ein israelischer Außenminister Berlin besuche – gerade in der heutigen Zeit. Man habe sich über die Einschränkungen in der Corona-Zeit und die aktuelle Lage in Israel ausgetauscht.
»Die Angriffe aus dem Gaza-Streifen und der gestrige traurige Zwischenfall an der Grenze zum Libanon besorgen uns außerordentlich, und wir verurteilen das, was dort geschehen ist, auf das Schärfste«, versichert der deutsche Außenminister.
Im Zentrum des Gesprächs, sagt Maas, hätten auch die Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten gestanden: »Wir sind überzeugt, dass das ein historischer Schritt ist auf dem Weg zu einer Normalisierung zwischen der arabischen Welt und Israel. Und die Bundesregierung wird alles dazu beitragen, um diesen Weg zu unterstützen.«
Gleichzeitig sei es gut, dass die israelische Regierung ihre Pläne zur Ausweitung der Souveränität im Westjordanland suspendiert habe: »Nun gilt es, diesen Schwung auch für den Nahost-Friedensprozess zu nutzen, auch für direkte Gespräche zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde.«
Außerdem versichert Maas: »Die Beziehungen zwischen der EU und Israel sind uns ein wichtiges Anliegen. Sie könnten besser sein. Und wir wollen, dass sie besser werden, und wir werden unsere Ratspräsidentschaft nutzen, um dazu beizutragen, dass sie besser werden.« Ashkenazis Teilnahme an dem Mittagessen der EU-Außenminister sei dazu ein erster Schritt.
Nach Maas spricht Gabi Ashkenazi auf Englisch und bedankt sich bei »my friend Heiko« für dessen Gastfreundschaft. Das Gespräch mit dem deutschen Außenminister sei sehr produktiv gewesen. Wichtig sei nicht zuletzt die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Auch das Wort »Impfstoff« fällt. Im Zusammenhang mit der Aufnahme von Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten Friedensprozess halte Jerusalem auch »die Tür für die Palästinenser immer noch offen, versicherte Ashkenazi. Auch ein offener, ehrlicher Dialog mit der EU sei Israels Anliegen.
IRAN Dann kommt der israelische Außenminister auf die Bedrohung Israels durch die proiranische Terrororganisation Hisbollah und andere Akteure in der Region sowie das iranische Atomprogramm zu sprechen – ein drängendes Thema: Erst am Dienstag hatte der UN-Sicherheitsrat den Antrag der USA zur Wiedereinsetzung von Sanktionen gegen den Iran zurückgewiesen.
Ein Thema, auf das Maas erst nach der Frage einer israelischen Journalistin eingeht: Nicht Deutschland müsse seine Haltung zum iranischen Atomabkommen (JCPOA) ändern, sondern der Iran müsse sein Verhalten in der Region ändern, erklärt er. »Wir sind nicht naiv gegenüber dem Iran, und wir wissen, dass der Iran eine gefährliche Rolle in der Region spielt«, versichert Maas.
Deutschland wolle eine Verlängerung des Waffenembargos gegen den Iran: »Aber wir wissen nun einmal, dass es dafür der Zustimmung des Sicherheitsrates bedarf, und die ist durch das Veto von Russland und China im Moment nicht gegeben, und deshalb versuchen wir, eine diplomatische Lösung zu erreichen, die beinhaltet, dass es auch in Zukunft ein Waffenembargo gegenüber dem Iran gibt.« Man wolle mit dem Iran auch über dessen ballistisches Raketenprogramm reden, das Israel bedroht.
Und während sich in der Liebermann-Villa wieder Wolken vor die Sonne schieben, ist die Pressekonferenz nach etwa 20 Minuten zu Ende, und die beiden Minister machen sich auf den Weg ins Auswärtige Amt in Berlin-Mitte.