Pro & Contra

Soll man mit der AfD öffentlich reden?

Kai Diekmann (l.) und Joshua Schultheis Foto: Charlotte Bolwin / picture Alliance
PRO - Kai Diekmann

Vermeidet jedes Gespräch mit AfDlern! Keine Plattform für Rechtsradikale! Das sind die Argumente, die man hört, wenn es darum geht, ob man Vertreterinnen und Vertreter von rechts- oder linksextremen Parteien interviewen oder zu Talkshows einladen oder ihnen selbst Interviews geben soll. Auch ich habe zu meinen Zeiten als BILD-Chef keinen AfD-Politiker mit einem Interview ins Blatt gelassen – und auch Anzeigen der Linken abgelehnt. Keine Reichweite für Radikale, seien es Rechte, Linke oder religiöse Fanatiker! Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute haben die AfD­ler ihre eigene Plattform: TikTok. Keine deutsche Partei ist auf dem chinesischen Videoportal so erfolgreich wie die AfD. Mit ihren kurzen Filmchen erreicht sie im Schnitt doppelt so viele Menschen wie SPD, CDU, FDP, Grüne und Linke zusammen. Auf YouTube und Facebook sieht es ähnlich aus. Das heißt: Im Internet haben sich Nazis längst ihre eigene Bühne gebaut, jenseits der Massenmedien und der Parlamente. Mit eigenen Videoplattformen, rechten Nachrichtenportalen, Online-Radiosendern oder der Einblendung von rechtsextremer Symbolik in Videoclips können sie ihr Gedankengut nahezu ungestört im Netz verbreiten.

Mitglieder der AfD haben TikTok schon sehr früh für sich entdeckt. Sie haben erkannt, wie empfänglich der Algorithmus für ihre polarisierenden, populistischen und ebenso schlichten wie ausgrenzenden Botschaften ist. Und wie leicht sie hier vor allem junge Menschen erreichen. Bisher haben die demokratischen Parteien den extremistischen Parteien, Bewegungen und Organisationen wie der Hamas die sozialen Plattformen geradezu vollständig überlassen. Mittlerweile sind die anderen Parteien aus ihrem Tiefschlaf erwacht und wollen den entstandenen Rückstand aufholen. Besser spät als nie, könnte man sagen, wenn man nicht zu pessimistisch sein will.

Jetzt soll man der AfD also auch noch das Geschenk machen, ihnen durch das Ausladen aus Talkshows und Ignorieren noch mehr Futter zu geben, sie noch größer zu machen? Damit sie sagen können: Schaut her, die sogenannten Demokraten, die immer von Meinungsfreiheit faseln, verweigern sich der Debatte mit uns! Die Lügenmedien grenzen uns aus! Die wollen uns den Mund verbieten, wollen nicht, dass wir die Wahrheit sagen, ist ja wie in einer Diktatur! Genau das dürfen wir nicht zulassen. Denn die Haltung, mit Nazis nicht zu reden, bewirkt, dass Rechte weitgehend unkommentiert und ungehindert Räume in Beschlag nehmen und dabei auch Lügen und verkürzte Wahrheiten verbreiten können. Außerdem: Nicht jeder AfDler ist ein Nazi. Und keiner kommt als Nazi auf die Welt. Natürlich bilde ich mir nicht ein, einen überzeugten AfD-Saulus, den man mit keinem Argument der Welt erreichen kann, zum demokratischen Paulus zu machen.

»Im Internet haben sich Nazis längst ihre eigene Bühne gebaut.«

Kai Diekmann

Um den geht es gar nicht, sondern es geht um die große Masse der unentschlossenen Parteigänger, die sich von den etablierten Parteien unverstanden und alleingelassen fühlen. Die müssen wir erreichen, und das funktioniert nur, wenn wir uns der Diskussion mit ihnen klug und überzeugend stellen. Deshalb ist es wichtig, zuweilen die eigene Meinungs-Blase zu verlassen und sich mit den Bewohnern anderer Meinungs-Bubbles auseinanderzusetzen. Überzeugte Demokraten muss ich ja nicht mehr bekehren. Darum scheue ich mich mittlerweile nicht mehr, mich auf Bühnen der Extremisten zu setzen und ihnen Interviews zu geben – nur so kann ich deren Anhänger mit meinen Argumenten erreichen! Ich könnte es auch so formulieren: Ganz schön doof von denen, mich auf ihre Bühne zu lassen.

Aus diesem Grund bin ich auch FÜR das TV-Duell zwischen dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt und AfD-Faschist Björn Höcke. Es ist der richtige Weg, die AfD und ihre Vertreter nicht zu Märtyrern zu machen, sondern sie mit Argumenten zu stellen und zu zwingen, konkrete politische Vorschläge zu präsentieren. Das können sie nämlich meistens nicht. Und ich bin überzeugt, dass sich Mario Voigt auf das Duell gut vorbereiten und sich genau überlegen wird, wie er Höcke unter Druck setzen kann. Social Media ist zum größten Teil eine argumentative Einbahnstraße, hier kann Höcke seine Verschwörungstheorien und Hetzkampagnen unwidersprochen verbreiten. In einem TV-Duell muss er sich stellen und klare Aussagen und Fakten liefern. Ich finde es auch sehr gut, dass das TV-Duell ausgerechnet am 11. April stattfindet, dem 79. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora durch amerikanische Soldaten. Da hat man thematisch gleich einen Aufhänger. Keiner hat einen Besuch in Auschwitz oder Yad Vashem nötiger als AfD-Politiker. Sie sollen nicht behaupten können, von nichts gewusst zu haben.

Ich bin auch dafür, Landtagsabgeordnete der AfD in Brandenburger Autofabriken einzuladen, damit sie vom Betriebsrat vor Ort hören, was eine Nationalisierung des Freihandels für eine Exportnation wie Deutschland für Folgen hätte. Wir können gewisse Mehrheitsverhältnisse nicht ignorieren – das Ausgrenzen oder gar Verbietenwollen macht sie nur größer! Das ist wie der Versuch, Feuer mit Benzin zu löschen.

Kai Diekmann ist Co-Gründer der PR-Agentur StoryMachine. Von 2001 bis 2015 war er Chefredakteur der BILD-Zeitung.

***

CONTRA - Joshua Schultheis

Im Januar lud die AfD-Bundestagsfraktion zum Presseempfang in den Reichstag. Bei Häppchen und einem Glas Wein konnten sich die versammelten Hauptstadt-Journalisten ganz ungezwungen mit den Politikern der Rechtsaußen-Partei unterhalten. In der einen Ecke des Saales wurde den Worten von Alice Weidel gelauscht, in der anderen mit Tino Chrupalla gewitzelt und gelacht. Egal ob taz, Welt oder Süddeutsche Zeitung: Keiner wollte an diesem Tag außen vor bleiben.

Die Szene zeigt: Das Verhältnis der Medien zur AfD hat sich elf Jahre nach ihrer Gründung teilweise normalisiert. Über den richtigen Umgang mit der Partei wurden in den wenigsten Redaktionen systematische Überlegungen angestellt. Fragt man Kollegen nach ihren internen Regeln für die AfD-Berichterstattung, kommt meistens die ernüchternde Antwort: So etwas gibt es bei uns nicht.

Es ist allerhöchste Zeit, dass sich die Journalisten-Zunft wieder ernsthafte Gedanken über den Umgang mit einer Partei macht, die mittlerweile von ihrem rechtsextremen Flügel dominiert wird.

Selbstverständlich sollte erlaubt bleiben, was für eine kritische Berichterstattung über die AfD notwendig ist. Dazu kann es gehören, AfD-Veranstaltungen zu besuchen, Kontakte zu ihren Politikern zu pflegen und an Hintergrundrunden teilzunehmen. Interviews sollten aber nicht dazu zählen.

Der Grund ist einfach: Die AfD hintertreibt die Pressefreiheit und diffamiert kritische Journalisten, wo immer sie kann. Schon aus Gründen der Selbsterhaltung sollten Interviews mit ihren Repräsentanten abgelehnt werden. Denn anders als andere Textgattungen implizieren Interviews auch immer: Hier begegnen sich zwei auf Augenhöhe. Doch von einer Gegenseitigkeit kann im Fall der AfD nun ganz und gar keine Rede sein.

»Es ist ein Spiel, das die Medien nicht mitspielen sollten.«

Joshua Schultheis

Szenenwechsel: Björn Höcke sitzt im Februar auf einem Podium des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda. Auf der »Winterakademie« des rechtsextremen Thinktanks spricht der Thüringer AfD-Chef auch über seine Pressestrategie. »Von mir kriegt kaum ein etabliertes Medium ein Interview«, sagt Höcke. »99 Prozent der Interviewanfragen – und ich habe zahlreiche Anfragen – werden von mir abgelehnt.« Stattdessen sieht der Mann, an dem in seiner Partei niemand mehr vorbeikommt, die »alternativen Medien« als seine bevorzugten Partner an. »Nur exklusive Informationen nötigen den Zuschauer, sich alternativ zu informieren.« Und tatsächlich hat sich die AfD mithilfe von Magazinen wie »Compact« oder dem Onlineportal »Deutschlandkurier« sowie mit ihrem äußerst erfolgreichen Auftritt auf YouTube und TikTok eine ganz eigene Öffentlichkeit geschaffen. Die Partei hat beinahe ihr Ziel erreicht, »dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen«, wie es die heutige Co-Vorsitzende Alice Weidel einmal formulierte.

Man kann sich ausmalen, was mit der Presselandschaft passiert, sollte die AfD an die Macht kommen. Zum einen würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) de facto abgeschafft werden. Im Wahlprogramm der Bundes-AfD ist von einem grundlegend reformierten ÖRR die Rede, der »ein Zehntel des bisherigen Umfangs haben soll«.

Zum anderen würde der Druck auf alle Medien enorm zunehmen, die kritisch über die AfD berichten. Einen Vorgeschmack lieferte die beispiellose Diffamierungskampagne der AfD gegen die etablierten Medien im Zuge des öffentlich gewordenen Potsdamer »Geheimtreffens«. Björn Höcke spekuliert gar, ob nicht vielleicht der Bundeskanzler persönlich »die finale Order« zur Veröffentlichung der Correctiv-Recherche gegeben habe. All das sei »Teil eines Staatsstreiches«.

Derselbe Höcke wird nun an diesem Donnerstag im Sender von »Welt« an einem Fernsehduell teilnehmen. Warum er sich darauf einlässt? Auch darauf gibt er in Schnellroda einen Hinweis: Im Wahlkampf müsse man bestimmte Termine absolvieren, um auch diejenigen zu erreichen, »die noch keine alternativen Medien konsumieren«. Ziel müsse aber ein »Hinübergehen« des Publikums zu AfD-hörigen Medien bleiben.

Es ist zu vermuten, dass Höcke vor seinem Auftritt bei »Welt« ordentlich Kreide fressen wird. Es ist eine für die AfD typische Doppelstrategie: In den eigenen Kanälen wird weitgehend offen gesprochen, in den etablierten Medien dagegen Selbstverharmlosung betrieben. Werden sie mit ihren eigenen Entgleisungen konfrontiert, verlegen sie sich aufs Leugnen oder Relativieren. So lief es mit Alice Weidel im »Stern«, so lief es mit Tino Chrupalla bei Markus Lanz – und so wird es mit Björn Höcke bei »Welt« laufen.

Es ist ein Spiel, das Medien nicht mitspielen sollten, denen die eigene Freiheit am Herzen liegt. Ähnlich wie die Demokratie muss auch die Presse wehrhaft sein. Deshalb: keine Interviews für die AfD.

Joshua Schultheis ist Journalist und lebt in Berlin.

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