Berlin

Solidarität jenseits der Floskeln

Bekam Zustimmung für ihr Engagement in Nahost: Außenministerin Annalena Baerbock Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Es mag für den einen oder anderen deutschen Politiker eine Herausforderung sein, in diesen Tagen ausgewogen und ohne schiefe Tonlage über den Krieg in Gaza zu reden. Daran gemessen haben sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages am Donnerstag in der Aktuellen Stunde zur »Lage in Israel und den Palästinensischen Gebieten« wacker geschlagen.

Allerdings brachte die anderthalbstündige Aussprache wenig neue Erkenntnisse oder Vorschläge, wie die von allen Rednern empfohlene Zweistaatenlösung realisiert werden kann.

Die Binsen, die in einer deutschen Debatte über den 7. Oktober und den israelischen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen nicht fehlen dürfen, waren dagegen fraktionsübergreifend zu hören: »Israel wurde angegriffen und hat das Recht auf Selbstverteidigung«; »Die Geiseln müssen so schnell wie möglich freikommen«; »Israel muss das humanitäre Völkerrecht achten«; »Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal«; »Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden.«

Hungersnot in Gaza

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) warb eindringlich für eine »humanitäre Waffenruhe« – auch, um die israelischen Geiseln aus der Gewalt der Hamas zu befreien. Sie warnte – wie viele andere Redner auch – erneut vor einer israelischen Offensive in Rafah, im Süden der palästinensischen Küstenenklave, in der sich viele Geflüchtete befinden.

Sollte Israel auch dort militärisch angreifen, so Baerbock, sei zweifelhaft, ob die Palästinenser dort überhaupt noch geschützt werden könnten. Die Zivilisten könnten sich schließlich nicht in Luft auflösen. »Das Sterben, das Hungern muss ein Ende haben«, forderte sie.

Und auch die Geiseln müssten freikommen. Baerbock zitierte eine Mutter einer Geisel, die ihr gesagt habe: »Mein geliebtes Kind wird nicht zurückkommen, indem eine andere Mutter ihr Kind verliert.«

Baerbock wagte auch den Blick über den aktuellen Krieg hinaus. »Wir wissen, die Widerstände gegen eine Zweistaatenlösung sind enorm.« Frieden in Nahost werde es aber nur geben, wenn die Rechte von Israelis und Palästinensern gleichermaßen respektiert würden.

Lob und Zuspruch für ihr Engagement bekam die Außenministerin von fast allen Fraktionen, sogar aus den Reihen der Opposition. Die SPD-Parlamentarierin Gabriela Heinrich warnte ebenfalls vor einer Offensive in Rafah und einer humanitären Katastrophe, die Israel international noch mehr in die Isolation treiben würde.

Heinrichs Parteifreund Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, klang ähnlich. Er stellte zu Beginn ebenfalls die Ursache des Konflikts – den Angriff der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober – heraus. Dann sagte aber auch er, in Deutschland und in der Welt wüchsen »die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes.«

Redner von Union und AfD betonten hingegen noch mehr die Verantwortung der Hamas für den Krieg. Dieser gehe, so der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul, »einzig und allein auf das Konto der Hamas«, wenngleich auch er darauf hinwies, dass Israel »natürlich mehr machen« müsse, um den Zugang der Zivilbevölkerung in Gaza zu Hilfslieferungen zu verbessern.

Zur geplanten Offensive in Rafah war er hingegen anderer Meinung: Wenn dort tatsächlich vier Bataillone der Hamas sowie die Führung der Terrororganisation stationiert seien, müsse die internationale Gemeinschaft den israelischen Sicherheitsinteressen auch entsprechen und sagen, wie man mit dem Problem umgehen wolle.

Tue man das nicht, werde man, so Wadephul, keiner Regierung in Israel – »Netanjahu hin oder her« – erklären können, wie man zu einer friedlichen Lösung des Konflikts kommen wolle.

Der FDP-Politiker Ulrich Lechte äußerte sich ähnlich. Israels Krieg gegen die Hamas sei unvermeidlich. Es gehe hierbei um ein selbstverständliches »völkerrechtlich verankertes Recht auf Verteidigung seiner Bevölkerung und seines Staatsgebietes, seiner Demokratie und seiner Freiheit gegen Terrorismus.« Für die Opfer des Krieges machte Lechte die Hamas-Terroristen verantwortlich und fragte: »Was um alles in der Welt haben Waffen in einem Krankenhaus zu suchen?«

Die grüne Abgeordnete Deborah Düring, die die Aussprache eröffnete, betonte ebenfalls die Verantwortung der Hamas, sagte aber auch: »Die gesamte Bevölkerung in Gaza hungert, die Hälfte ist akut vom Verhungern bedroht, die ersten Kinder sind bereits verhungert.« Düring dankte den Helfern, forderte aber eine Verstärkung der Hilfen auf dem von Israel kontrollierten Landweg und einen Waffenstillstand.

Auch die Siedlergewalt im Westjordanland sprach sie an – und begrüßte die am Montag beschlossenen Sanktionen der Europäischen Union gegen einzelne Siedler.

Für die AfD sprach Joachim Wundrak in der Debatte. Die hohe Zahl der zivilen Opfer sei für ihn schwer erträglich. Aber auch Wundrak machte dafür die Hamas verantwortlich. Sie sei es gewesen, die Hilfsgelder missbraucht habe, um Raketen zu beschaffen und Tunnel zu bauen. Israel habe das Recht, Angriffe der Hamas zurückzuschlagen.

Wundrak zitierte einen bekannte Maxime: »Wenn Israel einseitig die Waffen niederlegt, droht dem Land die völlige Vernichtung. Wenn die Palästinenser die Waffen niederlegen, gibt es die Chance auf Frieden.«

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Amira Mohamed Ali vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) war die einzige, die aus dem Konsens ausscherte. »Israel hat natürlich ein Recht auf Selbstverteidigung. Aber was seit Monaten im Gazastreifen passiert, hat mit Selbstverteidigung nichts mehr zu tun«, rief sie. 50.000 Kinder seien zu Waisen geworden, 13.000 seien gestorben.

»Jeder, der sich hinstellt, und angesichts dieses Elends nicht laut sagt, dass dieses Handeln der israelischen Regierung völkerrechtswidrig ist und sofort beendet werden muss, der muss mir von Völkerrecht wirklich nichts mehr erzählen!« Die deutsche Verantwortung aus der Geschichte bedeute nicht, die »ultrarechte Regierung Netanjahu« zu unterstützen, so Mohamed Ali.

Für die Gruppe der Linken sagte Heidi Reichinnek: »Bei der Hamas handelt es sich nicht um Freiheitskämpfer, sondern um Terroristen, die entwaffnet werden müssen.« Israel habe das Recht sich zu verteidigen. Doch Kritik an einer »befreundeten Demokratie« müsse möglich sein, sagte sie und zitierte zur Unterstützung die Rede von Israels Staatspräsidenten Isaac Herzog im Bundestag vor zwei Jahren.

Dann äußerte Reichinnek genau diese Kritik, forderte einen Waffenstillstand und eine Verbesserung der humanitären Lage der Menschen in Gaza. Sie klang dabei jedoch weit wenig scharf als ihre einstige Fraktionsvorsitzende Mohamed Ali.

Die Aussprache im Bundestag offenbarte einmal mehr: Das Entsetzen über die Nachrichten aus dem Nahen Osten und insbesondere aus Gaza ist groß und es herrscht Unverständnis über die rapide Verschlechterung der humanitären Lage im Gazastreifen. Doch viel mehr als gut gemeinte Appelle hatten auch die Redner in der Aussprache nicht anzubieten.

Die grundsätzliche Solidarität Deutschlands mit Israel – auch das hehre Wort »unverbrüchlich« fiel mehrfach – steht nicht in Frage. Die deutsche Politik meint es also gut mit Israel.

Aber je länger sich die Militäroperation in Gaza hinzieht, desto lauter wird die Kritik. Ob die Regierung in Jerusalem den deutschen Parlamentariern zuhört, ist fraglich. Denn auch am Donnerstag wurde nicht so recht deutlich, wie Deutschland mit einer existenziellen Bedrohung wie der Hamas umgehen würde und was es besser machen würde als Israel.

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