PRO - Joshua Schultheis findet, der Zeitpunkt ist gekommen, nicht länger zuzuschauen
Man hat den Eindruck, die Republik sei mit einem Mal wachgerüttelt worden. Was »Correctiv« enthüllt hat, schien für viele zuvor schwer vorstellbar: Wichtige AfD-Politiker – darunter Alice Weidels rechte Hand Roland Hartwig – haben an einem geheimen Vernetzungstreffen in Potsdam teilgenommen, auf dem der Rechtsextreme Martin Sellner seine Deportationsfantasien zum Besten gab.
Der ehemalige Chef der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) und neurechte Influencer empfiehlt, »nicht assimilierte Staatsbürger« in einen noch zu schaffenden »Musterstaat« in Nordafrika abzuschieben. Mit anderen Worten: Deutsche zu entrechten, die in den Augen von Rassisten keine »echten« Deutschen sind.
Dass die anwesenden AfDler diesem verfassungs- wie menschenfeindlichen Plan nicht widersprachen, wirkt auf viele offenbar wie ein Tabubruch, vor dem selbst die AfD bisher zurückschreckte. Dabei wurde dieser in der Vergangenheit von führenden Köpfen der Rechtsaußen-Partei schon längst begangen.
Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD, sprach im Bundestagswahlkampf 2017 davon, die deutsche Staatsbürgerin Aydan Özoguz »in Anatolien entsorgen« zu wollen. Die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung hatte sich kritisch zur Idee der »Leitkultur« geäußert. Für Gauland Grund genug, um sich den Entzug ihrer Grundrechte herbeizuwünschen.
Jörg Meuthen, damals Vorsitzender der Partei, fand schmeichelnde Worte für das AfD-Gründungsmitglied Gauland: »Ihre Bescheidenheit, nur diese eine Person entsorgen zu wollen, erscheint mir hier ausnahmsweise unangebracht.« Derselbe Meuthen trat im Januar 2022 aus der AfD aus – sie war ihm zu rechts, zu extrem geworden.
Später sagte er über seine ehemalige Partei: »Die Radikalen haben die Kontrolle über die AfD übernommen.« Es sind auch Aussagen wie diese, von vielen weiteren Ex-AfDlern immer wieder bestätigt, die zeigen: Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD im Kern rechtsextrem. »Gemäßigte« wie Meuthen wurden nach und nach aus der Partei gedrängt.
»Demokratiefeinde darf man nicht an die Macht kommen lassen.«
Joshua Schultheis
Wie hilflos bisher alle Versuche der AfD waren, sich selbst zu mäßigen, zeigt sich beispielhaft am rechtsradikalen »Flügel« innerhalb der Partei. Die völkisch-nationale Gruppierung um Björn Höcke wurde auf Druck der AfD-Spitze aufgelöst, nachdem sie im März 2020 vom Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextremistisch« eingestuft wurde.
Heute sind sich Beobachter der AfD jedoch einig, dass das informelle Netzwerk des »Flügels« die Partei dominiert und an Höcke niemand mehr vorbeikommt. Der Thüringer Landesschef spricht unverhohlen aus, dass Gewalt für ihn ein legitimes politisches Mittel ist. Höcke will »Deutschland Stück für Stück zurückholen«.
Das Deutschland, das ihm vorschwebt, ist ein ethnisch homogenes, eines ohne Muslime und letztlich ohne Juden. Seine Idee der »erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad« bricht mit der gesellschaftlichen Grundlage, auf der jüdisches Leben in Deutschland überhaupt nur möglich ist: Höcke lehnt es ab, aus der Schoa irgendwelche Lehren zu ziehen.
Ganz in diesem Sinn äußert sich auch ein weiterer AfD-Politiker. »Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher«, beschwört Maximilian Krah in einem TikTok-Video – so als sei zwischen 1933 und 1945 nichts gewesen. Mit dem 47-jährigen Anwalt hat Björn Höcke einen seiner Vertrauten in der allerersten Reihe der Partei platziert: Krah tritt als Spitzenkandidat bei der Europawahl an. Wenn er nicht in Brüssel oder Straßburg weilt, ist Krah gern in Schnellroda bei Götz Kubitschek zu Gast.
In dessen vom Verfassungsschutz beobachteten »Institut für Staatspolitik« geben sich die Vordenker einer rechten Machtübernahme die Klinke in die Hand. Im dazugehörigen »Antaios Verlag« werden derzeit zwei Bücher in einem preisgünstigen Paket angeboten: Maximilian Krahs Politik von rechts und Martin Sellners Regime Change von rechts.
Hier schließt sich der Kreis. Was Correctiv exemplarisch offenlegte, zeigt sich auch an vielen anderen Stellen: Wenn überhaupt, distanziert sich die AfD nur vordergründig von Rechtsextremen und Neonazis. In Wirklichkeit geben sie in der Partei längst den Ton an und wollen diese nutzen, um unsere freiheitlich-demokratische Ordnung aus den Angeln zu heben. Zwar hat die AfD-Bundesvorsitzende Weidel ihren Mitarbeiter Roland Hartwig wegen seiner Teilnahme an dem Potsdamer Geheimtreffen gefeuert. Parteiintern wird sie für diesen Schritt aber scharf kritisiert. Wie schon so oft in der Vergangenheit wird auch dieses »Bauernopfer« den grundsätzlichen Trend nicht aufhalten: Die AfD bewegt sich immer weiter nach rechts.
Es ist der Zeitpunkt gekommen, dem nicht länger zuzuschauen. Gerade weil führende Köpfe der AfD die Grundsätze ablehnen, die sich die Bundesrepublik nach der NS-Terrorherrschaft gegeben hat, müssen alle anderen entschieden an ihnen festhalten. Einer dieser Grundsätze lautet: Demokratiefeinde darf man nicht an die Macht kommen lassen – notfalls durch ein Verbot. Im Falle der AfD sollte dieses nun in die Wege geleitet werden.
Joshua Schultheis ist Hauptstadt-Korrespondent bei WEB.DE News |
GMX News.
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CONTRA - Publizist Josef Joffe meint: Meinungs- und Redefreiheit sind höchstes Gebot
Quer durch die Republik probten am Wochenende Zehntausende von Demonstranten den »Aufstand der Anständigen«, welche die AfD am liebsten auf den Mond schießen würden. Das wirft zwei Fragen auf: Kann und sollte man diese Partei austreiben? Die Antwort: Nein, jedenfalls nicht hier und heute.
Zunächst zum Praktischen, was der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst so formuliert: Ein Verbot sei das »allerletzte Mittel«; bevor das Verfassungsgericht eingeschaltet wird, müssten alle Zweifel ausgeräumt sein. Drücken wir es schärfer aus: Obsiegt die AfD in Karlsruhe, sind Regierung und Republik blamiert.
Die AfD wird krähen: »Wir haben das Gütesiegel von den obersten Verfassungshütern bekommen.« Das würde der AfD weiteren Auftrieb verschaffen. Jene Wähler, die noch zweifeln, ob sie für die »Nazipartei«(Wüst) ihr Kreuzchen machen, könnten das mit gutem Gewissen tun.
Also vorweg harte Schularbeit, um eine wasserdichte Anklage hinzukriegen. Das heißt: bundesweite Überwachung und Prüfung durch den Verfassungsschutz. Lieber sorgfältig recherchieren als schnell fallieren. Sonst ist hinterher der Schaden umso größer für die liberale Demokratie.
Nun zum Prinzipiellen, das trotz aller Wut bedacht werden muss. Für die Bundesrepublik muss gelten, was seit dem Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung ein Heiligtum des liberalen Staates ist. Dieser Passus verbietet es dem Kongress, Gesetze zu verabschieden, welche die Rede-, Religions- und Pressefreiheit aushebeln. Der Supreme Court hat diese Werte in seinen Entscheidungen seit 1791 festgezurrt. Die freiheitliche Ordnung hält so seit 240 Jahren, während in Europa Hunderte von Verfassungen zertrampelt worden sind.
»Lieber sorgfältig recherchieren als schnell fallieren.«
Josef Joffe
Sodann die entscheidende altrömische Frage: Quem ad finem? Wo soll das hinführen? Heute trifft es die Schurken, morgen jene, die einfach nur Unpopuläres zu Markte tragen. Das Recht, Weltanschauliches zu verbreiten, muss unantastbar sein, auch wenn wir manche Ideen als verderblich abstempeln. Kriminalisiert werden darf nur die Tat, nicht die Meinung, egal wie furchtbar sie selbst in den Augen einer Mehrheit sein mag. Strafwürdig sind Subversion, Aufruhr und Bewaffnung – kurzum der aktive Umsturz. Diese Grenzziehung ist im Falle der AfD für viele ein Ärgernis.
Nur: Heute trifft es die AfD, morgen vielleicht das »Bündnis Sahra Wagenknecht«. Dieses ist pro-Putin, anti-Amerika und -Ukraine; sie rüttelt an den Festen der Republik. Sie ruft zum offenen Widerstand gegen die EU auf, wo »Banken und Big Business« die Bürger manipulieren.
Die FAZ: Das wirke so, als wolle sie die EU »zersetzen«. Die aber gehört zur deutschen Staatsräson – ebenso wie die Sicherheit Israels, wie Angela Merkel dozierte. Einwanderung goutiert das Bündnis ebenso wenig wie die AfD. Beide sind nicht gerade israelfreundlich. Die Latte ist lang. Sollten wir die Sahra-Partei verbieten, die wie die AfD nach links und rechts auslegt?
Betrachten wir nun das Urteil des Verfassungsgerichts, welches 1956 die KPD verboten hat. Da heißt es: »Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie … die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht anerkennt.« Das reiche nicht aus. Vielmehr müsse eine »aktiv kämpferische, aggressive Haltung« dazukommen. Dito und schärfer im Falle der NPD. »Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot.« Zu beweisen sei »planvolles Vorgehen«.
So übelgesinnt wie die AfD auch ist, geht es ums Tun, nicht ums Reden. Denn Meinungs- und Redefreiheit sind das höchste Gebot. Noch beklemmender aber wäre es, wenn wir im Zorn an den Heiligtümern der freiheitlichen Verfassung rütteln. Das Falsche rettet auf Dauer nicht das Gute. »Quem ad finem?« eben.
Wieder zum Praktischen. Aufmärsche plakatieren die richtige Gesinnung – wir gut, die böse. Das Austreibungsritual ersetzt im Falle der AfD die »Realpolitik« nicht, wie es der hessische Ministerpräsident Boris Rhein ausdrückt. Sein bayerischer Kollege Markus Söder warnt von einer »Märtyrerrolle« der AfD. Wie die funktioniert, erleben wir in Amerika, wo jede neue Trump-Anklage (inzwischen 91 Punkte) ihm neue Fans zutreibt.
Hier wächst die AfD in den Meinungsumfragen, was auch in einem Verbotsverfahren passieren könnte: »die da oben …« Symbol- ersetzt nicht Realpolitik. Und die Ampel schafft es nicht, die Partei politisch zu bekämpfen.
Die CDU bietet Parolen an wie: »Wir müssen sie politisch stellen.« Sie traut sich aber nicht, wie Macron in Frankreich im Kulturkampf oder für geregelte Einwanderung zu fechten. Die AfD darf frohgemut in die Zukunft blicken, solange die Demokraten es nicht schaffen, die Unzufriedenen von Böswilligen zu trennen.
Josef Joffe war bis März 2023 Mitherausgeber der Wochenzeitung »Die Zeit«.
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